Reportage: Akiko Lachenmann (alm)

Lena Wagner entschied sich daher gegen die Vorstandsassistenz und für eine Stelle bei der Firma Bosch. Am Standort Bühl arbeitet sie an der Entwicklung neuer Produkte mit und plant deren Fertigung in hoher Stückzahl. Das Frauenengagement von Bosch ist ihr bekannt: Seit zwei Jahren bietet der schwäbische Konzern Weiterbildungen an, die Frauen gezielt auf Führungslaufbahnen vorbereiten. Kinderwünschen kommt Bosch nach mit flexiblen Arbeitszeitmodellen und Unterstützung bei der Kinderbetreuung. Schließlich sollen bis zum Jahr 2020 bei Bosch 20 Prozent aller Führungspositionen mit Frauen besetzt sein.

 

Bosch ist keine Ausnahme. Auch Firmen wie Siemens und Daimler bieten Frauen attraktive Angebote, um sich frühzeitig in dem Gerangel um Mint-Fachkräfte zu positionieren. Für Frauen wie Lena Wagner gehen sie an die Grenzen ihrer Flexibilität.

In der Männerwelt rufen die aufstrebenden Frauen teilweise Angst und Unmut hervor. Und teilweise Erleichterung, sagt Professorin Susanne Ihsen, die auf dem Gebiet Gender Studies im Bereich Natur- und Ingenieurwissenschaften forscht. Denn einige Männer würden gerne weniger arbeiten und mehr Zeit mit der Familie verbringen: „Auch Männer müssen sich an einem Rollenbild messen, das nicht immer ihren Wünschen entspricht.“ Auch sie dürften es leichter haben, wenn an der Spitze ein paar Frauen agieren, die vielleicht mehr Verständnis für fürsorgliche Väter aufbringen.

Mindestens zwei sollten es pro Gremium oder Team schon sein, schreiben die Psychologinnen Eagle und Carli in ihrem Artikel im „Harvard Business Review“. Eine Frau allein werde oft als Quotenfrau betrachtet und nicht ernst genommen. Von den größten 160 börsennotierten Unternehmen in Deutschland hatten im vergangenen Jahr gerade mal drei Unternehmen zwei oder mehr Frauen im Vorstand.

Bis die gläserne Decke bricht und der Weg nach oben offen ist, müssen ambitionierte Frauen wie Christiane Kroll auf einem schmalen Grat wandern. Beim Bogenschießen im Wald visiert sie ihr Ziel lange an. Nicht zu forsch, zu sanft, zu laut, zu leise – den Ton genau zu treffen und sich dabei treu zu bleiben, das könnte ihre neue Strategie sein. Diese Übung sei vielleicht die schwerste, sagt die Seminarleiterin Anne Schwarz. Denn zum Bogenschießen gehört, im richtigen Augenblick loszulassen.

Dabei haben international renommierte Ökonomen wie der Brite Eric Beinhocker längst klargemacht, dass beide Geschlechter zusammen bessere Ideen hervorbringen als einzeln – und klügere Entscheidungen treffen. Ähnlich wie in der Evolutionsbiologie: je größer die Vielfalt der Arten, aus denen selektiert wird, desto überlebensfähigere Populationen entstehen.

Beratungsfirmen wie McKinsey und Ernst & Young haben dazu jüngst ein Zahlenwerk geliefert. In groß angelegten Studien kommen sie, unabhängig voneinander, zu dem Ergebnis, dass sich Unternehmen mit Frauen im Vorstand wirtschaftlich besser entwickelt haben als Firmen ohne Vorstandsfrauen. Die Frauenquote ist nicht mehr nur ein Mittel der Gleichstellung. Sie ist ein Wirtschaftsfaktor.

Ob in der Erwartung einer gesetzlichen Quote oder aus eigener Überzeugung – die Konzerne haben reagiert: Alle Dax-30-Unternehmen haben sich verpflichtet, den Frauenanteil in ihren Führungspositionen, wenn auch unterschiedlich ambitioniert, zu erhöhen: Volkswagen peilt in acht Jahren elf Prozent an, Adidas in drei Jahren 35 Prozent. Diversity-Abteilungen wurden eröffnet, Genderbeauftragte eingestellt, Leitbilder abgeändert. Maßnahmen zur Frauenförderung sind in den Medien ein ständiges Thema. Alles sieht nach Wandel aus.

