Das Leben schreibt die fiesesten Geschichten. In Argentinien hat ein ehemaliger Scherge der Militärdiktatur in der Demokratie weiter Menschen gekidnapt, nun als Geschäftsmodell. Pablo Traperos Thriller erzählt das spannend nach.

Stuttgart - Was für ein höflicher, gewissenhafter Herr! Jeden Morgen tritt Arquimedes Puccio, Geschäftsmann und Familienvater, mit einem Besen bewaffnet vor sein Haus und fegt den Staub vom Gehweg. Anschließend spritzt er Wasser auf die Gasse, bis wirklich jeder Stein blitzblank ist. Überhaupt ist seine Familie sehr angesehen in San Isidro, einem hübschen Vorort von Buenos Aires. Die Surf-Boutique, die Papa Puccio (Guillermo Francello) zusammen mit seinem ältesten Sohn Alejandro (Peter Lanzani) betreibt, ist ein Hit. Dass die Familie trotz der gut laufenden Geschäfte noch immer einen bodenständigen Lebensstil pflegt, gilt in der Gegend als Beweis für Integrität.

 

Natürlich ist das alles bloß Fassade, dazu da, vom Regisseur Pablo Trapero in seinem auf Tatsachen beruhenden Gangsterdrama „El Clan“ Stück für Stück eingerissen zu werden. Bis zum Ende der argentinischen Militärdiktatur 1983 entführte und folterte der reale Arquimedes Puccio Menschen, die dem System nicht genehm waren. Die grausamen Zustände dieses Argentiniens beleuchten derzeit im Stuttgarter Literaturhaus auch die Ausstellung zum argentinischen Endzeit-Comic „Eternauta“ sowie eine ganze Reihe von Veranstaltungen zum individuellen und kollektiven Trauma der vielen Verschleppungen.

Entführung als Familiengeschäft

Die für den Terror verantwortlichen Schergen konnten meist nahtlos ein neues Leben in der Demokratie beginnen. Arquimedes Puccio stellte sein blutiges Handwerk auf marktwirtschaftlichen Boden. Er entführte nun, um Lösegeld zu verlangen – und brachte seine Opfer trotz erfolgter Bezahlung um. Trapero aber interessiert sich in seinem Film weniger für die Verbrechen selbst. Er beschäftigt sich mehr mit ihren Auswirkungen auf das familiäre Gefüge. Arquimedes nimmt nicht nur Fremde in Geiselhaft, auch seine Frau Epifania (Lili Popovich) und die Kinder leben gleichsam in einem Gefängnis, weil sie sich vom Treiben des Patriarchen nicht distanzieren können. Vor allem für die älteren Söhne wird das zum Problem, denn im Gegensatz zu den jüngeren Geschwistern werden sie in die kriminellen Aktivitäten mit einbezogen.

Trapero arbeitet deutlich heraus, wie schon die Kinder eine janusgesichtige Persönlichkeit entwickeln müssen. Allen voran Alejandro, der ein wenig dem sanften Rebellen Jim Morrison ähnelt und für seine Freunde aus der Rugbymannschaft den smarten Jungen von nebenan gibt. In seinem anderen Leben verstrickt er sich zunehmend in die Machenschaften seines Vaters, wenn auch widerwillig.

Brutalität und Pop

Der Film könnte auf den Zuschauer bedrückend wirken. Doch weil Trapero von den entsetzlichen Vorgängen in fast beiläufigem, nonchalantem Ton erzählt und die Brutalität von Arquimedes oft mit zuckersüßen Popmelodien untermalt, ist „El Clan“ von einer heiteren, in manchen Momenten allerdings auch etwas unpassenden Ironie durchzogen. Hier sind keine Monster am Werk, sondern ganz normale Leute, die eben hin und wieder Böses tun.

El Clan. Argentinien, Spanien 2015. Regie: Pablo Trapero. Mit Guillermo Francello, Peter Lanzani, Lili Popovich, Giselle Motta, Franco Masini. 109 Minuten. Ab 16 Jahren.