Das Jahr 2014 als Anlass für einen geschichtlichen Rückblick: Deutschland holt die Bonner Republik an die Lagune von Venedig. Andere Teilnehmer ignorieren das vorgegebene Thema „Absorbing Modernity“.

Venedig - Absorbing Modernity 1914–2014“: das Thema, das der diesjährige Biennale-Direktor Rem Koolhaas für die Länderpavillons ausgegeben hat, trägt eine irritierende Unschärfe in sich. Ist die Formulierung im Aktiv oder im Passiv zu verstehen? Lautet die deutsche Übersetzung also „die absorbierende, nationale Eigenheiten verschluckende Moderne, oder doch „die absorbierte Moderne“, die ihrerseits aufgesaugt wird?

 

Klarheit verschafft auch der Besuch in Venedig nicht, denn die Länder haben die Aufgabe mal so, mal so ausgelegt – was sicher in Koolhaas’ (unausgesprochener) Absicht lag. Brasilien etwa huldigt in einer schönen Rückschau seinen Heroen Oscar Niemeyer, Lina Bo Bardi und Lucio Costa, die mit Ikonen wie den Regierungsbauten in Brasilia das nationale Selbstbild stärker geprägt haben als Architekten anderswo. Belgien dagegen sieht in einem der witzigsten Beiträge dieser Biennale „die Moderne“ als Opfer. In den blendend weiß gestrichenen Räumen – einer Persiflage des Moderne-Fetischs White Cube – sind gewöhnliche belgische Wohnzimmer von heute zu sehen, stellvertretend für Milliarden ähnlicher Stuben rund um den Globus. Als Fotos an die Wände gepappt, zeigen sie vollgerümpelte oder improvisierte Intérieurs mit voluminösen Ledersofas, Rüschengardinen und Versandhausbarock, an denen jeder Kategorisierungsversuch abprallt. Am besten würde die Überschrift „Absorbing Ikea“ passen. In ironischer Verdoppelung der Gegenstände auf den Bildern taucht dazu in der einen Pavillonecke eine reale Topfpflanzenkolonie, in der andern ein Ziegeluntersatz Marke Eigenbau für den Fernseher auf. Willkommen in der Wirklichkeit!

Auch Österreich widersetzt sich der Aufgabe, eine landeseigene Geschichte der Moderne, beginnend 1914, zu erzählen. Eine internationale Formensprache, sagt der Kurator Christian Kühn, habe sich nicht erst im 20. Jahrhundert herausgebildet, sondern bereits hundert Jahre früher. Staatliche Repräsentationsarchitektur tritt bevorzugt in neoklassizistischem Gewand auf, und das bis in die Gegenwart. Fast zweihundert Parlamentsbauten in aller Welt präsentiert Kühn als Kollektion einheitlich grau gefärbter Modelle im Maßstab 1:500. Der überraschende Befund: antikisierende Formen erfreuen sich vor allem seit 1950 herausragender Beliebtheit. Myanmar hat das größte Parlamentsgebäude von allen, und die Parlamente von Finnland und Nordkorea sehen fast gleich aus. „Es gibt schon zu denken, dass die Architektur einer der makellosesten Demokratien der Welt auch für eine Diktatur funktioniert“, zitiert das Magazin „Bauwelt“ den österreichischen Kommissär.

Der Bonner Kanzlerbungalow wurde implatiert

Von da aus ist es thematisch nicht weit zum deutschen Pavillon. 1905 als Padiglione Bavarese errichtet und 1938 von Ernst Haiger auf NS-Klassizismus gebürstet, hat er immer wieder Abrissgelüste bei späteren deutschen Architektengenerationen geweckt. Die Kuratoren Savvas Ciriacidis und Alex Lehnerer lassen nun in einer intelligenten Montage zwei gegensätzliche architektonische Haltungen und zwei Konzepte staatlicher Repräsentation aufeinanderstoßen: Dem Pavillongebäude haben sie eine 1:1-Teilnachbildung des Bonner Kanzlerbungalows implantiert, den Sep Ruf 1964 als Privatwohnsitz für Ludwig Ehrhardt und nachfolgende Regierungschefs baute. Hier steinerne Achsialsymmetrie, schwere Säulen, Portikus, da Transparenz, Asymmetrie, Reduktion als Ausdrucksträger der jungen, ideologisch geläuterten Bundesrepublik. Architektur spricht im „Bungalow Germania“ durch sich selbst. Der Vermittlung durch Fotos und Pläne bedarf es nicht. Das überzeugt als Konzept. Aber die Moderne endet bei Ciriacidis/Lehnerer in den Sechzigern, wie übrigens in zahlreichen anderen Länderpavillons auch – vor einem halben Jahrhundert. Das Ergebnis des Verschnitts nimmt sich am Ort auch spannungsloser aus als die Idee erwarten ließ. Und die DDR-Moderne fällt gleich ganz unter den Tisch.

Am deutschen Pavillon lässt sich jedenfalls die Frage exemplarisch diskutieren, über die viele Biennale-Besucher sich die Köpfe zerbrachen: Ist es anno 2014 noch legitim, nationale Perspektiven zu eröffnen? Gibt es noch eine spezifisch französische, spanische, italienische, amerikanische Architektur? Die meisten Kuratoren verneinen das. Architektur sei heute Teil einer „globalisierten Entwicklungsmaschine, der mit der Fixierung auf Landesgrenzen nicht beizukommen ist“, wendet etwa der Kritiker Kaye Geipel gegen das Koolhaas-Thema ein. Die westliche Einstellung, dass jede Nationalitätenfrage „überholt, reaktionär und überflüssig“ sei, bezeichnet der Kunsthistoriker Beat Wyss dagegen als naiv. Spätestens seit der Ukrainekrise sei diese gemütliche Gewissheit erschüttert. „Es ist also eine gute Idee, sich gerade jetzt mit Geschichte und Funktion der nationalen Pavillons auseinanderzusetzen.“

Einfache Antworten gibt es nicht. Vielleicht klammern sich viele Kuratoren an die Nachkriegsmoderne, weil die Dinge damals irgendwie klarer lagen?