Der Arbeitgeber von Christiane Kroll ist kein Dax-Konzern. Die Firma gehört, wie 99 Prozent aller deutschen Unternehmen, zu den kleinen und mittleren Unternehmen, die weniger Aufsehen erregen und noch weniger über Gleichstellung nachdenken. Kroll ist in der Kommunikationsbranche tätig – eine Frauendomäne, in der Männer das Sagen haben. Ihr ehemaliger Chef gab ihr viele gut gemeinte Tipps. „Zeige nie deine Gefühle!“ „Mehr Pokerface!“

Den Sprung wagen

Sieben Meter hoch ist der Baumstamm, von dem sie springen soll. „Hier oben sollen die Frauen erfahren, dass sie ihre Furcht überwinden können“, sagt die Seminarleiterin Anne Schwarz. Die Plattform ist winzig. Christiane Kroll richtet sich auf und ruft beim Sprung ihren neuen Glaubenssatz aus: „Ich darf so sein, wie ich bin.“

Lange Zeit war sie eine andere. Sie besuchte zig Managerseminare, feilte an Auftritt und Gestik. Sie absolvierte auch ein Sprechtraining, da es hieß, sie habe eine zu flache Stimme. Von ihren männlichen Vorgesetzten schaute sie sich ab, wie man Interessen durchsetzt: energisch, mit Verve. Trotzdem kam sie nicht voran. Irgendwann dämmerte ihr, dass sie sich auf dem Holzweg befand. Männer mögen für forsches Auftreten geschätzt werden, Frauen nicht.

Die Psychologieprofessorinnen Alice Eagly und Linda Carli sprechen von einem Dilemma. „Verhalten sich Frauen feinfühlig und rücksichtsvoll, heißt es, sie seien nicht zielstrebig genug. Sind sie aber zielstrebig, so wird bemängelt, es fehle ihnen an Kooperationsbereitschaft“, schreiben sie im Managementmagazin „Harvard Business Review“. Männer hingegen würden für beide Verhaltensmuster geschätzt. Beispiel: wenn ein Mann in einer Sitzung anderer Meinung ist, hält man ihn für leidenschaftlich. Widerspricht eine Frau, gilt sie als herrschsüchtig. Und umgekehrt: Treten Frauen bescheiden auf, ist das selbstverständlich. Männer kriegen für Bescheidenheit dagegen viel Anerkennung.

Die Frauen, die Karriere gemacht haben, haben sich gefügt: Laut US-Magazin „Fortune“ halten es 96 Prozent von 1000 befragten weiblichen Führungskräften für „ziemlich wichtig“, einen Stil zu entwickeln, „mit dem Männer gut zurechtkommen“.

Personalnot in den Mint-Fächern

Doch es gibt Firmen, die sich Argwohn gegenüber dominanten Führungsfrauen nicht mehr leisten können. Alle Berufszweige, die Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik zum Inhalt haben, abgekürzt Mint, stehen vor einer großen Personalnot. Im Jahr 2015 dürften nach einer Studie des Vereins Deutscher Ingenieure dem deutschen Arbeitsmarkt eine Viertelmillion Ingenieure, Informatiker und Naturwissenschaftler fehlen. Migranten allein können dieses Loch nicht auffüllen – aber die Frauen. Immerhin haben sie die besseren Bildungsabschlüsse: 55 Prozent der Abiturientinnen sind weiblich.

In der Mint-Arbeitswelt lässt sich studieren, was alles möglich ist, um Frauen nach ganz oben zu katapultieren. Wer weiblich ist und Maschinenbau studiert hat, sieht einer rosigen Zukunft entgegen. So wie Lena Wagner, eine Absolventin der Graduate School of Excellence advanced Manufacturing Engineering. Die Stuttgarter Graduiertenschule wirbt damit, weibliche Doktorandinnen „hervorragend auszubilden und auf eine überwiegend männlich orientierte Berufspraxis vorzubereiten“. Vermutlich wird sich die junge Karlsruherin einmal leichter tun als Christiane Kroll.

