Seit gut drei Jahren gilt die abschlagsfreie Rente nach 45 Versicherungsjahren: Die Arbeitgeber Baden-Württemberg und der Gewerkschaftsbund sind sich uneins über die Wirkung der Rente mit 63 – und beide fordern weitere Veränderungen im Rentensystem.

Politik: Matthias Schiermeyer (ms)

Stuttgart - Die Rente mit 63 – bei ihrer Einführung als Männerrente kritisiert – hat offensichtlich eine andere Wirkung als gedacht. Dies geht aus einer Bilanz der Deutschen Rentenversicherung Baden-Württemberg hervor, die dieser Zeitung vorliegt. „Entgegen ersten Vermutungen, dass fast ausschließlich Männer profitieren würden, zeigt sich mit 40 Prozent ein erheblicher Frauenanteil, der die Zugangsvoraussetzungen erfüllt“, so der Chef der Geschäftsführung, Andreas Schwarz. Von 2014 bis 2016 haben 80 102 Versicherte im Südwesten die abschlagsfreie Altersrente nach 45 Versicherungsjahren bezogen.

 

„Wiederbesetzung freier Stellen spürbar verlängert“

Die Arbeitgeber Baden-Württemberg sehen ihre Kritik bestätigt: „Die Rente mit 63 hat den kräftigen Beschäftigungsaufbau in der Altersgruppe der über 63-Jährigen stark gebremst“, sagte Hauptgeschäftsführer Peer-Michael Dick. 2015 seien deswegen mehr Männer aus dem Erwerbsleben ausgeschieden als mit der Regelaltersrente. „Besonders schwer hat die Betriebe getroffen, dass überproportional viele ordentlich verdienende Fachkräfte mit ununterbrochenen Erwerbsbiografien darunter sind.“ Dies habe die Fachkräfteengpässe enorm verschärft. Aktuell klagten etwa 20 Prozent der Metallbetriebe über Produktionsbehinderungen durch fehlende Arbeitskräfte, während es 2013 erst sieben Prozent gewesen seien. Die Dauer der Wiederbesetzung freier Stellen habe sich in Mangelberufen spürbar verlängert, für einzelne Fachberufe gebe es mehr offene Stellen als Bewerber. „Das ist nicht allein auf die Rente mit 63 zurückzuführen, doch hat sie das Problem deutlich zugespitzt“, rügte Dick.

Mehr als 810 000 Rentenzugänge 

Die Deutsche Rentenversicherung Bund hat 2014 bis 2016 insgesamt 650 733 Zugänge für die Rente mit 63 gezählt. 2017 haben bis Ende August 160 000 Versicherte einen Antrag gestellt – nach 165 000 im Vorjahreszeitraum. Durch die schrittweise Anhebung der Altersgrenze werde das Problem von Jahr zu Jahr geringer, sagte Dick. Doch dürfe eine mögliche Jamaika-Koalition die gute Kassenlage der Rentenversicherung „nicht dazu missbrauchen, weitere nachhaltige Leistungen einzuführen, die zu dauerhaften Kosten führen“.

Es dürften keine weiteren Anreize zur Frühverrentung gesetzt werden. Stattdessen müssten vereinfachte und sichere arbeits- und sozialversicherungsrechtliche Rahmenbedingungen für das Arbeiten über die Regelaltersgrenze hinaus geschaffen werden – etwa über die bedingungslose Zulässigkeit befristeter Arbeitsverhältnisse. „Wir werden für bestimmte Beschäftigtengruppen immer Möglichkeiten benötigen, auch früher aus dem Erwerbsleben auszuscheiden“, sagte Dick. „In Härtefällen muss das abgefedert werden, aber natürlich muss es dabei auch Abschläge geben.“