Gunter Wlasak wird gebraucht, wenn Arbeiten an Hochspannungsleitungen nötig sind. Mit dem Hubschrauber fliegt er Monteure ganz dicht an die Drahtseile – ein kalkuliertes Risiko.

Die Rotorblätter drehen sich schneller und schneller. Der Pilot Gunter Wlasak und sein Co-Pilot werden durchgerüttelt. Der Motorenlärm dringt gedämpft durch ihre Ohrenschützer. Es riecht nach verbranntem Kerosin. Über sich können sie die Rotorblätter jetzt nur noch als graue Scheibe erkennen. Wlasak sitzt rechts im Cockpit. Seine linke Hand liegt auf dem Pitch, einem Hebel, der aussieht wie eine Handbremse. Doch als er daran zieht, hebt der Hubschrauber ab. Erst schaukelt er wie ein Skilift, dann hat Wlasak ihn austariert. Mit der rechten Hand am Steuerknüppel zwischen seinen Knien, fliegt er den Hubschrauber vorwärts.

 

Rund 1700 Menschen in Deutschland starten und landen beruflich Helikopter. Aber Wlasak ist ein überdurchschnittlicher Pilot. Was er heute macht, ist die höhere Schule. In einem Aluminiumkorb, der an 20 Meter langen Drahtseilen am Hubschrauber befestigt ist, muss er zwei Männer an eine Hochspannungsleitung heranfliegen und regungslos über ihr stehenbleiben. Die Männer sollen Plastikstreifen am obersten Seil, dem Blitzschutzseil, anbringen, um Vögel zu warnen. Soweit Wlasak weiß, ist er der Einzige in Deutschland, der solche Manöver mit einem Korb am Helikopter derzeit fliegt.

Langsam steigt er auf. Unter dem Hubschrauber spannen sich die Seile. So behutsam wie möglich hebt Wlasak den Alukorb in die Lüfte und dreht ab. Gunter Wlasak träumte schon als Kind vom Fliegen. „Meine Nase ging immer in den Himmel, wenn etwas darüber geflogen ist“, sagt er. Wahr wurde dieser Traum 1979 bei der DDR-Fluggesellschaft Interflug in Leipzig. Mit 23 Jahren begann Wlasak dort seine Ausbildung zum Berufshubschrauberführer. „Der erste Freiflug, das erste Mal völlig allein in der Luft, das war einer der schönsten Momente in meinem fliegerischen Leben“, erinnert er sich. Nach der Ausbildung wurde er nahtlos übernommen. Und sein Leben lang habe er keine andere Arbeit machen wollen, sagt er. Denn auch spätere Flüge ließen den 58-Jährigen immer wieder spüren, warum er sich diesen Beruf ausgesucht hat: „Ich bin mal von Zürich über die Alpen vorbei am Mont Blanc nach Aosta in Italien geflogen. Der Ausblick hat schon was“, sagt er.

Keine Augen für die schöne Landschaft

Jetzt liegen Rheinhausen und Herbolzheim unter ihm, vor ihm der Europapark Rust, zur Linken verläuft der Rhein. Doch Wlasak sieht das nur aus dem Augenwinkel. Seine Aufmerksamkeit gilt allein den Spiegeln vor dem Cockpit, in denen er die beiden Männer im Korb dahinsausen sieht. Sie sind festgegurtet und tragen einen Helm. Wenn Wlasak zu niedrig fliegen würde könnten sie sie mit 60 Kilometern pro Stunde in die Bäume schlagen. Auf die zahlreichen Geräte, die Höhe, Geschwindigkeit, Kraftstoffvorrat, Öldruck und Öltemperatur messen, achtet deshalb der Co-Pilot. Der zweite Pilot passt auch auf, dass dem Hubschrauber nichts entgegenkommt.

„Das Wichtigste ist, dass wir uns gegenseitig vertrauen“, sagt Wlasak. Und damit meint er nicht nur sich und seinen Nebensitzer. Uta Hauber, Juniorchefin bei der Oedheimer Luftfahrtreederei Meravo, bei der Wlasak angestellt ist, steht in Sichtweite unter der Hochspannungsleitung. Sie horcht genau hin, ob alles normal klingt und beobachtet, ob etwas herunterfällt. Für solche Manöver dürfen nur Hubschrauber mit zwei Triebwerken eingesetzt werden. Trotzdem würde der Helikopter bei Ausfall eines Triebwerkes absacken, bis der Pilot die Leistung des zweiten angepasst hätte. Verfängt sich der Hubschrauber in den Seilen, besteht für die Beteiligten Lebensgefahr. Damit das nicht passiert, muss das Team konzentriert, präzise und reaktionsschnell arbeiten. „Die größte Herausforderung ist cool zu bleiben“, sagt der Pilot. Dabei ist ihm anzumerken, dass ihn nicht viel aus der Ruhe bringen kann.

Ein gefährlicher und verantwortungsvoller Beruf

Kurz vor der Hochspannungsleitung verlangsamt Wlasak das Tempo. Über Funk hält er Kontakt zu zwei weiteren Teamkollegen. Am Boden misst ein Mann mit einem Lasermessgerät, wo die Vogelwarner angebracht werden sollen. Er dirigiert den Piloten jetzt nach rechts. Einer der Männer im Korb schätzt ein, wie weit Wlasak noch steigen und vorwärts fliegen muss. Ob die geschätzten drei Meter tatsächlich drei Meter sind, kann Wlasak nicht wissen. Während sich der Korb dem Blitzseil nähert, zählt der Kollege unter ihm rückwärts. So schätzt er die Entfernung ab.

