Hirsche dürfen in acht Bundesländern nur in wenigen Bezirken leben. Experten fordern jetzt, dass die Tiere sich ihren Lebensraum selbst suchen sollen.

Stuttgart - Die Natur meint es in diesen Novembertagen gut mit dem Rotwild: Es gibt reichlich Bucheckern und Eicheln zu fressen, so dass die Tiere ihre Energiereserven für den Winter auffüllen können. Weniger gut meint es dagegen der Mensch mit dem Rotwild. In Deutschland hat er der natürlichen Verbreitung dieser Hirschart einen Riegel vorgeschoben. In acht Bundesländern, darunter Baden-Württemberg und Bayern, soll sich das Rotwild qua amtlicher Verordnung ausschließlich in ausgewählten Gebieten aufhalten. "Die behördliche Abgrenzung von sogenannten Rotwildbezirken ist in dieser Form in Europa einmalig", beklagt Andreas Kinser, Forst- und Jagdreferent der Deutschen Wildtier-Stiftung.

 

In Baden-Württemberg sind die Reservate in einer Rotwildverordnung gesetzlich geregelt, die vom 28. März 1958 datiert. Sie gilt für zwei Bereiche im Nord- und Südschwarzwald, im Odenwald, im württembergischen Allgäu und im Schönbuch. Verlassen die Tiere die Rotwildgebiete, müssen sie geschossen werden, denn außerhalb dieser fünf Gebiete gilt ein Abschussgebot. Einzige Ausnahme sind Kronenhirsche, deren Geweih eine aus drei Enden gebildete Krone aufweist.

Der Mensch verhindert die Durchmischung der Bestände

Wildtierexperte Kinser formuliert das drastisch: "Außerhalb der Rotwildgebiete muss das Rotwild ausgerottet werden." Die Stiftung fordert deshalb, die Rotwildbezirke aufzuheben. Der Grund: sie verstoßen gegen das Übereinkommen zum Schutz der biologischen Vielfalt, das Deutschland 1992 unterzeichnet hat. Als Vertragsstaat sei es verpflichtet, den Bestand lebensfähiger Populationen zu fördern und zu schützen. Dies, so Kinser, schließe eine regionale Ausrottung aus.

In Baden-Württemberg findet die Initiative der Naturschützer den Beifall der Jäger: "Die Rotwildverordnung ist nicht mehr zeitgemäß und muss aufgehoben werden", sagt Klaus Lachenmaier, Referent für Natur- und Umweltschutz im Landesjagdverband Baden-Württemberg. Wenn Wolf und Luchs wieder überall heimisch werden dürften, müsse das für das Rotwild auch gelten. Ein wesentliches Argument: die Eingrenzung in geografisch definierte Gebiete ist wildbiologisch falsch. Die Jäger wollen stattdessen auf Verbreitungsschwerpunkte setzen, die der Tierart die Besiedlung neuer Lebensräume ermöglichen soll. Auch der Ökologe Sven Herzog von der Technischen Universität Dresden hält von Rotwildgebieten wenig. "Das Rotwild sollte sich selbst seinen Lebensraum suchen dürfen, aber trotzdem bejagt werden", sagt er. Weil der Mensch die Wanderung von Einzeltieren und Rudeln durch Gesetze unterbinden wolle, verhindere er die natürliche Durchmischung der Bestände. "Dies reduziert auf Dauer die genetische Vielfalt der Art. Die Tiere werden dadurch langfristig beispielsweise anfälliger für Krankheiten und Seuchen", argumentiert Herzog.

assende Habitate für das Rotwild

Nur vier Prozent der Landesfläche stehen dem Rotwild in Baden-Württemberg nach Berechnungen des Jagdverbands zur Verfügung. Passende Habitate gäbe es aber auch in anderen Regionen, sagt Lachenmaier, etwa im Schwäbisch-Fränkischen Wald oder in weiteren Teilen des Schwarzwalds. Deutschlandweit sieht es für die Geweihträger nicht viel besser aus: Nur 23 Prozent der Fläche darf die Hirschart nach Angaben der Wildtier-Stiftung besiedeln. Auch in anderen Bundesländern mit Rotwildbezirken sind geeignete Lebensräume nicht oder kaum vom Rotwild besetzt, etwa im Steigerwald, im Teutoburger Wald oder im Pfälzer Wald.

