Das Westallgäu und die Region Oberschwaben sind möglicherweise schon deutlich früher als angenommen besiedelt worden. Das haben Archäologen des Landesamtes für Denkmalpflege herausgefunden.

Politik/Baden-Württemberg: Rüdiger Bäßler (rub)

Kißlegg - Die Amtsarchäologen sind in Kißlegg angekommen, einer Kleinstadt im Kreis Ravensburg, an deren Rand das Alte Schloss liegt und gleich dahinter der schlammfarbene Zeller See. Eis überzieht schon die Uferbereiche, zwei Forschungstaucher unter der Leitung des Archäologen Martin Mainberger lassen sich mit Hightech-Gerät ins vier Grad kalte Moorwasser. Zum letzten Mal in diesem Jahr schwimmen sie den Seegrund ab, auf der Suche nach jungsteinzeitlichen Siedlungsspuren, womöglich Resten von Pfahlbauten. „Dass es diese Stelle gibt, ist relativ sicher“, sagt der Taucharchäologe.

 

Es gab schon verheißungsvolle Funde ganz in der Nähe, die in den von der Luft abgetrennten Nassböden kleiner Seen gefunden wurden. Im Degersee bei Kressbronn zum Beispiel, im Bernrieder Weiher bei Neukirch (beide Bodenseekreis), oder bei Bodnegg (Kreis Ravensburg). Dort sind rund 6000 Jahre alte jungsteinzeitliche Werkzeuge aufgetaucht, Reste von halbierten, gedörrten Wildäpfeln, von Menschenhand gesammelte Himbeer- und Erdbeersamen. Vorausgegangen waren meist Hinweise von Hobbyarchäologen oder Sammlern. Lange Zeit habe das Westallgäu östlich des gut erforschten Bodensees als fundfreie Zone gegolten, als unbekanntes Land, sagt Claus Wolf, der Präsident des Landesamts für Denkmalpflege. Mittlerweile habe sich herausgestellt: „Es scheint so etwas wie eine Linie vom Bodensee nach Osten zu geben, eine völlig neue Fundlandschaft.“

Gesucht wird zwischen Schussen und Aitrach

Mainberger fasst das noch etwas genauer. Die Landbesiedlung durch die ersten Menschen in Süddeutschland könnte sich entlang der Gewässerachsen vollzogen haben, und zwar sowohl von Nordosten als auch von Süden, vom südlichen Rhein her ebenso wie aus Richtung der Donau. Das südliche Württemberg und das Westallgäu, das ließe sich jetzt schon sagen, sei „definitiv eine kulturelle Drehscheibe“ für die Menschheitsbesiedlung in ganz Mitteleuropa. Das aktuelle Suchgebiet liegt zwischen den Flüssen Schussen und Aitrach.

Das interessiert auch die europäischen Nachbarn. Die laufenden Forschungsarbeiten, die noch bis 2018 andauern, wurden 2015 unter dem Projektnamen „BELAVI“ (Beyond Lage Villages, übersetzt: Jenseits der Seeufersiedlungen) gestartet. Auch Österreich und die Schweiz sind dabei. Den deutschen Finanzierungsanteil trägt die Deutsche Forschungsgesellschaft.

Die jungsteinzeitlichen Bauern jagten viel

Die jungsteinzeitlichen Bauern, die ihre Pfahlhäuser an den Rand von Seen und Gewässern setzten, waren offenbar höchst vielseitig und überlebensfähig. Sie hätten viel gejagt, aber auch „eine große Zahl von Wildpflanzen genutzt“, sagt Renate Ebersbach, seit kurzem Leiterin des Fachgebiets Feuchtbodenarchäologie beim Landesamt für Denkmalpflege. Die bisher gefundenen Wildäpfelreste seien beispielsweise mit Steinmessern zerteilt, gedörrt und als Winternahrung eingelagert worden. Auf 4300 vor Christus sind die meisten bisherigen Funde datiert worden, damit sind sie ebenso alt wie der überwiegende Teil der Pfahlbaureste am Bodensee.

Für eine letztgültige wissenschaftliche Einordnung der Funde sei es noch zu früh, sagt Archäologin Ebersbach. Die Auswertung dauere wohl noch Monate, wenn nicht Jahre. Besonders erhofft sie sich Antworten auf die Frage, „wie die Menschen auf Klimaveränderungen reagiert haben“. Dass so etwas möglich ist, hätte auch der Kißlegger Schlossherr Ferndinand Graf zu Waldburg nicht gedacht. Nicht einmal in den alten Chroniken des Schlosses aus dem 12. Jahrhundert, sagt er, finde sich ein Wort darüber, dass nur ein paar Meter entfearnt im nassen Untergrund etwas noch viel Älteres auf Entdeckung wartet.