Der Feldhamster ist vom Aussterben bedroht. In Mannheim sollen die geschützten Tiere wieder mehr Lebensraum finden.

Stuttgart - Zurzeit hält der Europäische Feldhamster Winterschlaf. Doch auch in seiner aktiven Zeit vom Frühling bis in den Herbst hinein sind die Chancen, dem Wildtier des Jahres 2016 im freien Feld leibhaftig zu begegnen, mehr als gering. Denn der stattliche kleine Nager ist inzwischen in vielen Teilen Europas vom Aussterben bedroht. Bis in die 70er Jahre wurden die Tiere bekämpft und gewerbsmäßig gefangen. Auch in Baden-Württemberg, wo Feldhamster einst von Ulm über Heilbronn bis Mannheim ihre angestammten Reviere hatten, ist der Bestand massiv zurückgegangen. Nur im Rhein-Neckar-Raum östlich von Mannheim und im Main-Tauber-Kreis gibt es noch wenige kleine Bestände.

 

Gut zu beobachten sind die schönen Tiere im Heidelberger Zoo. Dort gibt es seit gut zehn Jahren eine Zuchtstation. Diese ist zwar öffentlich nicht zugänglich; für Besucher gibt es aber ein kleines Schaugehege. Allerdings muss man auch hier viel Geduld und Glück haben, wenn man einen der scheuen Gesellen zu Gesicht bekommen will. Denn Feldhamster sind nachtaktiv und verlassen ihren Bau meist erst in der Dämmerung. Auch im Zoo bleiben sie tagsüber am liebsten in ihren Nestern und lassen sich nur selten blicken. „Aber man kann manche von ihnen tagsüber beim Schlafen beobachten – wenn sie nicht gerade das Fenster ihres Geheges mit Stroh zugebaut haben“, sagt Lisa Heimann, eine der Biologinnen, die die Tiere betreut.

Dass die Feldhamster ausgerechnet im Heidelberger Zoo eine Zuflucht gefunden habe, liegt am Bau der SAP-Arena in der Nachbarstadt Mannheim. Als dort 2001 im Bösfeld im Osten der Stadt mit der Planung für das Großprojekt begonnen wurde, hatte sich gezeigt, dass gerade hier die damals allerletzten Feldhamster Baden-Württembergs ihre Reviere hatten. Die Behörden planten daher ein Hilfskonzept für die streng geschützte Tierart zur Voraussetzung für die Genehmigung der Arena.

Umsiedelungsaktion reicht nicht

Anfangs dachte man auf dem Rathaus dabei lediglich an eine Umsiedlungsaktion in weiter nördlich gelegene Felder. Doch es zeigte sich rasch, dass das nicht reichen würde. „Der Bestand war damals schon so geschwächt, dass er durch eine Zucht mit anderen Tieren aufgestockt werden musste“, erklärt Ulrich Weinhold, Diplombiologe, Hamsterspezialist und Inhaber des Instituts für Faunistik in Heiligkreuzsteinach bei Heidelberg, der das gesamte Schutzprojekt akribisch geplant hat und wissenschaftlich betreut. So wurde 2004 im Auftrag der Stadt Mannheim mit dem Aufbau der Zuchtstation im Heidelberger Zoo begonnen. Dass die Arbeit nicht einfach werden würde, war den Fachleuten klar. „Feldhamster sind Einzelgänger und verpaaren sich relativ kompliziert“, erläuterte Weinhold schon damals. „Weibchen, die ein Männchen nicht leiden können, verjagen es in der Natur mit Bissen“, erklärte Josef Krah, Leiter des Amts für Baurecht und Umweltschutz der Stadt Mannheim. Dennoch sah es anfangs gut aus in der Zuchtstation. 18 Hamster waren 2004 aus einem Labor der Universität Stuttgart gekommen, um in Heidelberg zu den „Stammeltern“ einer neuen Kolonie in den Feldern Mannheims zu werden. 43 Junge haben sie im ersten Jahr geboren. Doch noch ehe sie alt genug für eine Auswilderung waren, starben alle an einer Wucherung der Thymusdrüse. Offenbar, so erklärt Weinhold, waren schon die Elterntiere bei Beginn des Projekts durch Inzucht geschwächt.

