Die Regierung muss einen Armuts- und Reichtumsbericht vorlegen. Doch SPD und Union können sich nicht einigen. Deshalb prescht die Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) mit ihrer Deutung vor.

Berlin - Eigentlich sollte der 5. Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung schon seit Wochen vorliegen. Immer wieder ist es zu Verzögerungen gekommen, weil Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) und das Kanzleramt die Daten unterschiedlich interpretierten. Obwohl der Bericht noch nicht fertig ist, geht die federführende Ministerin nun an die Öffentlichkeit: Sie gibt ihre Darstellung des Berichts wieder. Ob ihre Aussagen vom Bericht gedeckt sind, lässt sich nicht überprüfen. Die letzte Fassung wird unter den verschiedenen Ministerien abgestimmt. Wann der Bericht ins Kabinett geht, konnte Nahles nicht sagen.

 

Union betont Stabilität, die SPD die Ungleichheit

Nach den bisher vorliegenden Informationen enthält der Armuts- und Reichtumsbericht Licht und Schatten. Deutschland stehe nach der Finanzkrise 2008 heute solide dar, heißt es darin. Das stetige Wirtschaftswachstum und die höchste Beschäftigtenzahl seien Ausdruck der Stabilität. Gleichwohl sieht Nahles Handlungsbedarf: „Die wirtschaftliche Entwicklung der letzten Jahre war gut, aber nicht sozial gerecht“, heißt es in einer Zusammenfassung aus ihrem Ressort. Das klingt ein bisschen nach dem SPD-Kanzlerkandidaten Martin Schulz – und das soll es natürlich auch. Während die Union die wirtschaftliche Stärke Deutschlands, die gute Lage am Arbeitsmarkt, die Reallohn- und Rentensteigerungen der vergangenen Jahre hervorhebt, legt Nahles ihr Augenmerk auf den Niedriglohnsektor und die Vermögenszuwächse der Reichen.

Nahles spricht von „verfestigter Ungleichheit“ und der Kluft bei den Vermögen. Die vermögendsten zehn Prozent der Haushalte besäßen mehr als die Hälfte des gesamten Nettovermögens in Deutschland. Die unteren 50 Prozent verfügten dagegen nur über ein Prozent des Vermögens. Ein Problem sieht Nahles darin, dass die Ansammlung von Vermögen nicht auf eigenen Leistungen beruhe. Für den Bericht seien reiche Menschen mit einem verfügbaren Vermögen von mindestens einer Million Euro befragt worden. Zwei Drittel der Befragten hätten angegeben, dass eine Erbschaft oder Schenkung maßgeblich für den Vermögensaufbau war. „Da stellt sich die Frage der Gerechtigkeit“, folgert Nahles. Sie muss allerdings einräumen, dass die Untersuchung wegen geringer Fallzahlen nicht-repräsentativ ist. Das stört sie aber nicht. Die Arbeitsministerin spricht sich für eine höhere Erbschaftsteuern aus.

Nahles verlangt Korrektur im Niedriglohnbereich

Gerade bei den Verteilungsfragen können sich Union und SPD nur schwer auf einen Nenner einigen. Nahles stört das nicht, sie zieht ihre eigenen Schlüsse. „Es bietet sich weltweit eine Oligarchie von Reichen heraus, die Vermögen leistungslos erwerben“, sagt die Ministerin. Oligarchen in Deutschland? Das meint jedenfalls die SPD-Ministerin.

Korrekturen hält das Kabinettsmitglied im Niedriglohnsektor für notwendig. Die Arbeitnehmer mit mittlerem und hohem Einkommen hätten in der Vergangenheit zwar Reallohnerhöhungen verzeichnet. „Die unteren 40 Prozent verdienen heute real weniger als Mitte der neunziger Jahre“, sagt Nahles. Zum Teil sei dies darauf zurückzuführen, dass Menschen erstmals einen Job gefunden hätten, die vorher nicht erwerbstätig waren. Deren Löhne sind niedrig. Dennoch gebe es auch Branchen wie das Transportgewerbe, den Handel sowie weitere Dienstleistungssparten, in denen die Löhne auf niedrigem Niveau verharrten. „Das ist nicht nur für die Betroffenen ungerecht, sondern es schadet uns allen“, sagt Nahles. Durch Studien sei belegt, dass Menschen mit geringem Einkommen seltener zur Wahl gingen. Sie fühlten sich von der Politik kaum vertreten.

Die Union teilt Nahles’ Sichtweise häufig nicht. „Es wäre klug gewesen, den Bericht erst nach der Beratung im Kabinett vorzustellen“, sagt der CDU-Sozialpolitiker Peter Weiß dieser Zeitung. Der CDU-Abgeordnete sieht allerdings in einem Punkt Verbesserungsbedarf. Der Aufstieg aus Armut und Armutsgefährdung durch Bildung und Weiterbildung gelinge noch zu wenig. Hier müsse Politik ansetzen.