Schließlich steht der Hubschrauber ganz still über der Leitung. Bis ein Pilot den Hubschrauber so bewegungslos in der Luft halten kann, muss er lange üben. Denn der Hubschrauber gerät durch die Rotation ins Trudeln, wenn der Pilot nicht gefühlvoll gegensteuert. Wlasak hat inzwischen mehr als 15 000 Flugstunden hinter sich. Wäre er die am Stück geflogen, wäre er seit über 625 Tagen in der Luft. Als erfahrener Flieger unterrichtet er auch junge Piloten in Theorie und Praxis. Die haben Fächer wie Navigation, Aerodynamik und Wetterkunde. Sie müssen lernen, wie man sich in der Luft orientiert, wie man Geschwindigkeit in Knoten und Höhe in Fuß berechnet und wie ein Hoch und ein Tief entsteht. Für jeden Hubschraubertypen gibt es einen eigenen Führerschein und einmal im Jahr wird nachgeprüft. Gunter Wlasak darf fünf Helikopter fliegen.

Die Männer im Korb ziehen das Blitzschutzseil zu sich. Sie halten es immer etwas auf Spannung nach oben. Sackt der Hubschrauber ab, bewegt es sich in seine alte Position und der Pilot kann rückwärts aus den Leitungen fliegen. Nach nur einer Minute haben sie die Drahtspirale mit den schwarzen und weißen Plastikstreifen befestigt. Störche und andere Zugvögel können das unscheinbare Seil nun rechtzeitig sehen und ausweichen. Die Markierungen werden an Leitungen angebracht, die Vögel besonders häufig kreuzen. Dirigiert von den Kollegen setzt der Pilot zurück und steuert den nächsten Montagepunkt an.

Im Einsatz nur 25 Minuten in der Luft

Wlasak und seine Kollegen sind bei diesem Einsatz immer nur 25 Minuten in der Luft. Dann kehren sie zum Tankwagen zurück. Der Hubschrauber soll möglichst leicht sein und wird deswegen nicht vollgetankt, sogar die Türen sind ausgebaut. Genau über einem PKW-Anhänger bleibt Wlasak stehen. Ganz langsam balanciert er den Korb auf die Ladefläche. Dann steuert Wlasak rückwärts und sinkt. Der Wind der Rotoren drückt das Gras zu Boden. Sanft setzt der Helikopter auf. Pilot und Co-Pilot schauen sich zufrieden an. „Fliegen heißt landen“, sagt Wlasak. Das sei eine der schwierigsten Flugphasen.

Bisher ist Wlasak immer wieder gut herunter gekommen. Einsätze über Hochspannungsleitungen fliegt er fünf bis sechs Mal im Jahr. Sonst kalkt er versauerten Waldboden, sprüht Weinberge, misst die Feldstärke um Fernsehsender, transportiert Personen und Lasten, setzt Bauteile in Brücken und Burgen ein. Der Pilot aus Ilmenau in Thüringen ist für diese Aufträge häufig tagelang unterwegs, auch im europäischen Ausland. Dann müssen seine Frau und die drei erwachsenen Kinder auf ihn verzichten. Dafür hat er nach seiner Rückkehr in das selbst gebaute Familienheim einiges zu berichten: Als VIP-Chauffeur hat er schon die ehemaligen Verteidigungsminister Volker Rühe und Rudolf Scharping sowie Ex-Rennfahrer Niki Lauda von A nach B gebracht. Eine Zeit lang ist Wlasak auch Rettungshubschrauber geflogen, hat Verletzte getragen und den Tropf gehalten.

Manchmal hat Wlasak in der Luft brenzlige Situationen erlebt, aber darüber möchte er nicht reden. Das hat offenbar mit seinem Beruf zu tun. Denn auch Meravo-Geschäftsführer Bernd Hauber spricht nicht gerne über die Gefahren. „Wenn man sich alle Risiken vor Augen hält, ist das berufsbehindernd“, sagt er. Aber sie sind darauf vorbereitet: Alle sechs Monate trainieren die Hubschrauberführer Notverfahren. Wenn plötzlich Nebel aufkommt, sollen Piloten, die sich anhand von Flüssen und Straßen orientieren, so schnell wie möglich landen und nicht die letzten Kilometer blind zurücklegen. Wer gar keine Angst hat, gefährdet sich und andere. „Der Mensch ist nicht zum Fliegen geboren“, sagt Wlasak. Das dürfe man nie vergessen.

Infos zum Beruf des Hubschrauberpiloten

Berufsstand –
Das Luftfahrtbundesamt hat im vergangenen Jahr 1678 Berufslizenzen an Hubschrauberführer vergeben. Sie arbeiten bei Flug- und Spezialtransportunternehmen, der Bundeswehr, der Polizei und im Rettungsdienst.

Ausbildung – Berufshubschrauberführer werden ist teuer. Für viele ist die Offizierslaufbahn bei der Bundeswehr der einzige Weg in den Beruf. Jährlich werden 50 Anwärter eingestellt, die sich in Eignungstests durchsetzen müssen.

Gehalt – In der Branche werden zwischen 4000 Euro und 7000 Euro im Monat gezahlt. Um Flugstunden zu sammeln, arbeiten Einsteiger oft für weniger Geld. Erfahrene Piloten verdienen in Einzelfällen mehr.