Dietmar Sickinger hat einen der tiefstgelegenen Arbeitsplätze im Land: Er baut unter Tage Salz ab. Wir haben ihn dort besucht und starten damit unsere Sommerserie über ungewöhnliche Arbeitsplätze.

Stadtentwicklung & Infrastruktur: Andreas Geldner (age)

Haigerloch-Stetten - Dietmar Sickingers Unterwelt ist fast so groß wie Manhattan. Droben an der Erdoberfläche wirkt die Verladeanlage des Salzbergwerks in Haigerloch-Stetten bescheiden. Doch darunter ist binnen 160 Jahren eine Parallelwelt entstanden. Endlose Kilometer an Gängen und Querschlägen durchziehen in einem geometrischen Gittermuster den Untergrund in hundert bis hundertachtzig Meter Tiefe unter der Alboberfläche. Die bis zu 18 Meter dicke Salzschicht ist so stabil, dass sich die Stollen vier bis acht Meter hoch aus dem Berg sprengen lassen.

 

Sickinger mag diese abgeschottete, finstere, ganz besondere Welt. Fast dreißig Jahre unter Tage haben ihn gelehrt, den Berg zu lesen. Denn so strahlend weiß wie im Salzstreuer ist der Schatz aus den Tiefen des Berges nur selten. An den Ausbruchsstellen sind beispielsweise die Salzschichten an den Wänden grau marmoriert. Winzige Einschlüsse von Anhydrit lassen das Salz mal grau, mal tiefschwarz erscheinen – dazwischen liegen einzelne, grobe Blöcke in strahlendem Weiß. „Wenn die größer und häufiger werden, dann weiß man, dass die Schicht, die man abbauen kann, bald zu Ende ist“, sagt der Bergmann.

Die Spätschicht im Winter kann hart werden

Von der Sommerhitze droben ist in dem unterirdischen Labyrinth nichts zu spüren. Die Temperatur liegt jahrein, jahraus bei 17 Grad. Nein, das Tageslicht vermisse er nicht, sagt Sickinger: „Mir gefällt das hier unten. Sonst wäre ich ja auch nicht so lange dabei.“ Nur die Spätschicht im Winter könne bei dem einen oder anderen ein bisschen aufs Gemüt schlagen, wenn nach mehreren Stunden Arbeit im dunklen Schacht über Tage die Sonne schon untergegangen ist.

Wer die Lippen leckt, schmeckt dezent das Salz. Die Luft riecht angenehm. Salz sei gutmütig sagt Sickinger – im Kohlebergbau geht es enger zu und die Gefahren sind ganz andere. Um die Stollen aufzufüllen und Setzungen an der Oberfläche zu verhindern, hat man im Gegensatz zum Kohleabbau beispielsweise in der Regel ein paar Jahre Zeit. Der stabilen Geologie verdankt sich auch jenseits des Salzabbaus ein immer wichtiger werdendes Zusatzgeschäft: In den leeren Stollen werden Schlacken und andere Industrieabfälle entsorgt. Dort ist dann allerdings nicht mehr der dezente Solegeruch wahrzunehmen, sondern Ammoniak sticht in der Nase.

Bergleute sind in Baden-Württemberg sehr selten

Sickinger hat mit diesem Teil des Geschäfts, für das im Jahr 2008 eine neue Zufahrtsrampe für Lkw gebaut wurde, nichts zu tun. In diesem Grubenabschnitt gibt es für die auswärtigen Lastwagenfahrer sogar Wegweiser, Kreuzungsschilder und Ampeln. Den Bergleute genügen für die Orientierung in ihrem Stollengewirr schwarz an die Wände gekritzelte Nummern.

Als Bergmann gehört Sickinger auch in seinem Unternehmen zu einer kleinen Gruppe. Acht Mann je Schicht genügen, um das Salz aus dem Berg zu brechen. Harte körperliche Arbeit wie zu Sickingers Anfangszeit Mitte der Achtzigerjahre gibt es heute nicht mehr. Damals mussten beispielsweise noch vier Mann, mit langen Aluminiumstangen bewaffnet, dafür sorgen, dass nach einer Sprengung alles lockere Gestein von Wänden und Decken gelöst wurde. Heute erledigt das eine Spezialmaschine. „Sie werden dabei aber immer noch ganz schön durchgerüttelt – und das merkt man am ganzen Körper,“ sagt Sickinger. Den Rüttler bedienen müssen die Bergleute deshalb abwechselnd nur alle paar Tage. Bergmann ist immer noch ein Männerberuf. In Stetten haben zwar ab und zu Praktikantinnen sozusagen Bergluft geschnuppert. Doch die Frauen taten das im Rahmen eines Ingenieursstudiums. Auch Sickingers Tochter hat sich das Bergwerk angeschaut und war fasziniert. Aber sie studierte lieber Chemie.

Der Barbara-Tag wird jedes Jahr begangen

In Baden-Württemberg ist Sickinger mit seinem Job unter Tage ein Exot. Nur sechs Bergwerke gibt es in Baden-Württemberg, zwei davon fördern Salz: In Bad Friedrichshall-Jagstfeld und Haigerloch-Stetten. Das Bergwerk auf der Alb ist das kleinere von beiden. Während man in Stetten rund 500 000 Tonnen Steinsalz fördert, das zumeist in das Chemiewerk des Eigentümers Wacker AG im 400 Kilometer entfernten bayerischen Burghausen geliefert wird, hat das Bergwerk bei Heilbronn etwa die zehnfache Produktionskapazität. Dort wird auch Speisesalz hergestellt. Sickingers Bergmannsdasein ist deshalb besonders exklusiv. Selbst von den Lehrlingen bei Wacker Chemie wird nur alle paar Jahre einer tatsächlich Bergmann.

