Bereits vor 7500 Jahren waren Handwerker auf dem großen europäischen Fluss unterwegs. Das belegen Gegenstände aus Feuerstein. Der Handel in der Steinzeit muss recht lebhaft und weiträumig gewesen sein, wie Funde belegen.

Stuttgart - Kräftige Arme halten den Einbaum in der engen Flussschlinge in der Strömung. Gleich dahinter fließt die Donau wieder langsamer, und die Männer steuern ihr Boot mit den wertvollen Handelsgütern ans Ufer. Bauern aus einem Dorf hoch oben am Hang beobachten das Geschehen aufmerksam. Ihr Misstrauen weicht, als sie die Menschen im Einbaum erkennen: Die fliegenden Händler waren in den vergangenen Jahren schon ein paar Mal hier, sie verkaufen hochwertige Klingen aus Feuerstein. Bald sitzen Dörfler und Bootsleute gemeinsam am Flussufer, handeln eifrig und tauschen Tierhäute und andere Dinge, die sie im Überschuss haben, gegen neue Sicheln und Pfeilspitzen aus bestem Feuerstein. So ähnlich könnte vor vielen Jahrtausenden ein Handelstag der Steinzeit an der ältesten bisher entdeckten Wasserstraße der Welt ausgesehen haben, vermutet Alexander Binsteiner.

 

Der Geoarchäologe stammt aus Oberbayern, lebt seit 20 Jahren in Tschechien und hat in den letzten zehn Jahren praktisch jeden Feuerstein unter sein Mikroskop gelegt, den er in den Museen, Heimathäusern und archäologischen Sammlungen in Oberösterreich auftreiben konnte. Dieser Feuerstein entstand einst aus den Skeletten von Schwämmen im Meer. Unter dem Druck der sich darüber ansammelnden Sedimente wurde ihre Kieselsäure mit der Zeit zu festen Platten zusammengequetscht. Weil sich dieses Material hervorragend spalten und so zu scharfen Klingen und Schabern verarbeiten lässt, spielte Feuerstein in der Steinzeit eine ähnliche Rolle wie Stahl im Industriezeitalter. An den Lagerstätten dieses begehrten Rohstoffes entstanden steinzeitliche Bergwerke. So begannen Bergleute bereits vor etwa 7600 Jahren in der Nähe des niederbayerischen Arnhofen ungefähr auf halbem Weg zwischen Ingolstadt und Regensburg, bis zu acht Meter tiefe Schächte zu graben und abzustützen, aus denen sie das Material abbauten. Genau dieses Feuerstein-Bergwerk hat Alexander Binsteiner in den 1980er und 1990er Jahren ausgegraben.

Schmuck aus Spondylus-Muscheln

Unter dem Mikroskop erkennt der Geoarchäologe an winzigen Beimengungen, ob eine Klinge oder Sichel aus Feuerstein aus Arnhofen oder aus einem anderen Bergwerk geschlagen wurde. Viele der in Oberösterreich gefundenen Klingen und Schaber stammten nach dieser Analyse zwar aus der Region, in der sie auch gefunden wurden. Vor allem größere Messer und Sicheln aber waren recht häufig aus dem 200 bis 300 Kilometer entfernten Arnhofen und anderen Bergwerken im heutigen Bayern importiert worden. In Rutzing in der Nähe der oberösterreichischen Hauptstadt Linz wurde zum Beispiel in einem Grab gemeinsam mit Schmuck aus Spondylus-Muscheln, die aus dem Schwarzen Meer oder der Ägäis stammten, und einer Kette mit Eckzähnen von Hirschen auch eine sehr große und äußerst sorgfältig gearbeitete Pfeilspitze aus Arnhofener Feuerstein gefunden. Mehr als die Hälfte der Feuersteine der dort erforschten Steinzeitsiedlung war aus Bayern importiert worden. Gleichzeitig scheint sich die Oberschicht der Bauern von Rutzing mit Spondylus-Muscheln geschmückt zu haben. Mehr noch, vor 6000 bis 7000 Jahren tauchten die Feuersteine aus Bayern auch in den steinzeitlichen Siedlungen in der Umgebung des heutigen Stuttgart auf.

„Bereits damals muss es also eine Art Handelsstraße zwischen der Ägäis und dem Schwarzen Meer auf der einen und Niederbayern bis nach Schwaben und in das Rhein-Neckar-Gebiet auf der anderen Seite gegeben haben“, folgert Alexander Binsteiner aus solchen Funden. Der Geoarchäologe kann sich auch gut vorstellen, wie diese Handelsrouten aussahen. Entlang der Donau wuchsen damals dichte Urwälder, in den Sümpfen der Flussauen kam man kaum voran. Also sollten die Menschen auf dem Fluss selbst unterwegs gewesen sein. Zwar konnten Archäologen bisher an der Donau und ihren Nebenflüssen keine Einbäume aus dieser Zeit finden, weil Holz den Zahn der Zeit kaum überdauert, in Bulgarien aber fanden sie ein Tonmodell eines solchen steinzeitlichen Bootes – eine Wasserstraße als Handelsroute für Feuerstein und Spondylus-Muscheln lag also nahe.

Schaber aus Feuerstein belegt steinzeitlichen Handel

Den Beweis für diese Wasserstraße fanden die Hobby-Archäologen Gernot Krondorfer und Erwin Lindorfer dann an der Schlögener Schlinge, an der die Donau auf halbem Weg zwischen Passau und Linz durch einen engen 180-Grad-Bogen um einen Berggrat herumfließt. Genau dort, wo die Strömung viel schwächer wird und die Steinzeitmenschen auch mit Einbäumen sicher am Ufer anlanden konnten, fanden sie einen kleinen Schaber aus Feuerstein. Er lag seit mindestens 5000 Jahren dort und stammt aus dem Feuerstein-Bergwerk Arnhofen, bewies Binsteiner. Genau dort scheinen die Steinzeithändler also angelegt zu haben, den Schaber haben sie möglicherweise nur beim Tauschgeschäft verloren. Die Donau war also bereits vor etlichen Jahrtausenden eine wichtige Handelsstraße, die eine Europäische Union der Steinzeit miteinander verband.