Zudem könnten sich die Tiere, die einst in offenen und halboffenen Landschaften beheimatet waren, auch ohne Probleme außerhalb dichter Wälder gut einrichten. Das zeigen Beispiele aus Bundesländern, die auf Rotwildbezirke verzichten. In Mecklenburg-Vorpommern beispielsweise fühlen sich die Tiere auch in Mais- und Rapsfeldern wohl. "Das Rotwild ist sehr flexibel hinsichtlich seiner Ansprüche an den Lebensraum", sagt Herzog.

"Keine Notwendigkeit für Wegfall der Rotwildgebiete"

Aber gerade aus den landwirtschaftlichen Flächen will der Mensch das Rotwild aus Furcht vor Fraßschäden fernhalten. Sollten sich die Tiere im Südwesten wieder ausbreiten dürfen, befürchtet beispielsweise der Waldbesitzerverband Forstkammer Baden-Württemberg "erhebliche wirtschaftliche Schäden in Wald, Landwirtschaft und Flora". Deshalb müsse die flächenscharfe Abgrenzung der Rotwildgebiete aufrechterhalten bleiben, heißt es in einer Stellungnahme.

Um die Konflikte um das Rotwild zu lösen, hat die Forstliche Versuchs- und Forschungsanstalt (FVA) Baden-Württemberg in Freiburg für das 17.500 Hektar große Rotwildgebiet Südschwarzwald ein Managementkonzept vorgelegt, das seit 2008 umgesetzt wird. Das Projekt soll die Lebensraumansprüche des Rotwilds mit den Interessen der Land- und Forstwirtschaft, der Jagd und des Tourismus vereinen. Dafür soll zum Beispiel der Rotwildbestand von 700 auf 400 Exemplare reduziert werden. "Geht unser Modellkonzept auf, könnte es auch in anderen Rotwildgebieten wie etwa im Nordschwarzwald angewandt werden", sagt Rudi Suchant von der FVA.

In Baden-Württemberg will sich die Landesregierung im Frühjahr an die Reform des Landesjagdgesetzes machen, das auch das Rotwildmanagement regelt. Für den Wegfall der Rotwildgebiete sieht man im Ministerium für Ländlichen Raum und Verbraucherschutz jedoch keine große Notwendigkeit. "Bevor die Wanderung von Rotwild zugelassen wird, muss erst mal das Rotwildmanagement in den bisherigen Rotwildgebieten funktionieren", sagt Pressesprecherin Denise Burgert.

Reh und Rothirsch

Arten Der Rothirsch, lateinisch Cervus elaphus, ist ursprünglich ein Bewohner offener Steppenlandschaften. Der männliche Rothirsch heißt Hirsch, das weibliche Tier Hirschkuh. Jungtiere sind Hirschkälber. Der Rothirsch kann bis zu 20 Jahre alt werden. Reh und Rothirsch zählen zwar beide zu den Hirschen, sind aber zwei unterschiedliche Arten.

Bestand Bundesweit gibt es nach Schätzungen der Deutschen Wildtier Stiftung 180.000 Tiere. Natürliche Feinde hat das Rotwild kaum noch, sieht man von Luchs und Wolf ab. Allerdings erlegen Jäger pro Jahr laut der Stiftung rund 60.000 Stück Rotwild. In Baden-Württemberg schätzt der Landesjagdverband den Gesamtbestand auf bis zu 5000 Exemplare. In der Jagdsaison 2009/2010 wurden 1511 Tiere geschossen.

Gebiete In Deutschland sind in acht Bundesländern die Rotwildvorkommen durch Rechtsverordnungen festgelegt. Dazu zählen Baden-Württemberg, Bayern, Hessen, Niedersachsen, Sachsen, Thüringen, Schleswig-Holstein und Rheinland-Pfalz. Rotwild, das in diesen Ländern mit Ausnahme Schleswig-Holsteins außerhalb der amtlich festgesetzten Rotwildgebiete auftritt, muss per Gesetz erlegt werden. Wanderungen, die Vergrößerung des Verbreitungs- gebiets oder ein Neuaufbau von Populationen sind deshalb nahezu unmöglich.