Gerhard Trabert von der Ambulanz ohne Grenzen aus Mainz zu Gast bei der Armutskonferenz in Waiblingen: Der Mediziner und seine Kollegen behandeln Kranke vor Ort in einer rollenden Praxis.

Rems-Murr/ Ludwigsburg: Martin Tschepe (art)

Waiblingen - Eine ältere Dame meldet sich am frühen Donnerstagabend bei der Armutskonferenz in der Christuskirche in Waiblingen zu Wort und erklärt, dass sich die Frau Sozialministerin wohl nicht vorstellen könnte, wie es sich anfühle, von 399 Euro im Monat leben zu müssen. Zu diesem Zeitpunkt hat der Mediziner und Sozialpädagoge Gerhard Trabert bereits viel erzählt von seiner Arbeit bei der Mainzer Ambulanz ohne Grenzen. Alle seine klugen Sätze und die vielen Zahlen, die er herunterbetet, lassen sich knapp so zusammenfassen: Armut macht krank.

 

Zu Beginn der Konferenz, bei der es speziell um Krankheit und Armut geht, erklärt Heiderose Maaß von der Diakonie Stetten, dass das „gewaltige Flüchtlingsthema“ das Thema Armut in Deutschland nicht verdrängen dürfe. Und die Erste Bürgermeisterin der Stadt Waiblingen, Christiane Dürr, sagt, dass für viele Menschen die Brille und der Zahnersatz zu Luxusgütern geworden seien. Ja, Armut mache mitunter tatsächlich krank, und Krankheit mache arm, „ein Teufelskreis“.

„Der Trend nimmt zu, Arme sterben frühen“

Ist es möglich, diesem Teufelskreis zu entkommen? Ja klar, so die ganz knapp zusammengefasste Antwort von Trabert, dem Hauptredner der Veranstaltung, zu der die Kirche, das Forum Arbeit und Gesellschaft, die Liga der Wohlfahrtsverbände im Landkreis und das Sozialunternehmen Neuer Arbeit eingeladen hatten.

Trabert sagt, in Deutschland lebten zwölf Millionen bis 13 Millionen Menschen in Armut, als arm gelte, wer monatlich netto über nur rund 900 Euro verfüge. Schon der alte Goethe habe gewusst: „Arm am Beutel, krank am Herzen.“ Trabert dazu: „Ja! Das wissen wir schon seit vielen Jahren.“ Das Robert-Koch-Institut habe ermittelt, dass das reichste Viertel der Bevölkerung bei Frauen durchschnittlich acht Jahre länger lebe als das ärmste Viertel. Bei Männern betrage der Unterschied sogar rund elf Jahre. „Der Trend nimmt zu, Arme sterben frühen.“ Arme Männer in Deutschland hätten eine durchschnittliche Lebenserwartung wie Nordafrikaner, sie erreichten das 65. Lebensjahr nicht. Vielen Politikern seien diese Zahlen zwar bekannt, sie würden aber kaum in der Öffentlichkeit benannt. Andere Studien hätten ergeben, dass sich eine gerechtere Verteilung des Vermögens positiv auf die Lebenserwartung der Bürger auswirke – und zwar auf die der Wohlhabenderen und der Ärmeren. Womöglich seien höhere Steuersätze für Gutverdiener nötig.

„Bermudadreieck sozialer Benachteiligung“

Arbeitslosigkeit und Erkrankungen, speziell Suchterkrankungen und psychische Erkrankungen, führten zu Armut. Trabert spricht von einem „Bermudadreieck sozialer Benachteiligung“. Er kritisiert die Entwicklungen im Gesundheitssystem, „die Entsolidarisierung und die zunehmende Privatisierung“.

Die Ambulanz ohne Grenzen behandle mit ihrem rollenden Arztmobil und in einer stationären Praxis speziell jene Menschen, die nicht krankenversichert seien – mit Hilfe von Spendengeld. Eigentlich, so Trabert, sollten aber alle Menschen im bestehenden System versorgt werden. Gesetzesänderungen seien nötig.

Später erklärt die Sozialministerin Katrin Altpeter (SPD) mit Blick auf die Dame, die von 399 Euro im Monat leben muss, dass das eigentlich kaum zu schaffen sei. „Das habe ich aber schon immer gesagt.“ Mit dieser Antwort ist die Frau indes nicht zufrieden. Sie sagt: „Alles wird doch teurer.“