Mit 70 neuen, gesunden Tieren aus einem Labor im Elsass hat man daher 2006 noch einmal ganz von vorn begonnen. Im Mai 2007 war es dann so weit: Auf einem Acker mit Gerste und Luzerne wurden die ersten 30 jungen Hamster, 18 Weibchen und zwölf Männchen, in die Freiheit entlassen. Man hatte ihnen Löcher vorgebohrt und brachte sie erst am Abend aufs Feld hinaus, um sie möglichst wenig zu stressen. Dennoch wurde ein Großteil der Männchen gleich in der ersten Nacht von Füchsen oder Greifvögeln gefangen. Seither werden die Hamster schon am Morgen auf die Felder gebracht. „Dann können sie sich wenigstens schon etwas orientieren und an ihrem Bau graben, so dass sie am ersten Abend draußen vielleicht müde sind und sich zurückziehen“, erklärt Lisa Heimann. Die erste Nacht in Freiheit, das zeigen die Erfahrungen, sind für die freigesetzten Nager kritisch. Doch auch Tage und Wochen danach sind sie noch eine leichte Beute.

Schutzstreifen stehen lassen

Exakt 1001 Tiere haben die Biologen in Mannheim seit 2007 freigesetzt. Mehrere Landwirte haben sich vertraglich verpflichtet, im Sommer Schutzstreifen mit Getreide, Klee oder Luzerne nicht abzuernten, sondern stehen zu lassen, um den Hamstern Deckung und Futter zu sichern. Insgesamt 55 Hektar stehen so zur Verfügung. Dennoch zeigt die bisherige Erfahrung, dass die Auswilderung ein schwieriges Geschäft ist. Auf 70 bis 80 Prozent schätzt Weinhold die Verluste der Tiere im ersten Jahr, Genaueres weiß auch er nicht, denn aus Kostengründen wird nur ein sehr geringer Teil der ausgesetzten Tiere mit einem Sender ausgestattet, mit dem man sie weiterverfolgen könnte.

„Der Hamster hat viele Feinde“, erklärt Weinhold. Fuchs, Storch, Habicht oder Turmfalke: alle greifen zu. Auch frei laufende Hunde und Katzen machen gern Jagd auf sie. Besonders die Jungtiere, die nicht größer sind als eine Maus, sind gefährdet. Für einen besseren Schutz bräuchte man einfach „mehr Flächen und mehr Feldfrüchte“ sagt der Biologe. Stattdessen gibt es rund um Mannheim viele Straßen und Verkehr. Zudem ist die moderne Landwirtschaft nicht hamsterfreundlich. Die Felder werden schneller und gründlicher abgeerntet als früher, eine Verordnung schreibt vor, Stoppelfelder unmittelbar nach der Ernte umzupflügen – auch das nimmt den Tieren Deckung und Futterreste.

Die Hoffnung mancher Politiker, dass man mit Hilfe des Mannheimer Projekts rasch wieder zu stabilen Hamsterbeständen mit 300 bis 400 Tieren kommen könnte, hat sich bisher nicht erfüllt. „Wir haben hier zwar gezeigt, dass man Hamster erfolgreich wiederansiedeln kann, doch mitten im Ballungsraum wird das ein schwieriges Unterfangen bleiben“, erklärt Weinhold. „Besser wäre es sicher, mehr in die ländlichen Räume, etwa in den Kraichgau oder die Heilbronner Gegend, zu gehen. Eigentlich müsste man auch da die Hamster wieder ansiedeln. Doch dafür bräuchten wir ein Landeskonzept“, sagt der Biologe.