Letztes Jahr wurde er ans Licht befördert, ganz sicher sind sich die Experten heute noch nicht, ob der Sandsteinkopf aus dem Schlossgarten nun aus dem 14., 15. oder 18./19. Jahrhundert stammt.

Stuttgart - Im November vergangenen Jahres ist er im Mittleren Schlossgarten bei Grabungsarbeiten ans Tageslicht befördert worden, seither diskutieren die Experten der unterschiedlichen Disziplinen, wie viele Hundert Jahre der seltsam anmutende Sandsteinkopf wohl in der Tiefe vergraben gelegen haben mag. Das zuständige Landesamt für Denkmalpflege hatte sich bisher auf eine Herstellungszeit des in Stein gehauenen Kopfs in der Goethezeit festgelegt, also dem 18./19. Jahrhundert. Der Landeskundler Harald Schukraft und andere Historiker hatten den „elektrisierenden Fund“ eher auf das 16. Jahrhundert datiert.

 

Seit Kurzem nun gibt es einen offiziellen Befund, dessen Ergebnis die Experten durchaus verblüfft. Demnach könnte die Porträtbüste aus dem Mittleren Schlossgarten sogar Anfang des 14. Jahrhunderts gefertigt worden sein. Zu der Zeit also, so der Historiker Harald Schukraft, in der Steinmetze aus dem ganzen Land an der Stuttgarter Stiftskirche gearbeitet hatten. Vorgenommen worden ist diese Altersdatierung am Max-Planck-Institut in Jena, in dessen Labor die Bodenproben aus der Fundschicht mit einer sogenannten Radiokohlenstoffmethode untersucht wurden. Dieses Analyseverfahren wird unter anderem in der archäologischen Altersbestimmung zur Datierung von organischen Materialien angewandt.

Veranlasst hatte die Untersuchung der Bodenkundler Andreas Lehmann von der Universität Hohenheim, der den Kopf mit seinem Team auf dem Gelände im Mittleren Schlossgarten, auf dem irgendwann der Stuttgarter Tiefbahnhof gebaut werden soll, in etwa 1,20 Meter Tiefe entdeckt hatte. Seine These zu dem Fund lautet zwischenzeitlich so: „Der Kopf wurde bei einer Überschwemmung aus dem Stadtgebiet in den Bereich des Schlossgartens gespült“, glaubt Andreas Lehmann. Stuttgart sei bekannt für solche großen Überschwemmungen, die etwa für die Jahre 1272, 1306 oder 1343 belegt seien.

Der Kopf wird nun von Experten untersucht

Gesucht hatte der Wissenschaftler auf dem Gelände seinerzeit eigentlich nach Erkenntnissen, wie sich der Boden im Schlossgarten über die Jahrhunderte entwickelt hat. Das Niveau sei früher mehrere Meter niedriger gewesen als heute, sagt er. Bei ihren Untersuchungen hatten die Wissenschaftler zudem festgestellt, dass im Schlossgarten ein „natürlich gewachsener“ Boden vorliegt, der sozusagen einen Zeitstrahl in die Tiefe abbildet. Einerseits könne man auf dieser Grundlage den Verlauf der alten Nesenbachaue rekonstruieren, was eine historische Chance sei, mehr über die Stuttgarter Stadtgeschichte zu erfahren, so Lehmann. Zudem glaubt auch der Historiker Schukraft, dass zwischen den Schichten noch weitere Fundstücke verborgen sind.

Das Landesamt für Denkmalpflege sieht derweil bislang keine Notwendigkeit, weitere größere Grabungen im Mittleren Schlossgarten auf dem Stuttgart-21-Areal vorzunehmen. Die Altersbestimmung der untersuchten Bodenschicht las- se keine Rückschlüsse auf die Datierung des Kopfes zu, betont Peter Zaar, Sprecher des Regierungspräsidiums. Zur genauen Altersbestimmung werde der Kopf nun von Experten untersucht.

Von deren Einschätzung hängt wohl auch ab, ob im Schlossgarten weitere Untersuchungen notwendig und möglich sind. Schon Anfang des Jahres hat die Grünen-Fraktion den Antrag gestellt, eine archäologische und bodenkundliche Begleitung bei den Baumaßnahmen für Stuttgart 21 im Talkessel zu ermöglichen. In den Planfeststellungsunterlagen ist dies entgegen sonst üblicher Regelungen bei Großprojekten dieser Art nicht vorgesehen.

Unabhängig davon ermöglichte es die Bahn als Bauherrin von Stuttgart 21 vergangene Woche, dass Lehmann und sein Team den Boden im Schlossgarten weiter erkunden konnten. Dabei haben die Wissenschaftler ihre Untersuchungen, an denen sich die Berthold-Leibinger-Stiftung mit einer Spende beteiligt hat, auf die Fläche ausgeweitet, um das Gelände zu kartieren. Wie erwartet habe man den Verlauf der alten Nesenbachaue näher eingrenzen können, sagt Andreas Lehmann. Sollten baubegleitende Untersuchungen möglich sein, erwartet er Aufschluss über die „schicksalhafte Verknüpfung zwischen der Gunst und Ungunst des früher ungebändigten Nesenbachs“ und der Entwicklung Stuttgarts. „Der Boden im Schlossgarten kann uns noch viele interessante Geschichten erzählen.“