Der neueste Fund des geflügelten Raubsauriers Archaeopteryx verrät viel über das Gefieder des Urvogels. Die langen Federn an den Beinen dienten nicht dem Fliegen: Archaeopteryx flog mit zwei und nicht mit vier Flügeln.

Stuttgart - Die Platte ist aus feinkörnigem Kalkgestein, stammt aus der Nähe von Eichstätt im bayerischen Altmühltal und ist unter Sammlern wohl ein bis zwei Millionen Euro wert. Denn in ihr sind die Knochen und Federn eines Archaeopteryx erhalten – eines gefiederten Raubsauriers, der vor 150 Millionen Jahren lebte.

 

Es ist der elfte und jüngste Fund eines solchen Tieres. Erst 2011 kam er ans Licht. Wer ihn entdeckt hat, wird geheim gehalten. Glücklicherweise hat der Besitzer das Fossil als Deutsches Kulturgut eintragen lassen. Somit darf es nicht ins Ausland verkauft werden und kann wissenschaftlich untersucht werden.

Das Interesse an Archaeopteryx-Überresten ist gewaltig. Schließlich handelt es sich um keinen Geringeren als den Urvogel – eine Art also, die den entwicklungsgeschichtlichen Übergang von den Reptilien zu den Vögeln darstellt.

Exzellent präpariert

Äußerst gut erhaltene Federn

Oliver Rauhut von der Bayerischen Staatssammlung für Paläontologie und Geologie in München hatte zusammen mit seinen Kollegen Christian Foth und Helmut Tischlinger die Ehre, sich mit Urvogel Nummer elf intensiv zu befassen. Ihre jetzt im Fachmagazin „Nature“ erschienene Beschreibung liefert neue Hinweise zur Entstehung des Vogelflugs und zum Aussehen von Archaeopteryx.

„Das Besondere an dem von uns untersuchten Exemplar sind die äußerst gut erhaltenen Federn“, sagt Rauhut. Die Gesteinsplatte sei exzellent präpariert worden. Und so sind nicht nur, wie man es von einigen anderen Archaeopteryx-Exemplaren kennt, die Abdrücke der Flügel gut zu erkennen, sondern erstmals auch die Federn an den Beinen, am Hals und vom gesamten Schwanz.

Auf diese Weise komplettiert sich unser Bild vom Urvogel. „Wir können nun mit Gewissheit sagen, dass Archaeopteryx am ganzen Körper Federn trug. Bisher war es theoretisch auch möglich, dass er einen nackten Hals hatte wie ein Geier“, sagt Rauhut. Die gut erhaltenen langen Beinfedern (kleines Foto) zeigen außerdem, dass er ähnlich wie heutige Raubvögel so aussah, als trage er eine pludrige Federhose.

Schwanz in kompletter Länge erhalten

Bei Archaeopteryx Nummer elf ist überdies erstmals der Schwanz in kompletter Länge erhalten. Bei früher gefundenen Exemplaren fehlt die Spitze. Nun steht fest: die Federn verlängerten den Schwanz nicht wie bisher angenommen um ein Drittel, sondern machten noch mal sechzig Prozent der Länge des knöchernen Schwanzes aus. Rauhut: „Der Federschwanz war also deutlich länger als bisher angenommen.“

Auch wenn er als früher Vogel gilt, waren sich Experten bisher nicht einig, ob Archaeopteryx überhaupt fliegen konnte. Diese Frage halten die Münchener Paläontologen nun für beantwortet. „Wir sind uns sicher, dass er fliegen konnte. Seine Flügelfedern entsprechen denen von heutigen Vögeln, und an dem neuen Exemplar lässt sich auch erkennen, dass die seitlichen Schwanzfedern aerodynamisch geformt waren“, sagt Rauhut.

Neue Funde von anderen gefiederten Raubsauriern aus China hatten Experten zuletzt vermuten lassen, dass Raubsaurier sich nicht wie Vögel mit Hilfe von zwei Flügeln in die Luft erhoben, sondern mit vier Flügeln. „Bei dem chinesischen Raubsaurier Microraptor wurden lange aerodynamische Federn an den Beinen entdeckt. Deshalb nahm man an, dass der Vogelflug über ein Vierflügelstadium mit Arm- und Beinschwingen entstanden ist“, berichtet Oliver Rauhut.

Archaeopteryx flog mit zwei Flügeln

Für Archaeopteryx sei eine solche Fortbewegung jedoch auszuschließen. „Seine Beinfedern waren nicht aerodynamisch, sondern dienten wohl eher als Schutz gegen Bisse von Beutetieren oder als eine Art Fallschirm zum Abbremsen beim Landen“, erläutert Rauhut. Zusammen mit seinen Kollegen hat er die Erkenntnisse über die Befiederung verschiedener Raubsaurier verglichen und kommt zu dem Schluss, dass die Federn vor dem Flug entstanden sind und zunächst anderen Funktionen dienten, etwa der Balz.

