Die sechsteilige Doku-Reihe „Der Kapitalismus“ ist ein kritischer Grundkurs zur Wirtschaftsgeschichte und zu ökonomischen Theorien, von Adam Smith bis Karl Polanyi. Von diesem Dienstag an zeigt Arte eindrucksvolle Doppelfolgen.

Stuttgart - Dem Fall der Mauer folgte der Zusammenbruch des sowjetisch dominierten Ostblocks. Die Sache schien klar: Da seine Alternative krachend gescheitert war, musste wohl der Kapitalismus das bessere System sein. Gut zwanzig Jahre, etliche Börsenkräche, Heuschreckenplagen und Staatskrisen später ist, gelinde gesagt, Ernüchterung eingekehrt. Einerseits. Andererseits findet sogar die linke Galionsfigur Sahra Wagenknecht die Idee der sozialen Marktwirtschaft Ludwig-Erhard’scher Prägung ganz in Ordnung. Wo soll es also, bitte schön, langgehen?

 

Das fragt sich auch der Fernsehsender Arte mit seinem Programmschwerpunkt „Kapitalismus, quo vadis?“. Herzstück ist eine sechsteilige französische Dokureihe mit dem nüchternen, aber nicht unbescheidenen Titel „Der Kapitalismus“. Thema ist weniger die aktuelle Wirtschaftspolitik. Es geht um ihre Grundlagen, um Geschichte und Theorien – ein umfassender Ansatz, der im Fernsehalltag zwischen Börsentipps und Markenchecks durchaus ungewöhnlich und an sich schon lobenswert ist. Die erste Folge („Adam Smith und der freie Markt“), die zur Rezension vorlag, lässt auf eine Art kritischen Grundkurs schließen.

Unterstützt durch eine stattliche Anzahl von Historikern, Ökonomen, Anthropologen und Soziologen wird hier die These vertreten, dass der Kapitalismus eine Folge der Entdeckung Amerikas sei. Die Jagd nach Edelmetallen ließ den Handel explodieren, sogar in China, wo das Papiergeld durch Silber abgelöst wurde.

Schwunghafter Handel mit Rohstoffen und Sklaven

Von Europa aus trieben private Handelsgesellschaften einen schwunghaften Handel mit Rohstoffen und Sklaven. In Großbritannien entstand ein Heer von enteigneten Kleinbauern, die von ihrem Land vertrieben wurden, damit Großgrundbesitzer sich aufgrund der steigenden Nachfrage nach Wolle der Schafzucht widmen konnten. „Die Entdeckung von Gold und Silber hat die Gesellschaft aus den Angeln gehoben“, kommentieren die Autoren. Diese Erzählung vom blutigen Gründungsmythos des Kapitalismus irritiert nur insofern, als es keine Gegenmeinung gibt. Was in wissenschaftlichen Kreisen eher unwahrscheinlich ist. Gibt es denn keine Adam-Smith-Fans mehr?

Der schottische Philosoph, der als Begründer der Nationalökonomie gilt, hatte im 18. Jahrhundert als Erster den Segen eines freien Marktes beschrieben. Ihm wird hier zweierlei vorgeworfen. Er „entschied sich, vor der Sklaverei die Augen zu verschließen“, sagt der britische Historiker Nicholas Phillipson. Und dass Menschen von jeher gehandelt und getauscht hätten, zweifeln die Anthropologen im Film an. Vielmehr hätten sich die Gemeinschaften durch ein System von Geben und Nehmen organisiert. Das Filmteam lässt sich das in Peru von Maijuna-Ureinwohnern im Amazonasgebiet bestätigen, die die Fische früher in einen Topf warfen und gemeinsam verspeisten. Außerdem geht es nach China, Mexiko und Haiti, in eine bolivianische Silbermine und zu einem für den Sklavenhandel gegründeten Fort an der Goldküste Ghanas. Insofern liefert die Reihe nicht nur trockenes Expertenfernsehen. Und zumindest der erste Teil ist schon deshalb unkonventionell gestaltet, weil er auf die heute üblichen Spielszenen verzichtet.

Dem Gesamtwerk Adam Smiths gerecht zu werden ist erkennbar nicht das Ziel der Autoren. Immerhin geht es in der direkt anschließend ausgestrahlten zweiten Folge ebenfalls um den Apologeten des freien Markts. Und darum, so die Arte-Ankündigung, wie Schlüsselpassagen seines Hauptwerks „Der Wohlstand der Nationen“ aus dem Kontext gerissen und für politische Zwecke benutzt wurden. Die weiteren Filme beschäftigen sich mit David Ricardo und Thomas Malthus (Folge 3), Karl Marx (4), Friedrich von Hayek und John Maynard Keynes (5) sowie Karl Polanyi (6).