Im Möhringer Laden gelten wegen des Personalmangels verkürzte Öffnungszeiten, gleichzeitig ist die Kundenzahl durch die Flüchtlinge um 20 Prozent gestiegen.

Lokales: Sybille Neth (sne)

Stuttgart - Wenn Sybille Reiter die Eingangstür des Möhringer Tafelladens öffnet, ist es wie früher beim Schlussverkauf: Die Kunden, die schon auf diesen Moment gewartet haben, drängen auf der Jagd nach günstigen Waren alle zusammen in den Verkaufsraum. Seitdem viele Flüchtlinge hier leben, hat sich die Situation noch zugespitzt. „Unsere Kundenzahlen sind seit einem halben Jahr in die Höhe geschossen“, sagt die Ladenleiterin. Waren es zuvor etwa 170 bis 180 Kunden pro Tag, seien es jetzt gut 250, rechnet sie vor. „Wir haben jetzt insgesamt etwa 20 Prozent mehr Kunden“, weiß Edgar Heimerdinger, der bei der Caritas als Bereichsleiter zuständig ist für die Schwäbische Tafel e. V. in Stuttgart mit drei Läden sowie in Fellbach mit einem Geschäft.

 

So wenige Mitarbeiter wie noch nie

Auf der anderen Seite hatte die Schwäbische Tafel noch nie so wenige Mitarbeiter aus dem Bereich der Ein-Euro-Jobber wie seit Beginn des Jahres. „Das sind zwei gegenläufige Entwicklungen“, sagt Heimerdinger. „Wir bekommen seit einigen Monaten keine Leute mehr vom Jobcenter zugewiesen“, klagt er. Im „Leoladen“, dem Geschäft in der Hauptstätter-Straße, konnte der Personalengpass durch Ehrenamtliche aufgefangen werden. In Bad Cannstatt und in Fellbach gibt es derzeit noch keine Probleme mit der Mitarbeiterzahl, erklärt Heimerdinger. Der Tafelladen in Möhringen, direkt am dortigen Bahnhof und deshalb sehr gut erreichbar für die Kundschaft aus anderen Stadtteilen, ist jedoch besonders betroffen.

Jobs im Tafelladen sind beliebt

„Wir haben eigentlich 30 Mitarbeiter vom Jobcenter genehmigt bekommen, aber nur 19 davon sind tatsächlich da“, rechnet Sybille Reiter vor. Aber auch von denen seien nicht alle voll einsatzfähig – oder sie sind nur für vier Stunden am Tag einsetzbar. Der Tafelladen musste deshalb seine Öffnungszeiten am Nachmittag um eine Stunde reduzieren. Einkaufen ist da jetzt nur noch vormittags von 10 bis 13 Uhr und nachmittags von 14 bis 15 Uhr möglich.

Die Menge der vorwiegend leicht verderblichen Ware wie Obst, Gemüse, Molkereiprodukte und Backwaren, die Groß- und Einzelhandel spenden, muss transportiert, aussortiert und später in die Regale eingeräumt werden. Das ist die Aufgabe der Mitarbeiter, die das Jobcenter bisher vermittelt hat: Langzeitarbeitslose sowie Menschen, die aus verschiedenen Gründen schwer auf dem Arbeitsmarkt vermittelbar sind und so auf dem zweiten Arbeitsmarkt eine Beschäftigungsmöglichkeit erhalten. „In den Vorjahren waren die Jobs in den Tafelläden immer gut nachgefragt. Das sind einfache Tätigkeiten, und sie sind bei den Leuten beliebt“, berichtet Heimerdinger.

Das Jobcenter hat jetzt andere Vorgaben

Die Schwäbische Tafel ist augenscheinlich bei der Reform der Maßnahmen zur Wiedereingliederung von Langzeitarbeitslosen seitens des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales zwischen die Fronten geraten. Das vermutet der Sprecher des Jobcenters, Christopher Haag. 2012 trat die Regelung in Kraft, dass die betreffende Klientel für die sogenannten Arbeitsgelegenheiten – sprich die Ein-Euro-Jobs – innerhalb einer Zeitspanne von fünf Jahren nur noch insgesamt 24 Monate in einem derartigen Beschäftigungsverhältnis auf dem zweiten Arbeitsmarkt tätig sein darf. Damit reduziert sich die Anzahl derer, die das Jobcenter nach dieser rechtlichen Vorgabe an die Schwäbische Tafel vermitteln kann, erheblich.

Reform schlägt als Bumerang zurück

„Wir wollen jetzt sehen, ob wir in der Zielgruppe Leute finden, für die die Zuweisung in eine Arbeitsgelegenheit für die Schwäbische Tafel sinnvoll ist“, kündigt Haag an. Aber noch eine weitere bundesweite Reform schlägt jetzt kurzfristig wie ein Bumerang auf die Mitarbeiterzahl der Tafel zurück. Das Arbeitsministerium bietet seit Ende 2015 unter dem Titel „Soziale Teilhabe am Arbeitsmarkt“ ein qualitativ besseres Programm für die Integration von schwer vermittelbaren Menschen an. Auch damit konkurrieren die traditionellen Arbeitsgelegenheiten.

Die Tafel hat in ihren vier Läden insgesamt 30 derartige neue Stellen der „sozialen Teilhabe“ bewilligt bekommen. „Wir sind im Gespräch mit der Tafel, ihr mehr Plätze in diesem Bundesprogramm anzubieten“, sagt der Sprecher des Jobcenters.