Irgendwann wurden sie abgewandelt und zum Fliegen genutzt. Das könnte bei den Raubsauriern unabhängig voneinander mehr als einmal geschehen sein. Archaeopteryx war also vielleicht nicht der erste Flieger, aber der erfolgreichste. Während die Linie der Vierflügler irgendwann ausstarb, hat Archaeopteryx jede Menge Nachfahren: die heutigen Vögel. Rauhut: „Unsere Analyse bestätigt Archaeopteryx’ Stellung als Urvogel.“

Dass das neue Exemplar so gut erhalten ist, liegt am bedachtsamen Vorgehen des Entdeckers. Normalerweise werden die Kalkplatten aufgespalten, um die Fossilien zu finden. Dabei geschieht es jedoch häufig, dass ein Teil des Fundes auf der einen Platte haftet und der Rest auf dem Gegenstück. Der Präparator muss dann alles wieder sorgfältig zusammenkleben, dabei drohen feine Details verloren zu gehen.

„Das Fossil sieht sehr schön aus“

Von Urvogel Nummer elf nimmt Rauhut an, dass der Entdecker irgendwo an der Gesteinsoberfläche eine Ecke vom Knochen gesehen und dann den Vogel von oben nach unten säuberlich frei gelegt hat. „Auf diese Weise sind weder die Knochen gebrochen noch die feinen Federabdrücke verloren gegangen, und das Fossil sieht sehr schön aus“, erläutert Rauhut.

Eine noch bessere optische Gesamtnote würde der Forscher lediglich dem im Berliner Naturkundemuseum ausgestellten Exemplar geben. „Es ist eindrucksvoll, weil dieser Urvogel alle viere von sich streckt und sein Schädel gut erhalten ist“, sagt Rauhut. Beim Fossil Nummer elf dagegen existieren vom Schädel nur noch einige Teile, und sie sind von der Wirbelsäule getrennt. Darüber hinaus fehlt ein Flügel ganz, der andere hat sich gelöst und liegt unter den Beinen.

Nummer zwölf schon in Sicht

„Dafür ist Archaeopteryx Nummer elf derjenige mit den besterhaltenen Federabdrücken“, sagt Rauhut. Das Berliner Exemplar zeige die Federn zwar auch gut, aber weil es aus einem gespaltenen Stein stammt und man Ende des 19. Jahrhunderts noch nicht so sorgfältig präparierte, sind einige Partien zerstört worden.

Vom zwölften Exemplar wird bereits gemunkelt

Wo der neueste Archaeopteryx auf Dauer bleiben wird, ist noch unklar. Sein Besitzer hat ihn einstweilen unbefristet an die Bayerische Staatssammlung ausgeliehen und hat nichts dagegen, wenn er auf Ausstellungen gezeigt wird. Zurzeit weilt der Fund auf einer Schau in Frankreich.

Derweil munkelt man in der Szene bereits von einem neuerlichen Archaeopteryx: Nummer zwölf. Oliver Rauhut: „Ich weiß nur, dass er sich in Privathand befindet, zurzeit präpariert wird und ebenfalls schon eingetragen ist als Nationales Kulturgut.“ Die Geschichte des Urvogels ist also noch nicht zu Ende.

Geflügelte Raubsaurier aus dem Altmühltal

Archaeopteryx
Der Raubsaurier war etwas größer als eine Taube und lebte vor etwa 150 Millionen Jahren im Zeitabschnitt des Juras (vor knapp 200 Millionen Jahren bis vor etwa 145 Millionen Jahren). Es war die Zeit der Dinosaurier.

Funde
Elf Exemplare des Achaeopteryx sind bisher gefunden und beschrieben worden. Alle stammen aus Kalkgestein zwischen Solnhofen und Regensburg im Altmühltal, dem Solnhofer Plattenkalk. 1860 wurde der erste fossile Überrest eines Archaeopteryx entdeckt, eine Feder. 1861 fand sich das erste komplette Fossil (heute im London Natural History Museum). Zwischen 1874 und 1876 wurde das Exemplar des Berliner Naturkundemuseums entdeckt, das als das am besten erhaltene gilt. 1956 folgte der nächste Fund.

Sammler
Seit zwanzig Jahren boomt das private Fossiliensammeln im Altmühltal. Mancher Privatsammler opfert seinen Jahresurlaub, um gegen Gebühr in einem privaten oder öffentlichen Steinbruch auf Urvogeljagd gehen zu dürfen. Funde mit hohem Wert aus öffentlichen Steinbrüchen müssen gemeldet werden.

Präparatoren
Manche Laien präparieren so meisterlich, dass auch Wissenschaftler ihnen Funde übergeben. Als einer der besten gilt Helmut Tischlinger aus dem bayerischen Stammham. Er fertigte die Fotos des Urvogels Nummer elf an und ist Mitautor der jetzt in „Nature“ veröffentlichten Erstbeschreibung.