Ein Gießereimechaniker muss viel aushalten – der Job ist heiß, laut, dunkel und staubig. Der Zulieferer SHW fertigt in seiner Gießerei in Ludwigstal bei Tuttlingen Bremsscheiben für bekannte deutsche Autohersteller.

Ludwigstal - Vom Haupttor aus sind es nur wenige Schritte – und der Besucher steht mittendrin. Der erste Blick fällt unwillkürlich auf einen Strom glühend heißen, brodelnden Eisens, das in einen überdimensionalen Topf fließt. Funken sprühen – wie Wunderkerzen zur Weihnachtszeit. Doch das ist auch alles, was an Weihnachten erinnert. Hier ist es nicht feierlich, sondern vor allem laut, teilweise extrem laut, dunkel, staubig und selbst im Winter heiß. Die Männer, die hier arbeiten – Frauen sind nirgends zu sehen –, verrichten Schwerstarbeit. Willkommen in der Gießerei des Autozulieferers SHW in Ludwigstal nordöstlich von Tuttlingen. Hier werden Bremsscheiben gefertigt, für Hersteller wie Volkswagen, Porsche, Audi, BMW, Volvo und auch Mercedes.

 

1696 ist die Gießerei entstanden, seit 1950 werden hier Bremsscheiben hergestellt. Die Region bot damals günstige Standortbedingungen, erzählt Werkleiter Heiko Glathe, der zunächst Gießereimechaniker gelernt und anschließend studiert hat. In den Anfängen wurde in den nahen Bergen Erz gefördert, das Wasser der Donau diente zum Kühlen, und in den Wäldern im Umkreis war ausreichend Holz vorhanden. Heute stelle das enge Tal eher ein Problem dar, so Glathe: „Mehr als rund 4,5 Millionen Bremsscheiben-Rohlinge pro Jahr sind am Standort unter den gegebenen Rahmenbedingungen nicht möglich“. Rund 240 Mitarbeiter arbeiten in Ludwigstal, rund um die Uhr von sonntags 22 Uhr bis samstags 22 Uhr. In der Zeit dazwischen finden Wartungsarbeiten statt.

Im Kupolofen wird Stahlschrott und Koks zunächst aufgeschichtet und dann bei Temperaturen bis 1700 Grad Celsius zum Schmelzen gebracht – ohne jegliche Schutzvorrichtung fließt es in den erwähnten Riesentopf ab. Fachleute sprechen von der Transportpfanne, auch wenn die Form eher einem riesigen Topf als einer (Haushalts-)Pfanne ähnelt. Stunde für Stunde werden so bis zu 19 Tonnen flüssiges Eisen geschmolzen. Sobald die Pfanne gefüllt ist, leitet ein Mitarbeiter in Schutzkleidung die glühendheiße Transportpfanne zu einem elektrischen Duplizierofen weiter. Dort wird die Eisenbrühe aufbereitet, damit die Bremsscheiben die vom Kunden geforderte Festigkeit und Härte erzielen. Ein weiterer Mitarbeiter analysiert das glühendheiße Ursprungseisen und mischt dann – schwungvoll per Hand – Legierungselemente wie Silizium, Kupfer, Mangan oder Chrom bei. Geredet wird hier selten, dafür ist es zu laut; die Beschäftigten verständigen mit Handzeichen.

„Ein Beruf für harte Burschen“

Dann geht es in die Formerei, wo das flüssige Eisen in vorbereitete Formen gegossen wird. Es ist quasi ein teilautomatisierter Prozess. Die Befüllung stoppt nach einer gewissen Zeit zwar automatisch, aber die Zeitspanne wurde von einem Mitarbeiter errechnet. Die Formen wurden zuvor in getrennten Schritten hergestellt; Sand spielt dabei eine wichtige Rolle.

Nachdem die Rohlinge auf Temperaturen bis etwa 200 Grad abgekühlt sind, werden unter anderem die Gussteile vom Sand getrennt, von Gratresten befreit und abschließend von Mitarbeitern kontrolliert. Klingt nach einer relativ angenehmen Arbeit? Von wegen. Wenn beispielsweise überschüssiges Material von den Bremsscheiben an einem Drehteller abgeschlagen werden, kann es extrem laut werden. Die Kontrolle ist im im wahrsten Sinne Schwerstarbeit. Jede Bremsscheibe, die zwischen zehn und 20 Kilo pro Stück wiegt, wird in die Hand genommen und von allen Seiten beäugt. Glathe rechnet nach: Während einer Achtstundenschicht stemmt ein Mitarbeiter rund 25 Tonnen.

Was bringt einen jungen Menschen dazu Gießereimechaniker zu werden? Also unter Bedingungen zu arbeiten die einem Büromenschen wie die Hölle auf Erden vorkommen müssen? „Es ist ein vielseitiger Beruf“, sagt Glathe. Viel Fachwissen sei erforderlich, etwa beim Formenbau oder beim Umgang mit Metallen. Nach etwas Nachdenken fügt er hinzu: „Es ist ein Beruf für harte Burschen“. Es seien rustikale Bedingungen. Er sei damals stolz gewesen „in eine Gießerei zu gehen“. Motivationsfördernd wirke nicht zuletzt die gute Bezahlung. Es gibt Schicht- und Erschwerniszuschläge. Schwere Unfälle seien selten.

