Vor etwa 16.000 Jahren erreichten die Indianer Amerika. Dann breiteten sie sich nach Süden aus.

Stuttgart - Die Ruinen auf dem Gipfel des 6739 Meter hohen Vulkans Llullaillaco in den zentralen Anden sind nicht nur die höchstgelegenen archäologischen Stätten der Welt, sondern liefern jetzt auch einen wichtigen Puzzlestein zur Besiedlung Amerikas. Dort fand der Hochgebirgsarchäologe Johan Reinhard von der National Geographic Society der USA im März 1999 die 500 Jahre alten Mumien zweier Inka-Mädchen und eines Jungen. Ein Teil des Erbguts des mit rund 15 Jahren verstorbenen älteren Mädchens und von 91 weiteren Menschen, die zwischen dem Norden Mexikos und der argentinischen Pampa vor 8600 bis vor 500 Jahren gelebt hatten, wurde nun analysiert. Wolfgang Haak vom Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte in Jena und Alan Cooper von der University of Adelaide in Australien haben die Ergebnisse gemeinsam mit Kollegen im Fachblatt „Science Advances“ publiziert.

 

Überbleibsel aus der Zeit der ersten Indianer sind sehr selten. Obendrein liefert das Erbgut der heute lebenden Ureinwohner Amerikas keine ausreichenden Informationen zur Besiedlungsgeschichte des Doppelkontinents, weil die Indianer nach Ankunft der Europäer drastisch dezimiert wurden. Dadurch verschwanden sehr große Teile des Erbgutes und damit wichtige Hinweise auf die Zeit der ursprünglichen Einwanderung nach Amerika. Doch in den Mumien der längst verstorbenen Indianer aber gibt es die einstige Erbgut-Vielfalt noch. Ihre Analyse erzählt nun eine verblüffende Geschichte.

Um sie aufzuklären, konzentrierten sich Wolfgang Haak und seine Kollegen auf die sogenannte mitochondriale DNA. Das ist das Erbgut aus winzigen Organellen in den Zellen, die für die Energieversorgung zuständig sind und die ohne Einfluss des Vaters direkt von der Mutter stammen. Weil es sehr viele dieser Organellen gibt, bleiben auch größere DNA-Mengen als vom restlichen Erbgut erhalten. Das aber erleichtert die Analyse sehr.

Die Vorfahren kamen aus dem Norden Asiens

Die Vorfahren der Indianer kamen einst aus dem Norden Asiens nach Nordamerika, zeigen Erbgut-Analysen und andere Untersuchungen. In der DNA aus den Mumien zwischen Mexiko und Argentinien wiederum finden die Forscher Hinweise, dass die Ur-Amerikaner vor rund 24 900 Jahren zum letzten Mal ausgiebigen Kontakt mit den Menschen im Norden Sibiriens hatten, der seine Spuren im Erbgut hinterlassen hat. Danach scheinen die ersten Indianer den Kontakt zum Rest der Welt weitgehend verloren zu haben und lebten isoliert von Asien, Europa und Afrika.

In dieser Zeit erreichte die letzte Eiszeit ihren Höhepunkt. In den Gletschern steckte so viel gefrorenes Wasser, dass die Spiegel der Ozeane 120 bis 130 Meter niedriger als heute lagen. Flache Meeresregionen wie die Beringstraße zwischen Alaska und Sibirien fielen daher trocken. „Beringia“ nennen Wissenschaftler dieses heute wieder geflutete Land, das sich zwischen dem Mackenzie-Fluss in Kanada und dem Werchojansker Gebirge in Sibirien fast 5000 Kilometer von Ost nach West und gut 1500 Kilometer von Nord nach Süd erstreckte.

Große Büffel- und Mammutherden

Offensichtlich schaufelten damals Strömungen im Nordpazifik Wärme und Feuchtigkeit zumindest in den Süden von Beringia. In dieser Zeit lebten vermutlich große Herden von Büffeln und Mammuts in einer weiten Savannen-Landschaft mit einigen Baum-Inseln, die den Urindianern Brennstoff und Baumaterial für die eisigen Winter lieferten. Doch im Südosten riegelten ein mächtiger Eispanzer über Nordamerika und die heutige Inselkette der Aleuten den Weg nach Süden ab. Im Süden bildete das Wasser des Nordpazifiks eine unüberwindliche Hürde und im Südwesten versperrte ein weiterer Eispanzer über der heutigen Halbinsel Kamtschatka den Weiterweg. Die Regionen im Westen von Beringia und in Zentralsibirien waren für ein Besiedelung wohl viel zu kalt.

Im großen Rest von Beringia aber lebten wenige Zehntausend Menschen einige Jahrtausende lang isoliert vom Rest der Welt, schließen die Forscher aus dem Erbgut der Mumien und aus Klimadaten aus dieser Epoche. Vor 17 000 Jahren wurde es langsam wärmer und die Gletscher begannen zu schmelzen. Vor rund 16 000 Jahren hatte das Eis an der Pazifikküste dann einen schmalen Streifen freigegeben, an den die vorher in Beringia isolierten Uramerikaner nach Süden vordringen konnten. Genau in dieser Zeit begann die Bevölkerung kräftig zu wachsen, verraten die Erbgut-Analysen. In gerade einmal 1400 Jahren hatten die ersten Indianer dann den Süden der südamerikanischen Pazifikküste erreicht und Amerika war besiedelt. Weitere 14 000 Jahre später erreichte Christoph Kolumbus als erster Europäer Amerika – und leitete damit einen massiven Schwund in der Indianer-Bevölkerung ein, den die Erbgut-Analysen ebenfalls zeigen.