Die Alpenrepublik setzt mit erstaunlichem Erfolg auf die Sozialversicherung – und kommt ohne private Vorsorge aus.

Stuttgart - Eigentlich hat das Thema das Zeug zum Hit im Bundestagswahlkampf: Rentner in Österreich stehen deutlich besser da als ihre Altersgenossen in Deutschland. Aber die Frage, warum in Österreich ein Rentner fast 800 Euro mehr pro Monat als ein Deutscher mit vergleichbarem Erwerbsverlauf bekommen kann, wird nur selten gestellt. Hervor geht der Vergleich aus der Studie „Alterssicherung in Deutschland und Österreich: Vom Nachbarn lernen?“ des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung. Immerhin hat sich Ende Februar der Ausschuss für Arbeit und Soziales des Bundestags mit einer siebenköpfigen Delegation auf den Weg nach Wien gemacht, um im Detail zu erfahren, was die Österreicher anders machen als der große Nachbar.

 

Die Riester-Rente steht in der Kritik

Die Akteure in der Alpenrepublik haben in den Nullerjahren vor allem eines getan: Sie haben den von Deutschland eingeschlagenen Reformweg ignoriert und bei der Rente voll auf die umlagenfinanzierte Sozialversicherung gesetzt. Diese Rente galt in Deutschland in Zeiten des demografischen Wandels als nicht mehr bezahlbar, weshalb zur Begrenzung der Lohnnebenkosten das Niveau abgesenkt wurde: bis 2030 auf 43 Prozent. Zum Ausgleich hat die Politik den Menschen dringend die private Vorsorge ans Herz gelegt. Das Ziel: die Absicherung eines Niveaus von insgesamt 50 Prozent. Die freiwillige Riester-Rente ist jedoch alles andere als ein Erfolg und steht stark in der Kritik.

Die Diskrepanz ist groß. Ein deutscher Durchschnittsverdiener, der nach mindestens 35 Jahren Beitragszahlung in Rente geht, hat Anspruch auf 1050 Euro im Monat – gegenüber 1560 Euro, die darüber hinaus noch 14 Monate lang gezahlt werden, in Österreich (Stand 2013). Ein Grund hierfür sind die unterschiedlich hohen Beiträge. In Deutschland liegt der Beitragssatz bei 18,7 Prozent, in Österreich bei 22,8 Prozent.

Auch Beamte zahlen einen Beitrag

„Die deutsche Debatte, dass steigende Beiträge in der Sozialversicherung, also steigende Lohnnebenkosten, automatisch zu volkswirtschaftlichen Einbußen führen, sollte zumindest reflektiert werden“, urteilt Florian Blank, einer der Autoren der WSI-Studie. „Ein starkes öffentliches Rentensystem mit einem hohen Beitragssatz hat dem Land ökonomisch offensichtlich nicht geschadet“, sagt der Leiter des Referats Sozialpolitik beim WSI mit Blick auf das Wirtschaftswachstum in Österreich.

Das Land hat außerdem in Angriff genommen, was sich in Deutschland bisher niemand getraut hat: die Angleichung der Beamtenversorgung an die Regeln des Rentenrechts. Seit 2005 zahlen auch die Beamten für ihre Altersbezüge einen Beitrag. Selbstständige gehören schon länger zum Versichertenkreis. Diese Erweiterung, so heißt es in der WSI-Studie, könne für einen langen Übergangszeitraum als Puffer wirken. Danach werden freilich auch aus diesen Beitragszahlern Leistungsempfänger.

Österreich lässt sich die Alterssicherung mehr als Deutschland kosten

Die höheren Beiträge führen dazu, dass Österreich insgesamt einen größeren Anteil seines Bruttoinlandsprodukts (BIP) für die Alterssicherung reserviert als Deutschland. In Deutschland machten die Ausgaben 2013 einen Anteil von 10,0 Prozent am BIP aus, in Österreich 13,9 Prozent. „Das ist ein Hinweis auf eine andere Präferenz, die nicht so ohne Weiteres auf Deutschland übertragbar ist“, sagt der Rentenexperte des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft (IW), Jochen Pimpertz.

Der promovierte Volkswirt gibt zu bedenken: „Der Blick auf die in Österreich höhere Versorgung ist nur die halbe Wahrheit. Die andere Hälfte besteht aus einem Beitragssatz, der um vier Punkte über dem deutschen Niveau liegt, und dem insgesamt höheren Anteil am BIP, der auf die Alterssicherung entfällt.“

Auch die OECD verteilt schlechte Noten

Statt das deutsche Drei-Säulen-Modell generell infrage zu stellen, empfiehlt Pimpertz, sich um bestimmte Problemgruppen wie Alleinerziehende zu kümmern. Aus Blanks Sicht zeigt der Vergleich, „dass die Sozialversicherung ein sehr leistungsfähiges und flexibles Instrument ist“. Höhere Leistungen, höhere Kosten: Daraus folgt für ihn, dass es eine Diskussion darüber geben muss, „was wir uns leisten und wie wir das bezahlen wollen. Damit wird die Sozialpolitik vom Kopf auf die Füße gestellt.“

Auch nach den Berechnungen der Industriestaatenorganisation OECD schneidet das deutsche Rentensystem nicht besonders gut ab. Danach kann der deutsche Rentner bei Eintritt in den Ruhestand langfristig mit einem Rentenniveau von lediglich 37,5 Prozent rechnen; sein Pendant in Österreich darf sich auf 78,1 Prozent einrichten. Bei diesen Bruttozahlen sind die Steuern noch nicht berücksichtigt. Die OECD gehört zu den wenigen Institutionen, die auch Nettozahlen ermitteln, also die Einkommensteuer berücksichtigen. In Deutschland müssen auf Sozialversicherungsrenten erst seit 2002 Steuern gezahlt werden – zu Beginn auf 50 Prozent der Renten, dann steigend auf zum Beispiel 74 Prozent 2017 und weiter auf 100 Prozent im Jahr 2040.

Seit 2002 muss die Rente versteuert werden

In Österreich werden Renten grundsätzlich nach den gleichen Regeln versteuert wie Erwerbseinkommen. Bis Anfang 2016 galt die Besteuerung als scharf, da bereits ab 11 000 Euro Rente (nach Abzug des Krankenversicherungsbeitrags) der Eingangssteuersatz von 36,5 Prozent griff; mittlerweile ist die Besteuerung abgemildert. Der Faktor Steuern korrigiert den Vergleich nach den Zahlen der OECD nicht zugunsten von Deutschland, die Abstände bleiben gleich: Das langfristige Rentenniveau nach Steuern für Österreich gibt die Organisation mit 91,6 Prozent an, für Deutschland mit 50,0 Prozent.

WSI-Mann Blank findet, dass „Österreich einen sehr guten Weg gegangen ist“. Trotzdem empfiehlt er Deutschland nicht, das Modell des Nachbarlandes eins zu eins zu kopieren. „Aber Anregungen können wir uns dort auf jeden Fall holen“, sagt er.