Größte Kundengruppe ist der Fahrzeugbau

Vielen jungen Menschen reicht dies allerdings nicht mehr. Es sei schwierig, neue Mitarbeiter zu finden, sagt Glathe. Dies gilt vor allem in der Region Tuttlingen, wo die Arbeitslosenquote gering ist und genügend Alternativen vorhanden sind. Vor allem Unternehmen rund um die Medizintechnik bieten attraktive Stellen. Aber eine Gießerei benötigt Fachkräfte, es gibt immer weniger einfache Tätigkeiten. Langjährige Erfahrung gleicht da so manches Ausbildungsdefizit aus.

Kann sich der Gießereimechaniker hoch arbeiten? Karriere ist möglich, sagt der Werkleiter. Er selber hat das Studium Maschinen und Technologie des Gießereiwesens absolviert. Andere legen die Meisterprüfung ab. Aber: Gebraucht werden vor allem zupackende Männer, je qualifizierter desto seltener werden Jobs. Und so passiert es, dass auch Meister die glühend heiße Transportpfanne bedienen. Wer jetzt glaubt, die SHW-Mitarbeiter fänden nach der extrem harten Arbeit keine Zeit und Muse für Hobbys, der täuscht sich. „Wir haben sogar Extremsportler in der Belegschaft“, so Glathe. Schwierig sei es jedoch, bis zum Alter von 67 Jahren zu arbeiten.

Trotz der extremen Arbeitsbedingungen: „In Deutschland wird es immer Gießereien geben“, ist Glathe überzeugt. Mit Abstand die größte Kundengruppe ist der Fahrzeugbau, aber auch der Maschinenbau, die Luftfahrtindustrie, die Bauwirtschaft und die Energiewirtschaft fragt Gussteile nach. Vor einigen Jahren haben Unternehmen eine Verlagerung ins billigere Ausland schon mal ausprobiert, „doch dort hat man die Qualität nicht hingekriegt“. Teilweise ist das Geschäft wohl zurück gekommen. Denn die Bremsscheibe ist ein Sicherheitsteil am Auto, „der Kunde ist da sehr empfindlich“. Glathe: „Wir reden über Abweichungen von einem Zehntel Millimeter“. Auch wenn viele der Arbeitsschritte im Grunde jahrzehntealt sind, es gibt erkennbare Weiterentwicklungen. Thema ist etwa der Leichtbau; dann besteht ein Teil der Bremsscheibe aus Aluminium. Sie heißt dann auch Verbundbremsscheibe. SHW hat in den vergangenen Jahren die Anlagen modernisiert. Seit 2005 wurden mehr als 50 Millionen Euro in die Gießerei und die mechanische Bearbeitung der Bremsscheiben investiert; und in den nächsten Jahren sind weitere fünf Millionen Euro geplant.

Heute verlassen täglich 17 500 Bremsscheiben-Rohlinge das Werk; damit sei die Gießerei gut ausgelastet. Vom Donautal aus werden die Bremsscheiben sogar bis in die USA transportiert. Die meisten der runden Scheiben übernehme der Kunde als Rohling und bearbeite sie selbst weiter, so Glathe. Etwa 9000 der Tagesproduktion würden von den 125 Beschäftigten beim Schwesterunternehmen in Neuhausen ob Eck einbaufertig aufbereitet. Ziel sei, diesen Anteil deutlich zu erhöhen.

Eine traditionsreiche Branche

Berufsstand Heiko Glathe ist in einer mittelständisch geprägten Branche tätig. Gut 600 Gießereien gibt es in Deutschland, die 13 Milliarden Euro umsetzen. Rund ein Drittel der Unternehmen beschäftigt weniger als 50 Mitarbeiter. Insgesamt sind 80 000 Beschäftigte in der Branche tätig, schreibt der Bundesverband der Deutschen Gießerei-Industrie (BDG) auf seiner Internetseite. Jahr für Jahr werden 1000 junge Menschen zu Gießereimechanikern, Glockengießern oder technischen Modellbauern ausgebildet.

KundenDie Branche ist ein wichtiger Zulieferer – Gussteile befinden sich in Autos, Windrädern, Heizanlagen, Armaturen oder in Flugzeugen. Die Fahrzeugindustrie ist mit großem Abstand die wichtigste Kundengruppe.

Gehalt Die Arbeit in einer Gießerei ist belastend. Ein Gießereimechaniker wird nach dem Tarif der Metall- und Elektroindustrie bezahlt. Ausgelernt startet er mit einem Monatsgehalt von 2865 Euro, hinzu kommen Leistungszulagen, heißt es bei der IG Metall. Im Laufe der Jahre steigt das Gehalt auf 4000 Euro.