Die Firma SL Rasch aus Leinfelden bei Stuttgart produziert textile Sonnenschirme, die sogar ein halbes Fußballfeld abdecken können. Die Kunden sitzen vor allem in den arabischen Wüstenregionen.

Leinfelden - Die Devise dieser Tage lautet: nichts wie in den Schatten. Die Sonne bringt zwar auch Jürgen Bradatsch in seinem nicht-klimatisierten Büro ins Schwitzen. Doch der Chefingenieur von SL Rasch in Leinfelden winkt ab: Er ist Schlimmeres gewöhnt, 50 Grad sind keine Besonderheit für die Landstriche im Nahen Osten, wo die Firma Schattenarchitektur betreibt. Das von dem Frei Otto-Schüler Bodo Rasch gegründete Architekturbüro hat sich auf Leichtbaustrukturen spezialisiert. Überwiegend sind das textile Sonnenschirme, Zeltdächer und Kuppeln, und überwiegend entwirft und konstruiert das 150-köpfige Team für die arabischen Staaten.

 

Zentral ist das auf den kürzlich verstorbenen Stuttgarter Architekten Frei Otto zurückgehende Minimalflächenprinzip, sagt Mark Lauchli, Projektmanager bei SL Rasch. Man könnte es auch als Seifenblasenprinzip bezeichnen: Die Oberflächen der filigranen Blasen und auch anderer Seifenhautstrukturen sind so geformt und gekrümmt, dass Energien und Spannungen ein Minimum einnehmen. Damit lassen sich viele für das menschliche Auge äußerst ästhetische Formen erschaffen. Frei Otto hatte in seinen Lehrbüchern einige dieser Leichtbaustrukturen vorgestellt.

„Wir führen hier beide Disziplinen zusammen: die ästhetische Formensprache des Architekten mit den Konstruktionsmethoden des Leichtbauingenieurs“, sagt Bradatsch. Für die Plätze an der Moschee des Propheten in Medina haben die Architekten beispielsweise einen Ensemble von 250 Großschirmen mit Einzeldurchmesser von 33 Metern entworfen und vor vier Jahren installiert. Bis zu 300 000 Pilger finden darunter Platz. Je nach Tageszeit und Temperatur entfalten sich die Schirme in einem synchronisierten Ballett. Tags hält die Konstruktion Sonne und Hitze fern. Später kann sie die Wärme noch etwas gegen die Kühle der Nacht verteidigen. In der Nacht sind die Schirme gefaltet und „müssen dann auch noch ordentlich und ästhetisch aussehen“, sagt Lauchli. Wenn der Sonnenschutz dann gegen acht Uhr morgens wieder ausfährt, gilt es wiederum, die Kühle möglichst lange zu halten.

Für europäische Bauherren sind die Kosten ein Problem

Wie gut das funktioniert, simulieren die Architekten und Ingenieure am Computer. Bradatsch und sein Team verstehen sich als Erforscher textiler Architektur, die eigene Methoden und Programme für Tests und Simulationen entwickeln. Dazu zählen Experimente im Windkanal sowie Szenarien dazu, wie sich Wind- und Temperaturverläufe auf Höfen und Plätzen durch die Schirme und Zeltdächer verändern. In Mekka und Medina kommt noch eine Besonderheit dazu. Da sich hier während der Pilgerfahrt im Schnitt drei bis vier Personen pro Quadratmeter drängen, bilanzieren die Forscher auch die Belüftung und den CO2-Austausch unter dem Textildach.

Übrigens hatte Bodo Rasch, der das operative Geschäft vor einem Jahr an seinen Sohn Mustafa Rasch übergeben hat, bereits 2004 für den Stuttgarter Schlossplatz eine Konstruktion von vier bis sechs Großschirmen mit Durchmesser von jeweils 40 Metern vorgeschlagen. Der Clou: die Schirmständer sollten im Boden versenkbar sein, um das Stadtbild nicht zu beeinflussen. „Bei Großveranstaltungen wäre das eine tolle Gelegenheit, die Menschen gegen Sonne und Regen zu schützen“, sagt Bradatsch. Auch wären die technisch anspruchsvollen, ausfahrbaren Schirme ein Aushängeschild für das Hightech-Ländle gewesen. Der Haken, weswegen SL Rasch auch sonst kaum in Europa baut, sind die Kosten. Konstruktion und Installation dieser textiler Bauten sind teuer. Bradatsch nennt keine Preise, doch für eine Kommune in Deutschland sind die Schirme kaum zu bezahlen. Der Kostenvoranschlag für den Schlossplatz dürfte im zweistelligen Millionenbereich gelegen haben.

In Arabien gehören die Herrscherfamilien zu den Kunden. Geld scheint da keine Rolle zu spielen. Auf den arabischen Raum zielt wohl auch die jüngste Neuentwicklung: Ein Schirm mit Maßen von 53 mal 53 Metern, der ein halbes Fußballfeld abdecken würde. Der Großschirm wurde auf einem Gelände auf der Schwäbischen Alb ausgiebig getestet. Er wiegt 600 Tonnen und spannt über Teleskopstangen das Textil auf. Innerhalb des Ständers befindet sich ein 20 Tonnen schweres Pendelgewicht, das Schwingungen durch Wind und Sturm ausgleichen soll. Wochenlang hat ein Computerverbund das Verhalten im Sturm durchgerechnet. „Wir haben dann lange auf einen richtigen Sturm auf der Alb gewartet“, sagt Bradatsch. Letztlich stimmten Simulation und Experiment gut überein. Ende des Jahres könnte der Schirm präsentiert werden.