Der Archäologe Hartmut Schäfer hat jahrelang die Grabungen unter dem Alten Schloss und der Stiftskirche geleitet. Jetzt legt er seine Ergebnisse als Buch vor – die Anfänge Stuttgarts erscheinen nun teilweise in ganz neuem Licht.

Klima/Nachhaltigkeit : Thomas Faltin (fal)

Stuttgart - Wie oft Hartmut Schäfer in den Jahren zwischen 1998 und 2005 den Weg in die Katakomben der Stiftskirche und des Alten Schlosses angetreten hat – er weiß es nicht mehr. Aber längst kennt der frühere Grabungsleiter dort jeden Stein und jeden Hohlraum im Lehm, und längst gibt es niemanden mehr, der kompetenter über die Frühzeit Stuttgarts, über jene Jahrhunderte zwischen 700 und 1500, berichten kann als er. Jetzt hat der mittlerweile pensionierte Archäologe die Ergebnisse seiner Arbeit in einem Buch veröffentlicht. Es ist nicht übertrieben zu sagen, dass der Band zu den wichtigsten Veröffentlichungen zur Geschichte Stuttgarts in letzter Zeit gehört.

 

Das liegt auch daran, dass Schäfer die Berichte früherer Grabungen erstmals profund ausgewertet hat: Sowohl die Dokumente zu Untersuchungen im Alten Schloss 1967 als auch der Notgrabungen auf dem Schillerplatz beim Bau der Tiefgarage 1972 verstaubten bisher in den Archiven, was man kaum glauben mag. Schäfer hat seine Ergebnisse auch mit den bekannten historischen Quellen verknüpft.

Vor allem aber ist es fast ein Abschlussbericht auf ewige Zeiten geworden. Da in Stuttgart immer viel gebaut wurde, gleicht der Untergrund einer archäologischen Wüste: Allein unter der Stiftskirche, dem Alten Schloss und dem Schillerplatz waren überhaupt noch Entdeckungen zu erwarten – und die hat Hartmut Schäfer gemacht. Nur ganz wenige Flächen im Zentrum sind jetzt noch ganz unbesichtigt. All diese Erkenntnisse zusammengefasst, liest sich die frühe Geschichte Stuttgarts demnach so.

Auch im Talkessel von Stuttgart siedelten Römer

Auch wenn Bad Cannstatt die weitaus bedeutendere römische Siedlung war: Im Talkessel des späteren Stuttgarts hatten sich ebenfalls Römer angesiedelt. Im Jahr 2004 hatte man römische Stücke beim Alten Schloss entdeckt; von einem Gutshof nahe des Hauptbahnhofes wusste man schon länger. Einer ersten kleinen Sensation glich dann die Entdeckung zweier alemannischer Gräber aus dem 7. oder 8. Jahrhundert unter der Stiftskirche. Damit war erstmals nachgewiesen, dass es im Nesenbachtal ein alemannisches Dorf gegeben haben muss, zu dem der Begräbnisplatz gehörte. Dieses Dorf hat vermutlich kontinuierlich weiter bestanden, denn Hartmut Schäfer legte unter dem Alten Schloss Überreste der – vermutlich gleichen – Siedlung frei, die dort bis Mitte des 12. Jahrhunderts bewohnt war. Auch das war archäologisch ein großer Fund. Damit lässt sich nämlich sagen, dass das älteste Dorf im Talkessel den Bereich des heutigen Alten Schlosses und der Stiftskirche einbezogen hat. Zu dieser Siedlung gehörte spätestens seit dem 11. Jahrhundert auch eine erste Kirche: Bei den Grabungen unter der Stiftskirche konnte Schäfer die Apsis dieses Baus freilegen – eine weitere wichtige Entdeckung. Offen bleiben die Frage, wann diese Kirche gebaut wurde und ob es zuvor eine noch ältere gegeben hat.

