Der Bestand der größten Raubtiere Deutschlands erholt sich wieder. Doch nicht überall sind die Kegelrobben willkommen.

Stuttgart - Furcht erregend wirkt das größte Raubtier Mitteleuropas nicht gerade. Eher kommt es als gemütlicher Typ rüber, wenn es dösend am Strand liegt. Und das noch dazu mitten im Winter. Aber gegen kalte Nordwinde kann man sich ja in einen vier Zentimeter dicken Mantel aus Speck mümmeln. Eine solche Isolierschicht wärmt nicht nur beim faulen Strandleben, sondern auch bei der Arbeit im je nach Jahreszeit kalten oder nur kühlen Meer. Dort wandelt sich der eben noch gemütliche Strandurlauber in ein gefährliches Raubtier, das unter Dorschen und anderen Fischen Angst und Schrecken verbreitet. Schließlich wandern jeden Tag rund zehn Kilogramm Fisch oder andere Meeresbewohner in den Magen einer ausgewachsenen Kegelrobbe. Nach dem Fang schwimmt das bis zu 350 Kilogramm schwere Raubtier zurück an den Strand, um den Verdauungsschlaf zu halten.

 

Kegelrobben haben einen triftigen Grund, ihr Nickerchen möglichst an Stränden zu halten, an denen ihnen keine Zweibeiner begegnen. Noch im 20. Jahrhundert zahlten zum Beispiel die preußischen Behörden Kopfprämien für jedes erlegte Tier, weil die Fischer sich beklagten, dass Kegelrobben ihnen den Fang streitig machen würden. 1927 wurde die Jagd dann zwar verboten, allerdings war die letzte Kegelrobbe an der Küste Vorpommerns bereits 1920 erlegt worden, und die Art galt dort seither als ausgestorben.

Sachlich haben die Fischer mit ihrer Anschuldigung zwar recht, Kegelrobben verschlingen einige Fische. Allerdings viel weniger, als die Fischer befürchten: In den Boddengewässern von Mecklenburg-Vorpommern erwischen Kegelrobben gerade einmal ein Prozent der dort schwimmenden Fische, während Seevögel davon die fünffache Menge schlucken. Acht Prozent holen dort Angler aus dem Wasser, Berufsfischer erwischen mit 22 Prozent aller Fische den Löwenteil der Beute. Der Anteil der Kegelrobben fällt also kaum ins Gewicht. Das mussten auch die Fischer an der Ostsee erfahren: „Als die Kegelrobben und Seehunde in den 1920er Jahren von den deutschen Küsten verschwunden waren, erholten sich die Fischbestände nicht“, erklärt Michael Dähne, Zoologe am Deutschen Meeresmuseum in Stralsund.

Schadstoffe setzen den Robben zu

In der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts setzten dann Schadstoffe wie das Insektizid DDT und der Weichmacher PCB den Kegelrobben weiter zu, die in großen Teilen des nördlichen Atlantiks lebende Art wurde ein weiteres Mal massiv dezimiert. 1980 waren von rund hunderttausend Kegelrobben, die um 1900 in der gesamten Ostsee lebten, gerade noch 2500 Tiere übrig. Seit dieser Zeit ist die Art streng geschützt und erholt sich wieder. Da in Großbritannien relativ viele Kegelrobben überlebt haben, erreichen die großen Raubtiere von dort auch wieder die deutsche Nordseeküste. Spätestens 1983 kam wieder ein Kegelrobben-Baby im Wattenmeer zur Welt. 1993 verbuchen die Heimkehrer mit der ersten Geburt auf der Düne der Insel Helgoland den nächsten Erfolg.

„Heute leben wieder rund 4000 Kegelrobben zwischen den Niederlanden und Dänemark an der Nordseeküste und sind in Deutschland durch die Wattenmeer-Nationalparke geschützt“, erklärt Hans-Ulrich Rösner, der in Husum das Wattenmeer-Büro der Naturschutzorganisation WWF leitet. Allein auf der Düne von Helgoland erblickten 2015 rund 300 kleine Robben das Licht der Welt. Weitere Liegeplätze gibt es zum Beispiel auf Sandbänken bei der ostfriesischen Insel Juist und vor der nordfriesischen Insel Amrum. „Für den Naturschutz ist diese Rückkehr des größte Raubtiers in Mitteleuropa ein toller Erfolg“, freut sich Hans-Ulrich Rösner.

Allerdings gilt das nur für die Nordsee. In der Ostsee sieht die Lage dagegen anders aus. Dort haben sich die Bestände von 6000 Tieren 1993 auf rund 30 000 Kegelrobben heute erholt. Die deutschen Ostseegewässer aber rangieren nicht gerade unter den Topfavoriten bei den Meeressäugern. 2004 tauchten die ersten Kegelrobben in den flachen Gewässern zwischen der Insel Rügen und Greifswald auf. Inzwischen leben etwa 60 Tiere rund um die Insel Rügen.

Weibchen suchen sich einen Strand

Um ihre Jungen zur Welt zu bringen, suchen sich die Weibchen im Winter einen Kies- oder Sandstrand oder eine stabile Eisscholle. Strände gibt es auf Rügen und auf dem Festland zwar zur Genüge, meist sind sie aber schon von anderen Besuchern auf zwei Beinen in Beschlag genommen. Meist suchen sich die werdenden Mütter einen ruhigeren Sandstrand an der schwedischen oder dänischen Küste. Die hundert Kilometer dorthin sind für eine Kegelrobbe ja gerade einmal eine Tagesstrecke, wenn sie mit 15 Kilometern in der Stunde durch die Ostsee wandert.

Wenn sie alt genug sind, gehen die kleinen Kegelrobben ins Meer, um selbst zu jagen. Mit ihren „Barthaaren“ spüren sie noch winzige Wasserturbulenzen, die Fische vierzig Meter entfernt beim Schwimmen auslösen. Bei ihren bis zu 20 Minuten langen Tauchgängen finden die Kegelrobben daher mit diesem Vibrationssinn und ein wenig Übung genug Fische. Und das notfalls auch in den Stellnetzen der Fischer. Um dort an die leckere Mahlzeit zu kommen, zerreißen die Tiere auch schon mal ein Netz. Aus diesem Grund wehren sich die Fischer auch gegen Pläne, den Robben die Heimkehr zu erleichtern. Trotzdem hofft Michael Dähne auf das erste Kegelrobben-Baby an der deutschen Ostseeküste in nicht allzu ferner Zukunft: „Irgendwann werden einige Weibchen, wenn sie im Winter ihre Jungen werfen, den einen oder anderen menschenleeren Strand auf Rügen finden“, vermutet der Meeresbiologe.