Die Lernwerkstatt Handwerk und Technik (HuT) ist ein niederschwelliges Arbeitstraining für Flüchtlinge nach dem Prinzip Vormachen, Nachmachen, Üben, Kreativ sein. Das rein ehrenamtlich geführte Projekt gilt als Erfolgsmodell für eine erste Vorbereitung in den Arbeitsmarkt. Das Interesse der Betriebe in der Region sei groß, sagt HuT-Leiter Ludwig Majohr.

Schwäbisch Gmünd - Schlag 15 Uhr füllt sich die alte Waffenkammer in der einstigen US-Kaserne im Schwäbischer Gmünder Stadtteil Hardt. Flüchtlinge aus Eritrea, Gambia, Pakistan, Syrien und Afghanistan wollen im Haus 407 an der Lernwerkstatt Handwerk und Technik (HuT) teilnehmen, die Ludwig Majohr dort eingerichtet hat. Die Idee: Flüchtlinge lernen einfache handwerkliche Tätigkeiten, die Fachsprache und den deutschen Arbeitsschutz kennen. Das Ziel: Flüchtlinge auf den Arbeitsmarkt vorbereiten, und zwar so schnell wie möglich. Die Methode: Vormachen, Nachmachen, Üben, kreativ sein.

 

Dazu brauche es keine Deutschkenntnisse, sagt der langjährige Berufsschullehrer Majohr. Ihm und seinem Team ist wichtig, den Flüchtlingen möglichst bald nach ihrer Ankunft eine sinnvolle Beschäftigung und eine erste Grundausbildung zu geben, und zwar unabhängig von ihrem Herkunftsland oder ihrem Aufenthaltsstatus. Schließlich könnten auch all diejenigen, die in ihr Heimatland zurückkehren müssen, die erlernten Fertigkeiten dort gut gebrauchen und sich als Handwerker betätigen.

Erste deutsche Arbeitstugend: Pünktlichkeit

Das oberste Gebot heißt Pünktlichkeit, das haben Majohr und sein Helferteam – darunter Handwerker, Kaufleute und ein pensionierter Pfarrer – den Geflüchteten bereits eingeschärft. Ebenso selbstverständlich ist die Eintragung ins Arbeitsbuch, in dem die Anwesenheit dokumentiert wird und der Griff zu den blauen Arbeitsjacken – eine Firmenspende. Dann sitzen alle am großen Besprechungstisch.

Der Andrang ist an diesem Tag so groß, dass Ludwig Majohr einige wieder wegschicken muss – junge Leute, die in die Sprachklassen an den Berufsschulen gehen. Sie sollen um 18 Uhr zur zweiten, kürzeren Schicht wiederkommen. Zweimal die Woche ist die Lernwerkstatt geöffnet, von 15 bis 19.30 Uhr. „Ich habe leider nur zehn Arbeitsplätze“, sagt der 69-jährige Fahrzeugschlosser, Ingenieur der Fertigungstechnik, der Elektrotechnik sowie Diplomingenieur der Pädagogik. 13 Flüchtlinge bleiben schließlich, darunter drei, die längst das Werkstattprogramm – mindestens 30 Anwesenheitstage – durchlaufen und ihr Teilnahme-Zertifikat mit Siegel des Ostalbkreises erhalten haben.

Die Werkstattsprache ist Deutsch

Für die drei sei die Lernwerkstatt „ihr Wohnzimmer, ihr Fixpunkt in der Woche“, verdeutlich Majohr deren Bindung an Projekt und Team. Den 30-jährigen Amadou Keita aus Gambia lobt der HuT-Leiter als „begnadeten Handwerker“. Er sei schon lange dabei, dürfe alle Maschinen bedienen und trage als Assistent einen grauen Arbeitskittel. Dass er noch immer keinen Job gefunden habe, liege an seinen Schwierigkeiten, die deutsche Sprache zu lernen. Dafür hat Ludwig Majohr Verständnis, er sei selbst „kein Sprachgenie“, gesteht er. Deshalb, und weil die Teilnehmer auf das Arbeitsleben in Deutschland vorbereitet werden sollen, ist die Sprache in der Werkstatt Deutsch. Nur im Zweifelsfall werde notdürftig „Denglisch“ gesprochen.

„Guten Tag, wie geht es Ihnen?“ Mit einfachen Übungen startet jeder Werkstatttag, Ernst Essig (71), früher im EDV-Bereich tätig, gibt heute Deutschunterricht mit Hilfe des von den Ehrenamtlichen erarbeiteten Lehrbuchs „Deutsch in der Werkstatt“. Das Wort-Bild-Buch hat Heinrich Hoffmann, ein pensionierter Pfarrer, gezeichnet und gestaltet. Hier werden in zehn Kapiteln Grundbegriffe vermittelt: vom Arbeitsschutz über Holz oder Elektrizität hin bis zum Baumarkt. Man lernt Fachbegriffe wie Gehrungslade, Feinschliff und grobe Körnung, Eckverbindungen – stumpf, verplattet, gekröpft, verzapft, gezinkt, geschwalbt – Wasserwaage, Fliesenkeile, Hutmutter und vieles mehr.