Auch in Stetten pflegen die Bergleute den Zusammenhalt. Jedes Jahr am 4. Dezember versammeln sich die Arbeiter nach der Schicht zu einer Feier zu Ehren der Heiligen Barbara, der Patronin der Bergleute und Tunnelbauer. Die gelernten Hauer ziehen ihre Bergmannstracht an und gehen gemeinsam zum Gottesdienst. Auch wenn moderne Maschinen den Beruf leichter gemacht haben, lebt der Mythos weiter. „Wir Bergleute sind eine große Familie“, sagt Sickinger. Zu den regelmäßigen Bergmannstreffen in Baden-Württemberg kommen auch Vertreter aus Orten, an denen die Anlagen unter Tage schon seit vielen Jahren stillgelegt sind. Die goldenen Zeiten des Berufs seien allerdings vorbei. Eine staatliche Zusatzprämie für Bergleute, wie noch zu Sickingers Anfangszeit, gibt es heute nicht mehr.

Tonnenschwere Kolosse

Doch immer noch hält er seine Tätigkeit für einen abwechslungsreichen und spannenden Beruf. Kein Tag unter Tage sei wie der andere. In dem kleinen Team der Bergleute muss jeder im Prinzip alles können. Sprengen, Abbauen, Verladen – je nach Bedarf muss eine der insgesamt achtzig Maschinen vom Bohrgerät bis zum 40-Tonnen-Schwerlastkipper bedient werden können. Der Umgang mit den tonnenschweren Kolossen mache Spaß, sagt Sickinger: „Als kleiner Junge hat man sich so etwas immer gewünscht – und hier wird man auch noch dafür bezahlt.“

Doch der Beruf ist nur etwas für gewissenhafte Arbeiter. Denn auch wenn der Salzbergbau weniger gefährlich ist als das Schürfen nach Kohle, verlangt die Arbeit dennoch höchste Aufmerksamkeit und Konzentration. Über jedes Gramm Sprengstoff muss beispielsweise genau Buch geführt werden. Vor dem Sprengen müssen manchmal Hunderte von Bohrlöchern präzise sitzen. Auch das Sauerstoffgerät, das jeder bei sich tragen muss und das jedem Besucher in die Hand gedrückt wird, erinnert daran, dass etwa ein Feuer im Berg höchst gefährlich ist. Doch jede Baustelle sei riskanter, sagt Sickinger, der sein Berufsleben als Zimmermann auf dem Bau begann und sich dann nach einer Tätigkeit in der Werkstatt des Bergwerks als Seiteneinsteiger zum Hauer hochgedient hat. Er schätzt an seinem Beruf die Verlässlichkeit. Die Produktionsziffern steigen, Konkurrenz aus China hat er nicht zu befürchten: „Und auf dem Bau hattest du um die Weihnachtszeit wegen des Winterwetters plötzlich nichts zu tun – hier bekommst du dein Weihnachtsgeld.“

Es gibt auch stille Momente im Bergwerk

Die Arbeit im Berg bedeutet für ihn ein Stück Freiheit. Während der Arbeit verteilt sich das kleine Häuflein der Arbeiter weit im Labyrinth der Gänge. „Mit Ausnahme der Pausen bist du während deiner Schicht normalerweise allein“, sagt Sickinger. Trotz des Lärms der Maschinen, der gelegentlich aus weit entfernten Gängen an das Ohr dringt, gibt es deshalb immer wieder auch stille Momente. Dann wird Sickinger sich immer wieder bewusst, dass das Salz schon seit 230 Millionen Jahren unberührt im Berg geschlummert hat: „Ich finde es heute noch einen ganz besonderen Moment, wenn ich mir vorstelle, dass ich an Orte vordringe, die noch nie zuvor ein Mensch gesehen hat.“

Eine exklusive Gruppe

Berufsstand:
Der 51-jährige Bergmann Dietmar Sickinger darf sich in Baden-Württemberg als Mitglied einer seltenen Berufsgruppe fühlen. Laut dem Landesamt für Geologie, Rohstoffe und Bergbau arbeiteten 2013 in den sechs baden-württembergischen Bergwerken insgesamt 430 Bergleute unter Tage. In Haigerloch-Stetten sind es 25 von 73 Beschäftigten. Eine ganze Reihe von ihnen sind wie Sickinger, der 1985ins Unternehmen kam und seit 1988 unter Tage arbeitet, selbst Quereinsteiger. Ergänzend zu einer bestehenden Berufsausbildung werden sie in Stetten in einem Zeitraum von mehreren Jahren zu Hauern fortgebildet, wie Bergleute in der Fachsprache heißen.

Gehalt: Vom Staat einst gezahlte Bergmannszuschläge, die obendrauf auf das Gehalt kommen, gibt es nicht mehr. Heute ist – je nach Berufserfahrung – ein Verdienst von 2800 Euro bis 3900 Euro im Monat möglich.