Zwischen Willkommenskultur und Abschreckung: Die kommunalen Ausländerbehörden setzen um, was in Berlin verordnet wird. Das ist nicht immer einfach – und vor allem nicht immer logisch. Ein Besuch im Ludwigsburger Amt.

Region: Verena Mayer (ena)

Ludwigsburg - Wenn Daniele Spagnol seine Arbeit als Leiter der Ausländerbehörde in Ludwigsburg beschreibt, dann sagt er: „Wir wollen den Menschen, die zu uns kommen, helfen, sich zurechtzufinden.“ Wenn Daniele Spagnol dann erzählt von der moldawischen Verkäuferin, die einen Sprachkurs braucht, der türkischen Mutter, die wissen will, wie sie Wohngeld beantragen kann oder dem amerikanischen IT-Berater, der einfach nur Anschluss sucht, dann klingt das, als würden diese Menschen in der Wilhelmstraße 11 eine gute Orientierung finden.

 

Ein großes Durcheinander

Allerdings, wenn Daniele Spagnole weiter erzählt von seiner Arbeit, von dem Teil, der ihn seit geraumer Zeit am meisten beschäftigt, dann klingt das so, als sei seine Behörde selbst auf der Suche nach Orientierung. Die kommunale Ausländerbehörde ist die Station, die umsetzen muss, was in der obersten Station, in Berlin, beschlossen oder erlassen wird. Das war in den vergangenen zwei Jahren ziemlich viel – und ziemlich viel davon änderte sich ziemlich schnell wieder. Deshalb die Sache mit der Orientierung. Daniel Spagnol allerdings drückt es so aus: „Was wir hier machen, ist ein riesiger Spagat!“

Ein Flüchtling, der in der Stadt ankommt, benötigt eine Aufenthaltsgestattung. Ohne ist er illegal. Es muss also schnell gehen. Was aber, wenn der Flüchtling keine Papiere hat? Wenn die Akte noch in der Erstaufnahmeeinrichtung liegt? Und was, wenn ein Flüchtling verschwindet, kaum dass er ankam? Weil er kurzerhand zu Bekannten in einer anderen Stadt aufbrach? „Das war auch für uns komplett neu“, sagt Daniel Spagnol. Im August 2015 werden Ludwigsburg 13 Flüchtlinge zugeteilt, im September sind es 32, im Oktober 27 – so geht es weiter. 216 Afghanen, Syrer, Iraker, Iraner, Türken und Pakistani kommen bis Mai 2016 in die Stadt. „Wir mussten schlicht versuchen, die große Menge zu schaffen“, sagt Daniel Spagnol.

Ordnung und Herzlichkeit

Trotzdem besuchen er und seine Kollegen die Flüchtlinge auch außerhalb der Dienstzeiten in ihren Unterkünften. Sie spielen zusammen Tischtennis und gehen zum Basketballspiel. Man habe, sagt Daniel Spagnol, als Behörde in erster Linie natürlich eine Ordnungsfunktion – aber trotzdem könne man ja freundlich sein und versuchen, die Leute zu integrieren. Deshalb also die Sache mit dem Spagat.

In jener Zeit, von der Daniel Spagnol erzählt, dürfen Flüchtlinge arbeiten, wenn sie drei Monate im Land sind. Wird der Antrag eines Asylbewerbers abgelehnt, darf er weiter schaffen, bis zur Ausreise. Hat ein Flüchtling eine Ausbildung begonnen, darf er sie zu Ende machen, und danach zwei Jahre bleiben – auch wenn er auf Dauer keine Perspektive hat in Deutschland. Die Wirtschaft freut sich über neue Kräfte. Der Bund stellt Geld für extra viele Ein-Euro-Jobs bereit. Ludwigsburg bezahlt seine neuen Ein-Euro-Jobber aus eigener Tasche. Die Stadt stellt sogar eine Syrerin als Dolmetscherin ein.

Man könnte sagen, Berlin hat die Willkommenskultur verordnet, und Ludwigsburg hat sie vorbildlich umgesetzt. Als Angela Merkel bei ihrem Besuch der Berliner Ausländerbehörde den Mitarbeitern für ihre „intensive Arbeit“ Dankeschön sagte, dankte sie damit indirekt auch den Ludwigsburger Mitarbeitern. Das war im vergangenen November.

