Die Vielfalt der Muscheln und Schnecken in heimischen Gewässern ist verschwunden. Diesen Befund stellt Karl-Heinz Frey vom BUND. Zwei Stuttgarter Ministerien schätzen die Situation hingegen weit weniger dramatisch ein.

Kreis Esslingen - An Nacktschnecken im Garten herrscht kein Mangel. Während sich die bei Hobby-Gärtnern gleichermaßen gefürchteten und verhassten Salaträuber scheinbar ungehemmt vermehren, gehen die verschiedenen Schnecken- und Muschelarten in unseren heimischen Gewässern immer weiter zurück. Das jedenfalls stellt Karl-Heinz Frey fest. Der Umweltschützer und frühere Sprecher des Landesnaturschutzverbands im Kreis Esslingen schlägt jetzt Alarm. „Unsere Wasserschnecken sind fast am Aussterben“, sagte er in einem Vortrag beim Naturschutzbund Deutschland (NABU).

 

Bereits seit zehn Jahren beobachtet das BUND-Mitglied die Gewässer. „Ich habe im Kreis Esslingen nur noch in einem See mehr als zwei Arten gefunden.“ Das positive Beispiel ist der Bärensee zwischen Leinfelden-Echterdingen und dem Siebenmühlental. Dort hat er immerhin zwölf Schnecken- und zwei Muschelarten festgestellt.

Früher wurden mit Muscheln die Schweine gemästet

Ansonsten fällt seine Bilanz trist aus. Unter die Lupe genommen hat er eine ganze Reihe von Gewässern, wie den Neckar, die Aich oder die Steinach. Vor der Neckarbegradigung , also vor rund 200 Jahren, habe es so viele Muscheln im Neckar gegeben, „dass sie sogar den Schweinen verfüttert wurden“. Heute kann Frey Flussmuscheln, Federkiemenschnecken und Wasserdeckelschnecken kaum noch nachweisen. „Diese Arten sind hier in weiten Teilen ausgestorben“, sagt er.

Die Gründe für den Artenrückgang sieht Frey in den Lebensbedingungen. „Inzwischen sind fast alle Gewässer, ob stehend oder fließend, mehr oder weniger keine intakten Lebensräume mehr.“ Mehrere Faktoren nennt der Nürtinger: Viele Feuchtgebiete seien trocken gelegt worden, und Teiche wiesen durch intensive Nutzung einen zu hohen Fischbesatz auf. Außerdem seien die meisten Gewässer hydraulisch überlastet. Bei starkem Regen lässt das von Überlaufbecken eingeleitete Wasser Flüsse und Bäche anschwellen. „Dadurch wird alles mitgerissen und die Bachsohle leer gefegt und ausgewaschen“, erklärt der 70-Jährige.

Stoffe im Wasser machen Mollusken zu schaffen

Schließlich mache die Verschmutzung Muscheln und Schnecken das Leben schwer. Eine „unglaubliche Menge an Fremdstoffen“ sammeln sich Frey zufolge in den Gewässern an, darunter Mikro-Plastikteilchen und synthetische Hormone. Letztere bewirkten, dass die verschiedengeschlechtlichen Schnecken und Muscheln verweiblichen und keine Nachkommen mehr zeugen können. Frey beobachtet, dass sich Einwanderer wie die Neuseeland-Zwergdeckelschnecke ansiedeln. Diese sei „perfekt an unser belastetes Wasser angepasst“. Sie vermehrt sich durch Jungfernzeugung, braucht also keinen Partner.

Fehlen Muscheln und Schnecken, so ist dies Frey zufolge ein allgemeines Warnzeichen. Je größer die Anzahl und die Vielfalt dieser Tiere, desto intakter ist ein Ökosystem. Muscheln filtern und reinigen das Wasser. Erbsenmuscheln beispielsweise gehören zu den „Zeigerarten“. In unbelasteten Gewässern kommen sie häufiger vor, in belasteten hingegen nur noch einzeln. Laut Frey ist die Lage im Land so ernst, dass dringend gehandelt werden müsste.

Land will das Monitoring verbessern

Bei den zuständigen Behörden findet Frey bisher aber wenig Gehör. Es gebe „keine Erkenntnisse, dass es sich um ein landesweites Problem handelt“, so ein Sprecher des Ministeriums Ländlicher Raum. Vor zwei Jahren gab das Umweltministerium Frey diese Antwort: „Die erheblichen Mittel, welche laufend für Maßnahmen der Abwasserbeseitigung aufgewendet wurden, sowie die Mittel, welche für gewässerökologische Verbesserungen eingesetzt werden, zeigen sich in kontinuierlichen Verbesserungen der Gewässer. Die Umsetzung dieser Maßnahmen wird sicherlich auch einen Teil dazu beitragen, um die spezielle Situation der Mollusken zu verbessern.“ Frey überzeugt dies nicht. „Die Lage ist schlechter als dargestellt. Letztlich weiß keiner richtig Bescheid“, sagt er.

Zwar gibt es von der Landesanstalt für Umwelt, Messungen und Naturschutz Baden-Württemberg (LUBW) die Rote Liste und das Artenverzeichnis der Schnecken und Muscheln im Land, erschienen im Jahr 2008. Ausgehend vom Jahr 1975 sind demzufolge rund 50 Prozent der Wasserschneckenarten bereits ausgestorben oder gelten als gefährdet. Bei den Muscheln liegt die Quote bei rund 45 Prozent. Frey zufolge zeichnen diese Zahlen aber noch ein zu positives Bild. Im Vorwort der Roten Liste räumen die Herausgeber ein, „dass unsere Kenntnisse bei den Mollusken noch sehr lückenhaft und mit vielen Forschungsdefiziten versehen sind“. Laut Bernhard Fischer, dem Leiter des Amts für Wasserwirtschaft im Kreis Esslingen, beabsichtigt die LUBW, sich künftig intensiver dem Monitoring von Großmuscheln zu widmen. Die Landesanstalt bitte um Hinweise zum Vorkommen einzelner Muschelarten.