Er hat Christoph Schlingensiefs Operndorf in Gando geplant. Hauptsächlich aber befasst sich der preisgekrönte Architekt Diébédo Francis Kéré mit traditionellen Baumaterialien. Der StZ-Autor Dietrich Heißenbüttel hat ihn in Stuttgart getroffen.

Stuttgart - Als Christoph Ingenhoven 2006 für das Projekt Stuttgart 21 den Holcim Award erhielt, höhnten böse Zungen, der hoch dotierte Preis des weltgrößten Schweizer Zementherstellers werde wohl danach vergeben, wer den meisten Beton verarbeitet. Zuletzt ist allerdings 2012 ein Architekt geehrt worden, dessen Bauten ganz ohne Zement auskommen und auch keine Milliardensummen verschlingen: Für den Entwurf eines Gymnasiums in seinem Heimatdorf Gando in Burkina Faso erhielt Diébédo Francis Kéré den ersten Preis des globalen Wettbewerbs, der nach Vorstufen in einzelnen Weltregionen alle drei Jahre vergeben wird.

 

Für Kéré war dies nicht die erste bedeutende Auszeichnung – und das Gymnasium nicht die erste Schule, die der Architekt, hierzulande besser bekannt als der Planer von Christoph Schlingensiefs Operndorf, in Gando erbaute. Mit der Schule fing alles an: Als Sohn des Ortsvorstehers war Kéré der Einzige in seinem Dorf, der in den Genuss einer Schulausbildung kam: nicht in Gando, sondern weit weg in der nächsten Stadt. Die Schule dort war ein niedriger, stickiger Raum, in dem 200 Kinder lernten. Aber sie ermöglichte ihm weiterzumachen. Kéré erhielt eine Ausbildung zum Entwicklungshelfer und ein Stipendium in Berlin, wo er sein Abitur nachholte und ein Architekturstudium anfing. Noch während des Studiums begann er die Grundschule für sein Heimatdorf zu planen und gründete einen Verein, um Spenden zu sammeln.

Ein Wellblechdach wie ein Sonnenschirm

Kéré war klar, dass es sinnlos gewesen wäre, teure Maschinen und Materialien in das 3000-Einwohner-Dorf in der Sahelzone zu schicken. Er musste lokale Baumaterialien verwenden. Dass der Architekt beabsichtigte, ein Gebäude aus Lehm zu errichten, wollten die Bewohner zuerst nicht recht einsehen. Hatte er denn in Deutschland studiert, nur um ihnen traditionelle Bautechniken nahezubringen? Doch sobald die Dorfbewohner überzeugt waren, halfen sie mit. 2001 war die Schule fertig: ein flacher, rechtwinkliger Quader aus Lehmziegeln, darüber ein schräges Wellblechdach wie ein Sonnenschirm, der die Hitze abhält. Da die dicken Lehmwände gut gegen Wärme isolieren, lässt es sich in dem Schulhaus aushalten. Für diesen Bau erhielt Kéré 2004 den Aga-Khan-Preis, den bedeutendsten Architekturpreis der islamischen Welt. Mit dem Preisgeld in Höhe von 70 000 Euro – doppelt so viel wie die Grundschule gekostet hat – plante der Architekt weiter: Mit acht Mitarbeitern gründete er ein Büro in Berlin und entwarf eine Erweiterung der Schule, Wohnhäuser für Lehrer, eine Bibliothek, ein Fortbildungszentrum für Frauen und schließlich das Gymnasium: den Bau, der ihm dann 2012 den Holcim-Preis eintrug.

Dabei experimentierte er immer wieder mit Formen, Materialien und Konstruktionen. Hatte die Grundschule ein flaches Dach aus Stahlbetonträgern, Eisenstangen und Stampflehmblöcken, so ging er bei der Erweiterung zu einem Tonnengewölbe über: eine Bauform, die in Burkina Faso unbekannt war. Um die Dorfbewohner zu überzeugen, errichtete er einen flachen Bogen und lud die Wagemutigeren ein, mit ihm darauf herumzuhüpfen. Für die Bibliothek wählte er einen ovalen Grundriss, der den traditionellen Rundbauten näherkommt. In die Stahlbetondecke setzte er halbierte Tontöpfe ein, die das Gewicht reduzieren, für Luftzirkulation und eine spektakuläre Beleuchtung sorgen. Beim Gymnasium in Gando, das sich derzeit in Bau befindet, geht Kéré noch einen Schritt weiter: Er sammelt Regenwasser, das die Klassenzimmer kühlt und zugleich die Bäume bewässert, die in der Umgebung des Schulhauses angepflanzt wurden. Dies qualifizierte ihn für den Holcim-Preis, der für nachhaltiges Bauen steht.

Ausstellungen in Peking und Mannheim

Aber man erhält nicht den Aga-Khan- und den Holcim Award und baut dann nur für ein 3000-Seelen-Dorf in der Sahelzone. Der Aga Khan Trust beauftragte Kéré mit einem Empfangsgebäude für den Nationalpark in der malischen Hauptstadt Bamako und einem Zentrum für Lehmarchitektur in Mopti, ebenfalls in Mali. Er hat Ausstellungen in Genf und in der Royal Academy in London gestaltet und Aufträge aus Peking und Mannheim erhalten. Der Schwerpunkt bleibt gleichwohl sein Heimatland Burkina Faso: sehr gelungen etwa die Chirurgie-Klinik in der Kleinstadt Léo, die aus einem modularen System eine bunte Vielfalt von Formen zaubert und die Strategien der Klimatisierung, Belüftung und Beleuchtung noch um Wasseraufbereitung mittels Solarpaneelen erweitert: für Burkina Faso, eines der ärmsten Länder der Welt, eine außergewöhnliche Errungenschaft.

„Ich habe Glück gehabt“, antwortet Kéré bescheiden auf die Frage, wie er sich seine exzeptionellen Erfolge erklärt. Er hatte das Glück, zur Schule gehen zu dürfen, nach Deutschland zu kommen und zu studieren. Noch dazu bei einem Lehrer wie Peter Herrle, der sich seit mehr als 30 Jahren mit Stadtentwicklung im globalen Süden beschäftigt, 1983 in Stuttgart über Katmandu promoviert und von 1995 bis 2012 an der Technischen Universität Berlin das Habitat Unit, ein Forschungszentrum für globale Stadtentwicklung, geleitet hat. Über Herrle führen die Wege ins Schwabenland. Einen Vortrag in Stuttgart konnte der vielbeschäftigte Kéré kürzlich nach eigenem Bekunden einfach nicht ablehnen. Und das Kepler-Gymnasium in Pforzheim hat von sich aus eine Initiative gestartet, um Gando mit Licht aus Solarzellen zu versorgen.

Der Platz für das Festspielhaus ist leer

Und das Operndorf? Ursprünglich hatte Christoph Schlingensief ein Festspielhaus in der Hauptstadt Ouagadougou geplant. Doch dann spülte ein heftiger Regen im August 2009 den ins Auge gefassten Bauplatz einfach weg. Einige Bewohner der Nachbarschaft hatten ihr komplettes Hab und Gut verloren. So entstand eine neue Idee: ein Operndorf in Laongo, eine Autostunde weg von der Hauptstadt. Einige Wohnbau-Prototypen sind inzwischen gebaut. Nur der Platz für das Festspielhaus in der Mitte ist noch leer.