„Bellacara“ wirkt nicht nur schwangerschaftsverhütend, sondern auch gegen Akne: „Was wir wussten – Risiko Pille“ ist ein investigativer Thriller über die Gefahren der Anti-Baby-Pille.

Stuttgart - Investigative Thriller haben eine gute Tradition in der ARD. Daniel Harrich zum Beispiel hat mit seinen Filmen über Skandale beim Waffenexport („Meister des Todes“) oder bei der Herstellung von Medikamenten („Gift“) schon oft gezeigt, wie sich aus komplexen Stoffen spannende Unterhaltung mit Mehrwert machen lässt. Im Zentrum seiner Arbeiten steht meist eine Identifikationsfigur, die als Insider unmittelbar beteiligt ist, aber dann Gewissensbisse bekommt. Diesem Muster folgt auch „Was wir wussten – Risiko Pille“. Der sperrige Titel klingt zwar eher nach Dokumentation, aber das Autorenehepaar Eva und Volker A. Zahn verpackt die Tatsachen, auf denen ihr Drehbuch basiert, zumindest auf der wirtschaftlichen Ebene als fesselnde Handlung: Ein Pharmakonzern will eine Anti-Baby-Pille einführen. „Bellacara“ soll Wunder bewirken, denn neben der Schwangerschaftsverhütung ist die Pille auch gut gegen Akne. Die Risiken werden dagegen verschweigen: Die Thrombosegefahr ist höher als bei früheren Medikamenten dieser Art. Erzählt wird die Geschichte aus der Perspektive eines Mitarbeiters, der die Aufgabe hat, die medizinischen Fakten für die Zulassung zusammenzustellen: Der Mediziner Carsten Gellhaus (Stephan Kampwirth) setzt sich vergeblich dafür ein, dass der Beipackzettel auf die Nebenwirkungen hinweist.

 

Glatte Haut, toller Busen

Schon der Auftakt ist reizvoll. Der Film beginnt mit einer Art Werbespot im Stil eines YouTube-Beitrags: Zwei Teenager schwärmen in dem Video über die Wunderpille, die für glatte Haut und einen tollen Busen sorgt – dann kippt die Stimmung, die Mädchen fangen an zu röcheln und sprechen von Thrombosen. Viel später, wenn der Film den Prolog wieder eingeholt hat, stellt sich raus, dass sich die Influencer-Zwillinge Mimi und Maja bloß einen makabren Scherz erlaubt haben. Konzernchef Schmitz-Wessel (Thomas Heinze) ist trotzdem sauer und macht der für die Markteinführung von „Bellacara“ verantwortlichen Projektleiterin Sabine Krüger (Nina Kronjäger) klar, dass sie ihre Berufung in den Vorstand vergessen kann. Die Frau gibt ihren Frust in Form einer Ohrfeige an Gellhaus weiter – jetzt blendet der Film acht Monate zurück, um die ganze Vorgeschichte zu erzählen.

Der Einstieg weckt Neugier. Die Spannung sackt jedoch erst mal ab, denn „Bellacara“ spielt zunächst keine Rolle mehr. Stattdessen mutiert der Film zum Beziehungsdrama: Gellhaus hat ein Verhältnis mit seiner Chefin und verlässt seine Frau; Krüger betrachtet ihn aber bloß als Zeitvertreib. Die Affäre hat natürlich Folgen für den beruflichen Umgang miteinander; die personelle Konstellation ist also nicht uninteressant. Der Film verschwendet hier jedoch viel Zeit und erweckt den Eindruck, das Autorenpaar, die Regisseurin (Isa Prahl) oder der Sender (NDR) hätten das Risiko gescheut, die Handlung allein auf den medizinischen Skandal zu konzentrieren. Die Rahmenhandlung wirkt wie ein Tribut ans Publikum, dem offenbar unterstellt wird, es interessiere sich für diesen Stoff nur, wenn es emotionale Anknüpfungspunkte gibt.

Lena und Lisa spielen sich selbst

Oft werden solche Geschichten aus Opfer-Sicht erzählt. Weil es diese Ebene hier nicht gibt, wollten die Verantwortlichen die Emotionen wohl auf andere Weise wecken. Vielleicht haben die Nebenschauplätze auch mit der Gestaltung der Hauptfigur zu tun. Kampwirth kann gerade die Brüche seiner Charaktere ausgezeichnet vermitteln, er ist eine vorzügliche Besetzung für diese Rolle, denn Gellhaus wird trotz seiner Skrupel nicht zum Kämpfer.

Ungleich fesselnder sind die entlarvenden Gespräche über die Einführung von „Bellacara“ und die entsprechende Marketingkampagne. Die Pille soll nicht als Medikament, sondern als Lifestyle-Produkt vermarktet werden, Kernzielgruppe sind Mädchen und Frauen zwischen elf und zwanzig; daher die beiden Influencerinnen, deren Darstellerinnen gruselig gut sind. Das wiederum ist kein Wunder, denn Lena und Lisa Mantler spielen sich quasi selbst: Die beiden haben bei Instagram über 15 Millionen Fans.

Schlicht, aber wirkungsvoll ist das visuelle Konzept: Das Konzerngebäude ist ein abweisender Moloch, die Innenaufnahmen sind in Blaugrau gehalten, die Entscheider dunkel gekleidet. Damit es keinen Zweifel am Charakter von Sabine Krüger gibt, muss die Frau ständig Anglizismen von sich geben, was unglaubwürdig klingt, weil zu hören ist, dass Nina Kronjäger solche Redewendungen im Alltag nicht benützt. Der Sprachgebrauch ist der durchschaubare Versuch, Distanz zu der Figur aufzubauen. Dabei tut sie das zur Genüge selbst, denn Krüger ist bereit, über Leichen zu gehen, was angesichts der drastisch erhöhten Thrombose-Gefahr durchaus wörtlich zu verstehen ist.

ARD,
20.15 Uhr