Ein Magenkeim in der Steinzeit-Mumie weist auf frühe Wanderungsbewegungen hin. Der Keim stammt wohl aus Asien. Und er könnte eine Magenschleimhaut-Entzündung verursacht haben.

Stuttgart - Die Infektion mit dem Magenbakterium Helicobacter pylori könnte dem Steinzeit-Mann durchaus eine Magenschleimhaut-Entzündung beschert haben. Oder sogar Schlimmeres. Für seinen Tod aber waren die Erreger kaum verantwortlich. Dafür kommt viel eher der Pfeil in Frage, der den heutzutage „Ötzi“ genannten Mann vor rund 5300 Jahren in den Rücken traf. An dieser Verletzung könnte der Steinzeitmensch am Hauslabjoch zwischen dem heutigen Südtirol und Tirol verblutet sein. Vielleicht hat ihn auch das ungefähr zur gleichen Zeit erlittene Schädel-Hirn-Trauma ins Jenseits befördert. Nicht aber das Magenbakterium, das Frank Maixner von der Europäischen Akademie Bozen und seine Kollegen nun entdeckt haben, und von dem sie im Magazin „Science“ berichten.

 

Dieses Bakterium vermehrt sich im 21. Jahrhundert zwar in den Mägen der Hälfte aller Menschen auf der Erde. Allerdings verursacht eine Infektion mit Heliobacter pylori nur in etwa zehn Prozent aller Fälle eine äußerst schmerzhafte Magenschleimhaut-Entzündung oder führt sogar zu Magen-Geschwüren und Krebs. Ötzi trug in seiner Gürteltasche zwar zwei Birkenporlinge bei sich. Diese Pilze nehmen die Samen in Skandinavien heute noch bei Magenbeschwerden. Ob der Steinzeitmann aber tatsächlich eine schwere Magenkrankheit hatte, können die Forscher heute kaum noch herausbekommen: Zwar wurde Ötzi nach seinem Tod vom Gletschereis eingeschlossen und sein Leichnam blieb als Mumie gut erhalten. „Von seiner Magenschleimhaut war aber nichts übrig geblieben“, berichtet Albert Zink, der das Institut für Mumien und den Iceman an der Europäischen Akademie Bozen leitet.

Detektivarbeit fördert Keim zutage

Heute finden Ärzte Helicobacter pylori-Bakterien vor allem in der bei Ötzi verschwundenen Magenschleimhaut. Daher kamen die Forscher in Bozen, an den Universitäten in Kiel, Tübingen, Wien und im südafrikanischen Thohoyandou, sowie am Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte in Jena den Magen-Bakterien erst nach einer aufwendigen Detektiv-Arbeit auf die Spur: Sie untersuchten den gesamten Inhalt des Magens auf Erbgut und fischten aus diesem die Erbinformationen des Magenbakteriums heraus.

Damit hatten sie unmittelbar bewiesen, dass Menschen bereits vor 5300 Jahren an dieser Infektion litten. „Dieser Fund kam nicht allzu überraschend“, erklärt Thomas Rattei von der Universität Wien, der das Helicobacter pylori-Erbgut aus der Steinzeit unter die Lupe genommen hat. Schließlich legen Analysen heute lebender Bakterien nahe, dass der Erreger bereits seit ungefähr hunderttausend Jahren die Mägen von Menschen infiziert hat. Diese indirekten Indizien konnten die Forscher jetzt mit ihrer Erbgutanalyse aus Ötzis Magen endgültig beweisen.

Unbekannte Wanderung in der Menschheitsgeschichte

Gleichzeitig fanden sie auch eindeutige Indizien dafür, dass Helicobacter pylori nicht nur ein stiller Passagier im Magen von Ötzi gewesen sein könnte: Das Bakterium gehört nämlich zu einem Stamm, der heute typischerweise Magenschleimhaut-Entzündungen auslöst. Obendrein wiesen die Forscher auch Proteine nach, mit denen das Immunsystem heutiger Patienten diesen Erreger attackiert. Ötzi könnte also durchaus unter einer sehr schmerzhaften Magenschleimhaut-Entzündung gelitten und deshalb Birkenporlinge zur Linderung seiner Beschwerden auf seinen Weg über die Alpen mitgenommen haben. Mit Hilfe des Erbguts des Ötzi-Magen-Bakteriums werfen die Forscher aber nicht nur einen Blick auf die Steinzeit-Medizin, sondern finden auch Hinweise auf eine bisher unbekannte Wanderung in der Menschheitsgeschichte: Genau wie sich das Erbgut der Menschen aus verschiedenen Regionen sehr geringfügig aber doch eindeutig voneinander unterscheidet, gibt es solche Variationen auch im Erbgut der Magenbakterien, weil diese nur im Menschen-Magen leben. Mit Hilfe der Typen von Helicobacter pylori in verschiedenen Weltregionen können die Forscher daher die Wanderungen der Menschheit in diese Gegenden zurückverfolgen.

Offensichtlich gibt es zwei große Gruppen der Magenbakterien, von denen eine aus Afrika und die andere aus dem Süden Asiens stammt. Heutige Europäer tragen normalerweise eine bunte Mischung dieser beider Gruppen in sich. In der Steinzeit sollte das ähnlich gewesen sein, vermuteten die Forscher bisher. „Das Ötzi-Magen-Bakterium aber ähnelt dem asiatischen Mikroorganismus sehr und hat fast keine afrikanischen Komponenten“, staunt Thomas Rattei. Da Ötzi aber eindeutig aus den italienischen Alpen stammt und Helicobacter pylori normalerweise nicht vererbt, sondern zum Beispiel zwischen spielenden Kindern übertragen wird, drängt sich eine Erklärung für dieses Ergebnis auf: Noch nach der Steinzeit könnte eine Wanderungswelle aus Afrika nach Europa gekommen sein, die dann auch die afrikanischen Magen-Bakterien mitbrachte. Migranten aus dem Süden gehören in Europa damit schon fast zum Alltag.