Also, nachdem Pegida groß geworden war und die AfD mächtig. Nachdem Köln in einer Silvesternacht im Chaos versunken war und Horst Seehofer die Kanzlerin fast ohne Ende drangsaliert hatte. Oder – wie Daniel Spagnol sagt: Nachdem sich die Arbeit um 180 Grad gewandelt hat.

Ordnung ohne Herzlichkeit

Da ist dieser 26-Jährige aus Afghanistan, der einen Job als Küchenhilfe hat. Das heißt: Er hatte einen Job als Küchenhilfe. Als Afghanistan zum sicheren Herkunftsland auserkoren wurde, war klar, dass der Mann ausreisen muss. Arbeiten darf er nun nicht mehr. „Rechtlich ist der Fall klar“, sagt Jürgen Schindler. Schindler ist der Leiter des Fachbereichs Bürgerdienste, zu dem die Ausländerbehörde gehört. Er hat früher selbst lange am Schalter gearbeitet. Rechtlich also, weiß Schindler, ist alles klar. Aber gesellschaftlich?

Wann der 26-Jährige tatsächlich ausgewiesen wird, steht in den Sternen. Bis dahin lebt er jetzt von den knapp 400 Euro im Monat, die das Asylbewerberleistungsgesetz für ihn vorsieht. Und sein Ex-Küchenchef ist sauer auf die Ausländerbehörde, weil die seinem Mitarbeiter die Arbeitserlaubnis entzogen hat. Theoretisch, sagt Jürgen Schindler, könnte der Mann natürlich so lange weiter in der Küche schaffen, bis er Deutschland tatsächlich verlassen muss. Aber praktisch, das weiß Schindler natürlich auch, würde das nicht abschreckend wirken – auf all jene, die ihre Heimat aus wirtschaftlichen Gründen verlassen. „Wir“, betont Jürgen Schindler jedenfalls inständig, „sind nicht die Bösen!“

Oder die unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge, die gerne eine Ausbildung machen würden – und teilweise sogar einen Platz hätten. Aber: sie dürfen nicht, weil sie keine Papiere haben. Rechtlich ist die Lage, siehe oben, klar. Aber: Wie sinnvoll ist es, junge Männer ohne Sinn und Struktur zu lassen? Jürgen Schindler zumindest sagt, dass man die Jugendlichen an einem Arbeitsplatz doch viel besser im Blick hätte.

Bitte um mehr Spielraum

Der Erste Bürgermeister der Stadt hat deshalb einen Brief an den Innenminister Thomas Strobl geschrieben. Konrad Seigfried wünscht sich einen Hauch mehr Spielraum. Wenn der afghanische Küchenhelfer ohnehin noch eine Weile hier sein wird, und wenn die minderjährigen Flüchtlinge sich nichts haben zuschulden kommen lassen – könnte es der Stadt dann nicht möglich sein, die Vorgaben von oben etwas weniger restriktiv anzuwenden?

Gewiss, auch die Mitarbeiter in der Ausländerbehörde ahnen, dass unter den Flüchtlinge nicht nur ehrbare Männer und Frauen sind. Und einem zweiten Anis Amri möchte auch Konrad Seigfried nicht den Boden bereiten. Aber kann man nicht auch die Ordnungsfunktion erfüllen – und dennoch menschlich handeln? „Ein Mensch ist doch keine Schachfigur“, sagt Daniel Spagnol, der zurzeit 31 Ausbildungs- und Arbeitsanträge prüft. „Und eine Behörde keine Maschine“, sagt Jürgen Schindler.

Ende der 90er Jahren hat Jürgen Schindler ungezählte Rückführungsgespräche mit Flüchtlingen aus dem ehemaligen Jugoslawien geführt. Er hat den Frauen erklärt, dass ihr Land sie braucht, und den Männern gesagt, dass der Aufbau ohne sie nicht möglich ist. Dann beschloss der Bundestag die so genannte Altfallregelung: Viele von denen, die zuvor noch ausreisen mussten, durften plötzlich bleiben. Auch das gehört zum Thema Spagat.