Noch so schön wie am ersten Tag: Art Garfunkel hat im Stuttgarter Beethovensaal begeisternd seine Deutschlandtournee eröffnet.

Kultur: Jan Ulrich Welke (juw)

Stuttgart - Fehlt er oder fehlt er nicht? Die Nagelprobe für diese alles entscheidende Frage kommt rasch nach Beginn des Konzerts. Art Garfunkel intoniert „Scarborough Fair“, das perfekteste Gesangsduett, das jemals in der Popmusikgeschichte eingespielt wurde. Brillant haben Paul Simon und Art Garfunkel in diesem Lied die Vokalsätze aufgeteilt, an der Grenze zur Vollkommenheit legen sich ihre Stimmen in diesem Stück übereinander, zum begnadet flehenden Duo kommt die wehende Musik in ihrer anrührenden Fragilität. Aber wie, bitteschön, soll einer von den beiden das denn allein hinbekommen? Denn auf der Bühne stehen nicht Simon and Garfunkel – dort steht nur Garfunkel.

 

Im Beethovensaal ergibt sich als Antwort auf die Frage dreierlei. Wir hören erstens einen außerordentlich dezent agierenden Keyboarder und Pianisten, der mehr oder weniger für die letzten Sahnehäubchen zuständig ist. Ansonsten macht Tab Laven die Musik. Und zwar nur er. Der hagere, großgewachsene und souverän stoische Mann bedient seine akustische Gitarre in selten gehörter Präzision und Virtuosität; er legt – übrigens ohne sich ein einziges Mal ein frisch gestimmtes Instrument reichen zu lassen – ein sicheres Fundament. Vielschichtig tönend, Melodielinien so filigran ausformulierend wie satte Harmonien hervorzaubernd. Lichtjahre entfernt von Lagerfeuerromantik, ein transparent und luzide spielender Ausnahmegitarrist, der sich, da schau, im Alter von zwölf Jahren das Gitarrenspiel angeblich durch endloses Nachspielen von Simon and Garfunkel-Alben beigebracht hat.

Schweigen über das Monster

Zweitens zu hören sind die Statements, die Art Garfunkel selber abgibt. Er dankt am Montagabend im erwartungsgemäß und seit Wochen ausverkauften Beethovensaal dem Komponisten Paul Simon warmherzig für dessen Hervorbringungen, er reißt so harmlose Scherzchen über Paul Simons Abendgesellschaften, über die Stelldicheins mit Al Pacino oder Jack Nicholson, dass man den 74-Jährigen Garfunkel völlig mit sich im Reinen weiß und mit seinem wahrlich langjährigen Musizierpartner zumindest im Reinen wähnt. Kein böses Wort also an diesem distinguierten Abend über den „Idioten“, den „Trottel“ oder das „Monster“, als den er zuletzt Paul Simon in Interviews geziehen hat. Frappierend poppen die Erinnerungen an das letzte Simon-and-Garfunkel-Konzert in Deutschland auf, vor zwölf Jahren in Köln, als auch die vermeintlich versöhnliche Harmonie das Leitmotiv des Abends war. Übelmeinend könnte man nun sagen, dass Art Garfunkel nach fünfzig Jahren Bühnenpräsenz Profi genug ist, auszublenden, wie sehr er seinen Duettpartner tatsächlich verachtet; aber dazu ist Art Garfunkel eine viel zu sanftmütige und reizende Erscheinung.

Drittens also, er selber bezeichnet sie im Beethovensaal als Gottesgeschenk, wäre da seine in den Bann schlagende Gesangsstimme. Butterweich und doch kristallklar, bruchlos, akkurat, in einer Intonation, als wären alle diese Stücke erst vorgestern und nicht vor Dekaden eingesungen worden. So achtsam wie empathisch präsentiert Art Garfunkel die Songs aus dem Repertoire, in hohen Registern ohne ins Falsett zu kippen, in den unteren Tenorlagen, ohne ins Grummeln zu geraten. Bei den gebotenen Simon-and-Garfunkel-Songs liegt er verblüffend nahe an den Originaleinspielungen, ohne dass man auch nur eine Sekunde den Eindruck hätte, eine Kopie oder gar einen billigen Abklatsch zu hören.

Poeme auf Briefumschlägen

Weswegen man also sagen darf, dass dieser Abend auch ohne Art Garfunkels kongenialen Partner Paul Simon blendend funktioniert. Gewitzt pflügt sich der New Yorker durch ihr gemeinsames Repertoire, bringt gleich als zweites Lied den alten Hit „The Boxer“, bald darauf wie erwähnt „Scarborough Fair“, nach der Pause „Sound of Silence“ und als letztes Stück vor der Zugabe „Bridge over troubled Water“. Dazu, Ehrensache, „Bright Eyes“ und allerlei mehr aus seiner eigenen Feder. Garniert wird all das mit einigen offenkundig selbst verfassten Poemen, die er zwischendurch von bedruckten Briefumschlägen abliest – in ihrer Arglosigkeit nicht jedermanns Ding vielleicht, aber diesen Abend nicht substanziell störend.

Der gerät ihm nämlich richtig fein. Nichts ist mehr zu hören von den Stimmbandproblemen, die Art Garfunkel zu einer mehrjährigen Zwangspause genötigt hatten und die noch bei den Konzerten im vergangenen Jahr nicht richtig überwunden waren. „Ich muss wissen, wer ich bin und wozu ich fähig bin“, spricht der leutselige Sänger – zunächst auf Deutsch – in der ersten seiner zahlreichen Ansagen, und er hat sich dies offenbar zu Herzen genommen, ehe er auf diese Tournee ging. Im exzellent klingenden Beethovensaal steht ein zwar gereifter und mittlerweile ganz schön haarloser, aber vorzüglicher Sänger auf der Bühne. Klein, aber fein begleitet stellt er dort vor einem ebenfalls gut mitgereiften Publikum unter Beweis, warum seine Musik längst einen Klassikerstatus erlangt hat und sich noch immer sehr gut anhören lässt. Den Traum von einer letzten gemeinsamen Tournee mit Paul Simon muss man wohl begraben, trotz aller freundschaftlichen Bekundungen; aber der „Ersatz“, den Art Garfunkel anzubieten hat, der hat Format.