Zum Start der Tour de France hat das Astana-Team für Unruhe gesorgt. Dabei dreht sich die Diskussion um Lars Boom – und mal wieder um das Thema Doping.

Chef vom Dienst: Tobias Schall (tos)

Neeltje Jans - Die Situation ist ziemlich verfahren für Astana. Entgegen kommt ihnen ein Fahrzeug von MTN-Qhubeka, rechts parkt schon Lampre, links FDJ, Bora steht auch noch im Weg rum, und nun will die Astana-Auto-Kolonne auf dem engen Teamparkplatz kurz vor dem Start der ersten Etappe in Utrecht durch dieses Nadelöhr zum teameigenen Bus. Da stehen sie nun, während von hinten weitere Fahrzeuge kommen. Nichts geht mehr. Akute Verstopfung, weswegen der Astana-Boss Alexander Winokurow aussteigt und die Problemlösung seinen Angestellten überlässt. Gut schaut der Kasache aus: hellblaues Teamhemd, kurze Hose, verwegene Slipper und Sonnenbrille. Auf seinem Weg zum Teambus fragt den 41-Jährigen einer, was denn mit Herrn Boom so sei. Schweigen.

 

Herr Boom trägt den Vornamen Lars und hat einen etwas zu niedrigen Cortisol-Spiegel, was am Freitagabend bekannt wurde. Das ist ein Problem, obwohl das zwar nicht als Dopingfall gilt. Es kann aber ein Indiz für Cortisondoping sein, und nach den selbstauferlegten strengen Regeln der „Bewegung für einen glaubwürdigen Radsport“ (MPCC) zieht ein solcher Wert eine achttägige Rennpause nach sich – und der seit langem umstrittene Rennstall Astana ist ja, ganz im Ernst, Mitglied dieser MPCC. Boom dürfte also nicht starten, tut er aber dennoch, und zwar deshalb: „Die Regeln der MPCC haben keinen rechtlichen Wert. Der Weltverband UCI sagt, dass er starten kann. Wir respektieren die Regeln der UCI. Lars benutzt seit Jahren ein Cortisonspray“, sagt Winokurow.

Die Sache mit der Selbstverpflichtung

Im vergangenen Jahr wurde Chris Horner von seinem Team Lampre als Titelverteidiger in gleicher Sache aufgrund der Selbstverpflichtung nicht zur Spanienrundfahrt mitgenommen. Mit der Mitgliedschaft in der MPCC dürfte es das gewesen sein, was dem Team Astana aber kaum schlaflose Nächte bereiten dürfte, einige andere, zum Beispiel Sky, Movistar oder Tinkoff-Saxo, sind ja auch nicht dabei.

Astana sollte eigentlich gar nicht hier sein. Das Team gilt als toxisch, wie eine Bad Bank der schlechten, alten Zeiten dieses Sports. Unzählige schlecht beleumundete Profis fuhren für den Rennstall, auch Lance Armstrong bei seinem Comeback 2009, sportlicher Leiter war sein Kompagnon Johan Bruyneel, bis heute tummeln sich im Umfeld des Pro-Tour-Teams belastete Figuren. Eine Ansammlung „fragwürdiger Typen“, wie Tony Martin sagt.

Niemand will sie. Der Radsport-Weltverband UCI wollte Astana nach fünf Dopingfällen im Jahr 2014 im Pro-Tour-Team sowie der Nachwuchsmannschaft die Lizenz entziehen, er scheiterte aber. Die Tourorganisation Aso will Astana nicht, muss es aber fahren lassen, weil es ja eine Lizenz hat. Die Fans wollen den Rennstall nicht mehr sehen, und viele Fahrer sehen das ähnlich. „Was muss noch passieren, um das Team auszuschließen?“, fragte Sprinter André Greipel vor der Tour. Aber sie sind wieder da. Das Team ist ein Überlebenskünstler, allen Skandalen zum Trotz. Astana ist die Fifa auf Rädern.

Winokurows umstrittene Rolle

Die Equipe steht wie keine andere für den Radsport von gestern, für einen Radsport wie er früher immer war, wie er heute aber angeblich nicht mehr sein will. Das Team von Toursieger Vincenzo Nibali untergräbt die Imagekampagne des Radsports. Alexander Winokurow ist das Gesicht des Radsports von gestern. 2007 wurde er des Dopings mit Fremdblut überführt, er soll auch mit Dottore Epo, Michele Ferrari, zusammengearbeitet haben, und so richtig reuig war er nie. Als der Kasache 2012 Olympiasieger wurde, wurde er ausgepfiffen. Im Peloton wurden auch die famosen Leistungen eines Fabio Aru und seiner Kollegen beim diesjährigen Giro d’Italia mit Verwunderung registriert. Tony Martin sagt: „Was die zum Teil beim Giro gezeigt haben, war ganz große Kunst – wie auch immer.“

Im Bestreben nach mehr Glaubwürdigkeit fürchten viele Astana als böses Echo aus der Vergangenheit. Dabei tut der Radsport ja zumindest einiges für seinen Ruf: Erstmals wurden vor dem Start der Tour zum Beispiel in der bisher kontrollfreien Zeit zwischen 23 Uhr und 6 Uhr Dopingproben genommen. Das ist insofern wichtig, weil Experten glauben, dass just in diesen Stunden Mikrodosen Epo genutzt werden, deren Spuren sich später nicht nachweisen lassen. Nun könnte das zum Risiko werden. Das sei ein notwendiges Übel, sagt der Sky-Chef Dave Brailsford. „Es ist eine Güterabwägung, die wir ihn Kauf nehmen müssen.“ Es ist und bleibt eben eine verfahrene Situation.