Dann erst geht es an die Werkbänke. Maschinen, Werkzeug, Arbeitsmaterialien wie Holz, Glas, Draht – die Lernwerkstatt ist voll davon, alles ist ordentlich sortiert und beschriftet, gespendet von Privatleuten oder Firmen. Selbst kaputte Maschinen werden angenommen – auch diese taugen als Unterrichtsgegenstand, zum Zerlegen, Demontieren, Recyceln, sagt Majohr.

Glas schneiden ist gefragte Fertigkeit beim Wiederaufbau

Glas schneiden steht an diesem Tag an, das könnten heutzutage nicht mehr nicht viele, sagt der HuT-Leiter. Diese Fertigkeit aber könnte bei der Rückkehr und beim Wiederaufbau in zerstörten Kriegsgebieten „Gold wert sein“, davon ist Ludwig Majohr überzeugt. Das Glas zuvor putzen, sonst holpere der Glasschneider über die glatte Fläche, erklärt er und verdeutlicht gleichzeitig das Gesagte mit Mimik und Lauten. Die Männer begreifen schnell, müssen aber mehrfach nachschneiden, bevor sie – „mit den Fingern, nie mit der ganzen Hand!“ – die Scheiben festhalten und an der Tischkante brechen können. Der frühere KfZ-Mechaniker Georg Hordi (71) hilft und ermuntert den 21-jährigen Muhudjin aus Somalia. „Schon ganz gut, noch einmal bitte“ – bis die Glasscheibe Schnitt für Schnitt völlig zerkleinert ist.

Bei der nächsten Aufgabe ist Kreativität gefragt. Die Männer sollen eigene Lösungen finden, wie sie den dünnen Griffdraht in einem selbst betonierten Beschwerer ummanteln, damit dieser beim Tragen nicht in die Handfläche schneidet. Der schnelle Griff zu einem Rohr bringt keine Lösung – wie kommt das Metallrohr auf den Griffdraht? Majohr und Hordi beobachten gespannt die Männer. Mit einem Holzbesenstiel, den sich der 19-jährige Ali Hassan aus Pakistan aus dem Materiallager ausgesucht hat, könnte es klappen, nicht aber mit den elektrischen Sägen. Die Nut, das merkt er schnell, muss von Hand gesägt werden, Majohr hilft beim Einspannen in den Schraubstock. Auf die Lösung des Lehrers aber kam niemand: einen dicken Draht mit einem Stock zur Spirale drehen und auf den dünnen Drahtgriff auffädeln.

Positive Rückmeldungen, Betriebe suchen Arbeitskräfte

Wer die Gmünder Lernwerkstatt durchlaufen hat, habe Disziplin bewiesen, könne mit Kreis- und Bandsäge sowie Bohrmaschinen umgehen, wisse über Auflagen des Arbeitsschutzes Bescheid, kenne die gängigen Maße und Messgeräte und könne einfache Berechnungen anstellen. Etliche Teilnehmer seien bereits in Minijobs und in Helfertätigkeiten vermittelt worden. 26 Männer haben einen festen Arbeitsplatz. „Wir bekommen sehr positive Rückmeldungen von den Betrieben“, sagt Majohr. Und weitere Anfragen nach Arbeitskräften.

Am nächsten Tag will er Kyberkhan aus Afghanistan zum Bewerbungsgespräch begleiten. Der 31-Jährige ist seit zwei Jahren anerkannt, seit fünf Jahren in Deutschland. Er träumt vom Lastwagenführerschein. „Zu teuer“, sagt er. In Afghanistan ist er acht Jahre lang für die Nato gefahren. Auch Mahmood Talat (27) aus Pakistan ist auf Jobsuche. Zur Zeit hat er einen Minijob bei einer Reinigung. In zwei Wochen aber bekommt seine Frau ein Baby, die Wiege hat er in der Lernwerkstatt gefertigt. „Ich brauche mehr Arbeit“, sagt Mahmood.

Lernwerkstatt als Erfolgsmodell

Bis Flüchtlinge in deutschen Firmen mitarbeiten können, ist es häufig ein langer Weg – nicht nur wegen der zunächst fehlenden Sprachkenntnisse. 80 Prozent der Flüchtlinge haben laut Schätzungen von IHK und Handwerkskammer keine direkt verwertbaren beruflichen Kenntnisse. Die Lernwerkstatt Handwerk und Technik (HuT) in Schwäbisch Gmünd ist ein niederschwelliges Arbeitstraining nach dem Prinzip Vormachen, Nachmachen, Üben, Kreativ sein. Das funktioniert auch ohne Sprachkenntnisse. Deutschunterricht gibt es begleitend, vermittelt werden Fachbegriffe aus dem Handwerk. Mehr als 300 Flüchtlinge haben seit 2014 teilgenommen, viele von ihnen wurden in Praktika und Jobs vermittelt, 26 haben einen festen Arbeitsplatz. Die Zukunft der ehrenamtlich geführten Werkstatt ist offen: Das Gebäude wird 2017 abgerissen.