Im Süden Englands haben steinzeitliche Jäger und Sammler vor 8000 Jahren schon Weizen gegessen, der weit entfernt angebaut worden ist. Das belegen Grabungen im Ärmelkanal, denn der Meeresspiegel ist seitdem um einige Meter gestiegen.

Stuttgart - Am Grund eines grünen Tals plätschert durch den lichten Eichenwald ein Fluss. An dessen Ufer leben Steinzeitmenschen, auf deren Speiseplan alles landet, was die Natur so hergibt: das Fleisch von Auerochsen, Rotwild und Haselhühnern, geröstete Haselnüsse und einiges mehr. Offensichtlich handelt es sich um eine Gruppe von Jägern und Sammlern, die in der Gegend der heutigen Insel Wight vor der Küste Südenglands zu Hause ist. Davon zeugen auch die geschickt bearbeiteten Feuersteine und Werkzeuge aus Holz. Nur der Ur-Weizen Einkorn passt nicht zum Bild von Jägern und Sammlern, denn dieses alte Getreide stammt aus dem Nahen Osten. Nirgendwo in den nördlicheren Regionen Europas wächst seine Verwandtschaft in der Natur.

 

Die Bauern der Steinzeit bauten Einkorn zwar an, auch Ötzi hatte Proviant mit diesem Ur-Getreide dabei. Nur haben Robin Allaby von der Universität im englischen Warwick und seine Kollegen, wie sie im Fachmagazin „Science“ berichten, auch nicht den allerkleinsten Hinweis auf den Anbau von Getreide bei den Hinterlassenschaften der Steinzeitmenschen gefunden. Das wiederum passt zu den bisherigen Erkenntnissen, nach denen die Landwirtschaft erst vor 6000 Jahren auf den heutigen Britischen Inseln angekommen ist. Nur wo hatten dann die Steinzeitmenschen in der Region der Insel Wight bereits 2000 Jahre vorher den Ur-Weizen her?

Dieses Einkorn bauten die ersten Bauern bereits vor 10 500 Jahren in Anatolien an, schreibt Greger Larson von der Universität Oxford im Magazin „Science“. Dort pflanzten die Bauern auch andere Nutzpflanzen wie Linsen und hielten Ziegen, Schafe und Rinder als Nutztiere. Langsam breitete sich die neue Lebensweise aus, vor 8000 bis 9000 Jahren kam sie auf dem  Balkan an. Den Rhein erreichte das Bauerntum vor 7500, den Westen Frankreichs vor 7400 und das Delta der Flüsse Rhein und Maas vor 7300 Jahren.

Die Fundstätten liegen inzwischen unter Wasser

Auf den britischen Inseln dagegen sind die ältesten Spuren der Landwirtschaft gerade einmal 6000 Jahre alt. Allerdings sind sich viele Forscher nicht sicher, ob diese Funde die Wirklichkeit gut widerspiegeln. Hat Großbritannien damals doch eine bewegte Geschichte erlebt. Während der Eiszeit war der Meeresspiegel um mehr als hundert Meter gesunken, große Teile der Nordsee und des Ärmelkanals waren trockengefallen, dort lebten Jäger und Sammler. Großbritannien wurde erst wieder eine Insel, als nach der Eiszeit der Meeresspiegel stieg und sich vor ungefähr 8000 Jahren der Ärmelkanal mit Meerwasser füllte.

Könnten dabei nicht die Spuren der gerade auftauchenden Landwirtschaft in den Fluten versunken sein? Antworten auf diese Frage könnte Bouldnor Cliff liefern. So nennen die Forscher eine Schicht im Meeresboden vor der Insel Wight, die vor mehr als 8000 Jahren noch ein Teil von Großbritannien war. Dort lebten die Steinzeitmenschen in einem Tal, während das Wasser des anschwellenden Ärmelkanals langsam näher kam. Der Eichenwald im Tal wurde zu einem Moor, das vor recht genau 8000 Jahren vom Meer überflutet wurde, zeigen Robin Allaby und seine Kollegen.

Heute liegt die Erdschicht aus dieser Zeit vor der Küste der Insel Wight rund zwölf Meter unter Wasser. Taucher finden dort nicht nur die Feuersteine und das Holzwerkzeug der Steinzeitmenschen, sondern auch angekokelte Haselnuss-schalen. Der darüber liegende Torf hat diese Schicht gut gegen das Eindringen von Meerwasser abgeschirmt. Als die Forscher in dieser Erdschicht nach den Spuren des Erbguts von Pflanzen und Tieren zu suchten, konnten sie sicher sein, dort mehr als 8000 Jahre altes Material zu finden.

Neben dem Erbgut von Eichen, Pappeln, Buchen und Wildäpfeln sowie Gräsern und Kräutern, fanden sie auch die DNA von Rindern, Rotwild und Hühnervögeln aus dieser Zeit. Genau solche Überbleibsel hatten die Forscher aus der Zeit der Jäger und Sammler erwartet. Eine Überraschung war dagegen das Erbgut des Ur-Weizens Einkorn, der damals nur von Bauern weit im Süden angebaut wurde. Obendrein fanden die Forscher zwar viele Pollen von Eichen und Pappeln, die in den Wäldern dort wuchsen, aber keine Einkorn-Pollen.

Da es auch sonst keinerlei Hinweise auf Landwirtschaft und den Anbau von Getreide gibt, bleibt den Forschern nur eine Erklärung: Die Jäger und Sammler der Gegend dürften mit den ersten Bauern im Süden Handel getrieben haben und das nahrhafte Einkorn von dort gegen Produkte aus ihrem Eichenwald getauscht haben. Großbritannien war also bereits in der Steinzeit mit dem Festland in einer Art europäischer Union verbunden.