Diese Siedlung an der Stelle des Alten Schlosses verschwand, als etwa 1150 bis 1200 die erste Burg gebaut wurde – es war wiederum Hartmut Schäfer, der Teile der äußeren und inneren Burgmauer samt Wassergraben freigelegt hat. Stuttgart wird wichtig, das zeigt diese Burg. Schäfer interpretiert den Fund so: „Man ist geneigt, darin den Beginn der Entwicklung des Dorfs Stuttgart zur Stadt zu sehen.“ Hermann von Baden (gestorben 1243) könnte also auch nach dem archäologischen Befund der Stadtgründer gewesen sein. Von einem Stutengarten, den historische Quellen ab etwa 930 im Talkessel nahelegen, wissen die Archäologen aber nichts zu berichten.

Manche Rätsel bleiben trotz der großen Funde

Für Hartmut Schäfer bleibt die Stadtgründung dennoch rätselhaft. Denn das Erdgeschoss der ersten Burg lag rund fünf Meter unter dem Niveau des heutigen Schillerplatzes, und der Fachwerkbau hatte keinen Ausgang zur Stadt hin. Im Gegenteil: Der Schillerplatz war damals (und bis etwa 1500) überbaut, die Stadtmauer schloss die erste (und später auch die zweite) Burg aus. Dass gerade der Stadtgründer sich so abschotten ließ von „seinem“ Stuttgart, ist für Schäfer schwer erklärlich.

Etwa um die gleiche Zeit, zwischen 1200 und 1240, wurde auch die spätromanische Basilika über der kleinen Kirche gebaut – auch das ein Zeichen für die aufstrebende Stadt. Teile der Pfeilerfundamente hat Hartmut Schäfer freigelegt. Im Übrigen glaubt der Archäologe, gestützt auf historische Quellen, dass sich der Kern des neuen Stuttgarts damals etwas verlagert hat, weg vom Alten Schloss hinüber zum Gebiet rund um die Kirche.

Der Nesenbach zerstört die erste Burg in Stuttgart

Die erste Burg ist vermutlich schon nach etwa einem Jahrhundert eingestürzt; Schäfer spricht von einem Konstruktionsfehler. Denn die Außenmauern verliefen diagonal zum heutigen Alten Schloss – sie bildeten bei Hochwasser so einen Rammbock, an dem sich der Nesenbach brach. Womöglich beim großen Hochwasser 1272 unterspülte der Fluss die Fundamente; sie wurden umgerissen und sind unter dem Alten Schloss bis heute in dieser Lage zu sehen.

Beim Bau der zweiten Burg korrigierten die Bauherren den Fehler; die Mauern wurden um 45 Grad gedreht; das niedrige Niveau wurde aber beibehalten: Wer heute in den Keller des Alten Schlosses geht, steht also im Erdgeschoss der zweiten Burg. Diese zweite Gebäude aus Stein datiert etwa auf das Jahr 1300. Die Archäologen haben einen eichenen Maueranker am früheren Wehrgang entdeckt; der Baum wurde zwischen 1292 und 1312 gefällt. „Schlüsselbefund“, nennt Hartmut Schäfer so etwas.

Erst in der Renaissance öffnete sich die Burg zur Stadt

Die dritte Burg – das Alte Schloss, wie wir es heute kennen – entstand in der Renaissancezeit nach 1550. Herzog Christoph behielt einen Teil der Grundmauern bei, baute aber die Burg mit Ecktürmen deutlich aus. Vor allem hob Baumeister Aberlin Tretsch nun das Niveau des Erdgeschosses um fünf Meter an. Erst jetzt waren Burg und Stadt sozusagen auf Augenhöhe. Zugleich verschwand die Stadtmauer am Schillerplatz, und es wurde eine Brücke über den Schlossgraben hinweg gebaut. Hartmut Schäfer drückt es so aus: „So wurde die Burg erst zum Stadtschloss.“

Manche Bereiche unter dem Alten Schloss und der Stiftskirche konnten Hartmut Schäfer und sein Team nicht untersuchen. Es bleibt also noch eine kleine Chance, eines Tages manches Rätsel über Stuttgarts Frühzeit doch noch zu lösen.

Das Buch Schäfers ist beim Belser-Verlag erschienen. Führungen durch die Ausgrabungen im Alten Schloss bietet die Stuttgart-Marketing einmal im Monat an.