Das Europaparlament in Straßburg und die ukrainische Volksvertretung in Kiew haben das umstrittene Assoziierungsabkommen zwischen der EU und der Ukraine ratifiziert. Bedenken Moskaus sind in letzter Minute noch berücksichtigt und ausgeräumt worden.

Kiew - Das ist ein einmaliger Vorgang“, sagt der Parlamentspräsident Martin Schulz, als die Liveschaltung in die Werchovna Rada steht, „ein Vorgang, auf den wir stolz sein sollten“. Das Europaparlament in Straßburg und die ukrainische Volksvertretung in Kiew haben am Dienstag das umstrittene Assoziierungsabkommen zwischen der EU und der Ukraine ratifiziert und damit in Kraft gesetzt. „Das“, so der ukrainische Staatschef Petro Poroschenko via Großbildleinwand an beide Kammern gerichtet, „ist der erste, aber wichtigste Schritt hin zur Perspektive einer EU-Mitgliedschaft.“ Nach dem Votum, das mit 535 Ja- und 127 Neinstimmen deutlich ausfällt, gibt es Ovationen im Stehen.

 

Und der EU-Erweiterungskommissar Stefan Füle sagt, dass Europa auch „unser mächtigstes Instrument“ in Betracht ziehen müsse, „wenn wir es ernst mit der Ukraine meinen“. Gemeint ist der Beitritt. Der Abstimmung vorausgegangen waren hektische diplomatische Bemühungen. So hatte der russische Präsident Wladimir Putin bei einem Treffen in Minsk Ende August das Angebot Poroschenkos angenommen, den Moskauer Bedenken gegenüber dem Handelsvertrag Rechnung tragen zu wollen. Beim Nato-Gipfel Anfang September kam es – nachdem der Kreml eine mehr als 2000 Punkte umfassende Wunschliste übermittelt hatte – zum Gespräch zwischen Poroschenko, Kanzlerin Angela Merkel, US-Präsident Barack Obama und EU-Kommissionschef José Manuel Barroso. Ergebnis der Unterredung war, Putin nicht beim bereits verabschiedeten Wortlaut des Abkommens, sondern bei dessen Auslegung entgegenzukommen. In diesem Sinne einigte sich EU-Handelskommissar Karel de Gucht am letzten Freitag mit Unterhändlern aus Moskau und Kiew in Brüssel. „Ohne diese Einigung vom Freitag“, so de Gucht, „hätte es keine Ratifizierung geben können.“

Die Russen hat Angst vor der Infiltration ihres Marktes

Der entscheidende Teil des Deals ist, dass der wirtschaftliche Teil des Abkommens erst ein Jahr später zur Anwendung kommt und nicht wie der politische sofort. Gleichzeitig wird die EU die einseitigen Handelspräferenzen für die Ukraine, die seit Juni zu einem Exportanstieg um 15 Prozent geführt haben, bis zum 31. Dezember 2015 verlängern. Das führt im Ergebnis dazu, dass die Produkte des wirtschaftlich angeschlagenen Landes auch weiter quasi zollfrei in die Gemeinschaft eingeführt werden können. „Die Vorteile, die wir der Ukraine schon gewähren, bleiben erhalten“, betont de Gucht. Waren aus der EU dagegen werden in der Ukraine noch nicht billiger. „Die Russen hatten Angst, dass wir ihren Markt via der Ukraine infiltrieren“, erklärt der SPD-Abgeordnete Knut Fleckenstein, der in diesem Fall Verständnis für das Anliegen des Kremls hat und keines dafür, dass solche Bedenken von den Europäern erst spät aufgegriffen wurden: Man habe für das Abkommen mit der Ukraine, so der außenpolitische Sprecher seiner Fraktion, „selbstverständlich nicht die Genehmigung in Moskau einholen müssen, wohl aber mit der Ukraine und ihrem Nachbarn Russland über die Auswirkungen reden müssen“. Kommissar Füle dagegen behauptet, die Ukraine selbst habe um den Aufschub gebeten, um sich länger auf den Freihandel vorbereiten zu können.

Zum wirtschaftspolitischen Part gehört die Angleichung von ukrainischen Standards etwa im Lebensmittelbereich an das EU-Recht. Moskau hatte deswegen die Befürchtung nach Brüssel übermittelt, dass russische Produkte diesen neuen Normen nicht mehr entsprechen und damit benachteiligt sein könnten. Die zusätzliche Zeit bis zum Inkrafttreten dieser Passagen soll genutzt werden, um einvernehmliche Lösungen zu finden – was freilich nur mit einem tatsächlich im Wortlaut geänderten Vertrag geschehen kann, der erneut vom EU-Parlament beschlossen werden müsste. Das ist der Punkt, den die EU-Kommission gegenüber jenen Parlamentariern zu machen versuchte, die Kritik am Last-Minute-Geschäft mit Russland vorbrachten.

„Der Kompromiss zum Freihandel ist eine politische Zumutung“, sagte beispielsweise die Grüne Rebecca Harms. Er sei „erst dann gut, wenn er wirklichem Frieden, der territorialen Integrität und Selbstbestimmung der Ukraine dient“. Doch gebe es „keine harten Bedingungen“ in diesem Sinne. Die Grünen stimmten dennoch zu. Die Linke aber votierte mit Nein, weil das Verfahren durch das Parlament gepeitscht worden sei. Tatsächlich stimmten auch viele Befürworter mit einem mulmigen Gefühl zu, wegen Zweifeln, ob der wirtschaftspolitische Teil jemals umgesetzt werde.

Im Parlament von Kiew ist die Stimmung getrübt

Im Parlament in Kiew war die feierliche Stimmung durch eine zuvor erfolgte Abstimmung zur Autonomie des Donbass getrübt worden. Außenminister Pawlo Klimkin sagte, dass der Vertrag ein „Reformpaket ist, das wir nun so schnell wie möglich umsetzen müssen.“ Grigorij Nemyria von der Vaterlandspartei, ein starker EU-Befürworter, sagte dieser Zeitung: „Die EU hätte den wirtschaftlichen Teil nicht verschieben sollen, in dem Aufschnüren des Pakets steckt die Gefahr, dass nun auch andere Teile des Abkommens aufgeschoben werden.“ Andere Redner meinten, dass Europa nun einen Marshallplan für die Ukraine ausarbeiten und dann der Aufbau der Wirtschaft im Donbass starten könne.