Eiko Schnaitmann wohnt in Gerlingen; der Facharzt behandelt in Stuttgart und Heilbronn Patienten mit HIV-Erkrankungen. Zudem bietet er seit mehr als 20 Jahren Drogen-Ersatzbehandlung an. Diese Substitution ist langwierig und aufwendig.

Gerlingen - Ein Teil seiner Praxis ist gesichert wie der Großraumtresor einer Bank – hier lagern die Medikamente, die täglich an Patienten abgegeben werden. Unter anderem Polamidon, das als Ersatzstoff für Heroin verabreicht wird. Das Sprechzimmer von Eiko Schnaitmann hingegen, nur ein paar Meter weiter in der Gemeinschaftspraxis im Stuttgarter Westen, ist kein Hochsicherheitstrakt. Es sieht aus wie der Arbeitsraum vieler Ärzte. Schreibtisch, Schrank, Fachbücher, Akten, Untersuchungsliege, Stethoskop, Blutdruckmessgerät. Neben einem Modell der Rückenwirbel und Lexika stehen ein paar Modellautos, Oldtimer, ein Schaufelbagger, ein Käfer-Cabrio. Beruf und Liebhaberei sind durch Symbole vertreten.

 

Eiko Schnaitmann, Jahrgang 1956, ist Facharzt für Allgemeinmedizin. 1991 steigt er in die Praxis seiner Mutter Susanne Mantel ein, spezialisiert sich auf die Behandlung von Aids-Kranken. Die Diagnose war damals ein Todesurteil. Heute behandelt Schnaitmann rund 1000 HIV-Patienten im Jahr – mit guten Medikamenten, wie er sagt. Seit mehr als 20 Jahren ist er zudem Suchtmediziner, therapiert Heroinabhängige. Anfangs behandelten fünf Ärzte in Stuttgart 200 Patienten, heute sind es allein in seiner Praxisgemeinschaft 240, dazu mit einem Kollegen nochmals 360 in Heilbronn. 800 bis 1000 Süchtige seien im Großraum Stuttgart/Esslingen in Behandlung. Fast alle bekommen Polamidon, bekannter als Methadon.

Ersatzbehandlung dauert meist sehr lange

Die Regeln dieser Substitution sind sehr streng. Viele Patienten müssen täglich zum Schlucken kommen – weil der Arzt es nicht verantwortet, ihnen die Dosis für eine Woche mitzugeben. Diese Ersatzbehandlung dauert meist sehr lange. Schnaitmann hat Patienten, die mit ihrem „Doc“ schon ihr 15- oder 20-Jahr-„Jubiläum“ gefeiert haben. Zu manchen habe sich ein tiefes Vertrauensverhältnis eingestellt, sagt Schnaitmann. Und gibt lächelnd Schrulliges preis: „Manche Junkies essen vegan, weil sie gesund leben wollen.“ Sein erster Wunsch für einen Patienten ist, dass dieser sich stabilisiert. Der zweite, dass er sich Ziele setzt. Und der dritte? „Dass er vom Arzt und dem Methadon die Nase voll hat und frei leben kann.“ Das geht. Aber langsam. „Wir werden manche Opiatabhängige ins Altenheim begleiten“, sagt er, aber „wer soll denen das Methadon geben?“

Schnaitmann blickt auf fast ein Vierteljahrhundert praktische Suchtmedizin zurück und stellt eines fest: auch die Basis habe sich verändert. „Am Anfang galt das Manifest ‚Klinik, Entzug, lebenslang drogenfrei‘, das hat aber nirgends hingehauen.“ Allmählich setzte sich die Substitution durch – Ersatz der Droge durch ein ähnlich wirkendes Medikament. Es soll helfen, aus Illegalität und Kriminalität auszusteigen und in ein normales Leben zu finden. Schnaitmann definiert dies mit „Familie, Arbeit, Steuern zahlen“. Zuerst war es Codein, ein Hustenmittel. Dann wurde Methadon zum Ersatzmittel der Wahl, ergänzt von Buprenorphin, auch ein Opiat. Zwei Jahrzehnte lang stritten sich Politik und Suchtmedizin über „Heroin auf Rezept“. Schon OB Manfred Rommel setzte sich dafür ein. Jetzt gibt es auch in Stuttgart einen Arzt, der Schwerstabhängige mit dem Originalstoff behandelt. Schnaitmann wollte diese Praxis nicht, der Aufwand sei „viel zu groß“.

Mit einer Halben jeden Tag wird’s schon gefährlich

Und was sagt der Mediziner über das Suchtmittel Nummer eins, den Alkohol? Wer regelmäßig mehr als einen halben Liter Bier oder ein Viertel Wein am Tag trinke, sei suchtgefährdet – das sind bundesweit 9,5 Millionen Menschen. Schnaitmann gibt zu, am Abend gerne ein Glas Weißwein zu trinken oder ein Bier zum Rostbraten, stuft sich selbst als „Genuss- und Gesellschaftstrinker“ ein und nennt ein paar Gerlinger Lokale, in denen er sich wohlfühlt. Eine andere Lokalität heißt Wald – ein guter Ort zum Ausspannen nach langem Arbeitstag. Dann warnt er ausdrücklich vor dem „Schritt zum Risikotrinker“ durch Automatismen: den Griff zum Bier am Feierabend, das Suchen (und Finden) von Gründen, einen zu heben. „Wenn die immer lauer werden, wird’s gefährlich.“

Schnaitmann hat echten Bezug zum Strohgäu, nicht nur durch die Wohnorte Gerlingen (heute, „eine angenehme Stadt mit ein paar Highlights im Jahr“) und Korntal (einstmals, für kurze Zeit). Er ist aktives Mitglied im Tennisclub und zahlendes der FDP, er unterstützte die Partei als Gemeinderatskandidat. Er liebt den Wochenmarkt und freut sich auf das Straßenfest am nächsten Wochenende. Auch viele seiner Patienten kommen nicht aus Stuttgart, sondern aus dem Strohgäu oder Dörfern in Hohenlohe. Die Sucht macht an der Grenze der Großstadt eben nicht halt.