Eine aktuelle Studie zeigt: Die Freizügigkeit in Europa nützt uns. „Sozialtourismus“ ist ein Randphänomen.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Armin Käfer (kä)

Berlin - Seit 25 Jahren wird darüber gestritten, ob Deutschland sich als Einwanderungsland verstehen sollte. Inzwischen sind wir es tatsächlich – und das zum Vorteil auch der Einheimischen. Zu diesem Schluss kommt das am Freitag veröffentlichte Jahresgutachten des Sachverständigenrats deutscher Stiftungen für Integration und Migration. Namhafte Unternehmen unterstützen diesen Verbund, darunter Volkswagen, Bertelsmann, Vodafone und Hertie.

 

„Deutschland ist vom Auswanderungs- zum Einwanderungsland geworden“, lautet das Fazit von Christine Langenfeld, die dem Sachverständigenrat vorsteht. 2012 reisten mehr als eine Million Menschen ein, um in der Bundesrepublik zu bleiben. Das waren 400 000 mehr als weggezogen sind. Zwei Drittel der Einwanderer stammen aus der Europäischen Union. Sie sind im Durchschnitt jünger und besser ausgebildet als die einheimische Bevölkerung.

„Armutszuwanderung“ ist eine Ausnahme

Die Freizügigkeit innerhalb der EU habe sich zum „Erfolgsmodell“ entwickelt, von dem die Bundesrepublik in besonderem Maße profitiere. „Qualifizierte Zuwanderung stärkt auch die sozialen Sicherungssysteme“, so ein Befund der Studie. Die Zuwanderung habe „zum ersten Mal seit 15 Jahren wieder ein Maß erreicht, das den demografischen Wandel und seine Auswirkungen abfedern kann“.

Die wichtigsten Herkunftsländer der Einwanderer sind Polen (2011 kamen von dort 65 000 Menschen mehr nach Deutschland als weggezogen sind), Rumänien (knapp 38 000), Bulgarien (23 000) und Ungarn (17 000). Die EU-Migranten seien „in der Regel jung, motiviert und qualifiziert“. Laut Christine Langenfeld ist eine „Armutszuwanderung bisher die Ausnahme, nicht die Regel“. Es gebe keine Indizien für „Sozialtourismus“ in großem Stil, sagt die Völkerrechts-Professorin aus Göttingen. Migranten, die hauptsächlich wegen der Segnungen des deutschen Sozialstaats einwanderten, gebe es „eher gefühlt als real“.

Debatte über Migration leidet an „maßlosen Übertreibungen“

Drei Viertel der Einwanderer aus Rumänien und Bulgarien gingen in der Bundesrepublik einer Erwerbstätigkeit nach. Die Anzahl der EU-Migranten, die in Deutschland tatsächlich Sozialhilfe kassierten, werde „regelmäßig überschätzt“, heißt es in der Studie. Rüdiger Frohn, Vorsitzender des Kuratoriums der Stiftungen, betont: Die Debatte über dieses Phänomen sei „von Vorurteilen, Chauvinismus, Populismus und maßlosen Übertreibungen geprägt“.

Ungeachtet der als positiv bewerteten Trends gebe es noch eine Reihe von Barrieren für die Freizügigkeit in Europa, beklagen die Stiftungen. Dazu zählten die unterschiedlichen Bildungsabschlüsse. Christine Langenfeld kritisierte jene Bundesländer, die bisher noch kein eigenes Gesetz zur Anerkennung ausländischer Abschlüsse geschaffen haben. Dazu zählt auch das grün-rot regierte Baden-Württemberg. Der Stiftungsverbund setzt sich zudem dafür ein, ausländische Lehrer, die in der Europäischen Union ausgebildet wurden, auch dann in Deutschland zuzulassen, wenn sie nur ein Fach unterrichten können. Bisher werden zwei Unterrichtsfächer verlangt. Moniert wird, dass ausländische Fachkräfte nur unzureichend unterstützt würden, wenn sie sich in Deutschland nachqualifizieren wollen. Dabei hapere es vor allem an finanziellen Hilfen. Diese seien unzureichend.