In Seminaren hat sie gelernt, wann sich Männer anders verhalten. Dass sie etwa in Besprechungen eher das Wort direkt an den Chef richten. Frauen sprechen lieber die ganze Runde an. Oder dass Männer bei Vorträgen selten zeigen, wenn ihnen etwas gefällt, während Frauen zustimmend nicken. „Wenn ich vor Männern spreche und keine Reaktion sehe, werde ich nicht mehr nervös“, sagt Lena Wagner.

Die Graduate School vermittelte ihr außerdem einen Mentor, einen erfahrenen Daimler-Mitarbeiter, der sie in die Welt der Konzerne einführte. Er klärte sie über die Bedeutung von Netzwerken auf. An seiner beruflichen Laufbahn bei Daimler konnte Lena Wagner nachvollziehen, wo die Weichen gestellt werden. Als sie nach der Promotion einige attraktive Jobangebote auf den Tisch bekam, hat der Mentor bei der Entscheidungsfindung geholfen. Er riet ihr zu der Position, in der sie das Basisgeschäft kennenlernt. Das sei strategisch klüger und könnte ihr später in leitender Position helfen, andere von ihren Entscheidungen zu überzeugen.

Bosch will Frauen an die Spitze bringen

Lena Wagner entschied sich daher gegen die Vorstandsassistenz und für eine Stelle bei der Firma Bosch. Am Standort Bühl arbeitet sie an der Entwicklung neuer Produkte mit und plant deren Fertigung in hoher Stückzahl. Das Frauenengagement von Bosch ist ihr bekannt: Seit zwei Jahren bietet der schwäbische Konzern Weiterbildungen an, die Frauen gezielt auf Führungslaufbahnen vorbereiten. Kinderwünschen kommt Bosch nach mit flexiblen Arbeitszeitmodellen und Unterstützung bei der Kinderbetreuung. Schließlich sollen bis zum Jahr 2020 bei Bosch 20 Prozent aller Führungspositionen mit Frauen besetzt sein.

Bosch ist keine Ausnahme. Auch Firmen wie Siemens und Daimler bieten Frauen attraktive Angebote, um sich frühzeitig in dem Gerangel um Mint-Fachkräfte zu positionieren. Für Frauen wie Lena Wagner gehen sie an die Grenzen ihrer Flexibilität.

In der Männerwelt rufen die aufstrebenden Frauen teilweise Angst und Unmut hervor. Und teilweise Erleichterung, sagt Professorin Susanne Ihsen, die auf dem Gebiet Gender Studies im Bereich Natur- und Ingenieurwissenschaften forscht. Denn einige Männer würden gerne weniger arbeiten und mehr Zeit mit der Familie verbringen: „Auch Männer müssen sich an einem Rollenbild messen, das nicht immer ihren Wünschen entspricht.“ Auch sie dürften es leichter haben, wenn an der Spitze ein paar Frauen agieren, die vielleicht mehr Verständnis für fürsorgliche Väter aufbringen.

Mindestens zwei sollten es pro Gremium oder Team schon sein, schreiben die Psychologinnen Eagle und Carli in ihrem Artikel im „Harvard Business Review“. Eine Frau allein werde oft als Quotenfrau betrachtet und nicht ernst genommen. Von den größten 160 börsennotierten Unternehmen in Deutschland hatten im vergangenen Jahr gerade mal drei Unternehmen zwei oder mehr Frauen im Vorstand.

Bis die gläserne Decke bricht und der Weg nach oben offen ist, müssen ambitionierte Frauen wie Christiane Kroll auf einem schmalen Grat wandern. Beim Bogenschießen im Wald visiert sie ihr Ziel lange an. Nicht zu forsch, zu sanft, zu laut, zu leise – den Ton genau zu treffen und sich dabei treu zu bleiben, das könnte ihre neue Strategie sein. Diese Übung sei vielleicht die schwerste, sagt die Seminarleiterin Anne Schwarz. Denn zum Bogenschießen gehört, im richtigen Augenblick loszulassen.