In Tübingen hat die Diözese Rottenburg-Stuttgart eine alte Professorenvilla zum theologischen Campus erweitern lassen. Geplant wurde das Ensemble vom Stuttgarter Büro Patzner Architekten.

Stuttgart - Das Johanneum (‚Jo’) ist die ehemalige Villa des Klinikdirektors und Professors der Chirurgie Paul von Bruns – keine Verbindung, auch wenn’s von außen so wirkt.“ Das steht bei „Partymoon“, einem Internet-Veranstaltungskalender für Tübingen, über das großbürgerliche Anwesen zu lesen, das um 1900 von Nachfahren des berühmten Arztes und Erfinders der sterilisierten Verbandwatte in der Universitätsstadt erbaut worden war. Als Architekten hatte die Familie Bruns die Stuttgarter Eisenlohr und Weigle angeheuert – damals so ziemlich das Feinste, was ein Bauherr im weiteren Umkreis kriegen konnte. Vom gleichen Büro stammt auch das Schiller-Nationalmuseum in Marbach am Neckar und das ehemalige Reichsgerichtsgebäude in Leipzig. Und dass Partymoon sich nicht von ungefähr an den Sitz einer studentischen Verbindung erinnert fühlt, erklärt sich durch das unweit gelegene, herrschaftliche frühere Corpshaus der Suevia. Architekten: Eisenlohr und Weigle.

 

In der Villa Bruns wurden und werden aber keine Mensuren geschlagen noch organisierte Saufgelage abgehalten. Seit 1935 befindet sich das Haus im Besitz der Katholischen Kirche, die darin ein zweites Theologenkonvikt neben dem traditionellen Wilhelmsstift einrichtete, das sogenannte Johanneum. Vor Kurzem hat die Diözese Rottenburg-Stuttgart nun ein neues Kapitel in der Geschichte des Gebäudes aufgeschlagen: Rund um das „Jo“ sind ein Studentenwohnheim, ein Seminargebäude und eine Kapelle entstanden, die sich mit dem Altbau zu einem kleinen theologischen Campus gruppieren.

Auflösung in mehreren Kuben

Die Entscheidung, am Standort Tübingen in die Ausbildung des Priesternachwuchses zu investieren, hat nicht nur eine eher unrühmliche Episode in der Vergangenheit der denkmalgeschützten Bruns- Villa beendet – einen roh angeklatschten Erweiterungsbau aus den Fünfzigern –, mit ihr erweist sich die Diözese auch wieder als außerordentlich qualitätsbewusster Bauherr. In Stuttgart etwa hat sie sich als solcher in den letzten Jahren mit Projekten wie der Domsingschule oder dem Haus der Katholischen Kirche in der Königstraße hervorgetan. In Tübingen gewannen Patzner Architekten aus Stuttgart den Wettbewerb mit einem Konzept, das im Gegensatz zu anderen Teilnehmern keinen großen Riegel an die Straße stellte, sondern das Bauprogramm in mehrere Kuben auflöste.

Der Riegel hätte den Vorteil gehabt, alle Funktionen unter einem Dach zu vereinen. Man wäre in Pantoffeln von seinem Zimmer ins Seminar und von dort aus in die Kapelle gelangt. Die Unbequemlichkeit, dass man nun festes Schuhwerk und manchmal auch einen Schirm braucht, um den Hof zu überqueren, wird durch die städtebaulichen Vorzüge des Patzner-Entwurfs aber mehr als aufgewogen: Maßstäblich fügen sich mehrere kleine Baukörper besser in die gründerzeitliche Wohnbebauung des Quartiers ein, während der Hof, den sie in ihrer Mitte ausbilden, das Gemeinschaftsleben zugleich versinnbildlicht und anregt. Die Mannschaften des nationalen Theologen-Fußballturniers haben das Johanneum denn auch gleich als Austragungsort des „Theo-Cups 2013“ auserkoren.

Die Kapelle gehört mitten ins Leben

Es erweist sich deswegen als richtig, dass der Denkmalschutz die ursprüngliche Absicht der Architekten, die Kapelle im Park zu platzieren, abgelehnt hat. Abgesehen davon, dass der Hof erst durch die Rahmung von vier Seiten zum Hof wird, hätte ein Neubau den alten Baumbestand einerseits empfindlich gestört, andererseits wäre das Kirchlein in ein Abseits geraten, das auch der Bauherr nicht gutheißen konnte. Statt ein exterritoriales Sonderdasein zu führen, gehört die Kapelle aus Theologensicht mitten ins Leben. Daher steht sie nun zwischen dem Seminargebäude und dem Wohnheim, gleicht diesen in Volumen und einfacher kubischer Form, ist aus dem selben grauen Backstein und unterscheidet sich nur durch die schmalen Fensterformate und das gemauerte Kreuz an der Südost-Fassade. Die feinen Betongitter der Brüstungen und Fenstereinfassungen der anderen Bauten scheinen dafür weltlichen Ursprungs zu sein, zitieren aber ein Motiv von Le Corbusiers Kloster La Tourette.

Material, Formen, Konstruktion – nichts ist an dieser Architektur teuer oder exzentrisch. Die Baukosten für die gesamte Anlage betrugen 5,8 Millionen Euro. Der kulturelle Anspruch manifestiert sich hier in der Präzision der städtebaulichen Komposition und der Sensibilität, mit der das Ensemble in den Bestand eingefügt ist. Die sorgfältige Planung reicht dabei bis in Details wie die steinernen Dachkanten und die Möblierung, die – Wunder über Wunder – vom Bauherrn den Architekten überlassen wurde und deshalb wunderbar passt.