Könnten Menschen Röntgenstrahlung wahrnehmen, würde man am Himmel immer wieder Blitze bemerken. Sie stammen von gewaltigen Ausbrüchen im All. Vor 100 Jahren hat der Physiker Victor Hess die kosmische Strahlung als Erster untersucht.

Stuttgart - Am 2. Juli 1967 registrierten zwei Spionagesatelliten der USA ein verdächtiges Signal: ein Strahlungsblitz, der für wenige Sekunden in ihren Detektoren flimmerte. Auf der Erde kennt man nur eine Quelle solcher Blitze: Atombombenexplosionen. Hatte die Sowjetunion gegen den Kernwaffen-Sperrvertrag verstoßen? Als in den folgenden Jahren weitere Blitze eingefangen wurden, konnte man diese Erklärung ausschließen: Die Strahlung kam nicht von der Erde, sondern aus den Tiefen des Alls.

 

Mittlerweile wissen Astronomen, dass im Universum gewaltige Explosionen stattfinden, die unvorstellbare Mengen an Gammastrahlung freisetzen, eine Strahlungsform, die energiereicher und durchdringender ist als Röntgenstrahlung. Sie reist Millionen Lichtjahre durchs All, und ein winziger Teil von ihr trifft schließlich die Erde. Würde solch ein Ausbruch in der Nähe der Erde stattfinden, könnte er die Ozonschicht schwer beschädigen. Glücklicherweise sind solche Ereignisse in unserer Galaxie, der Milchstraße, ausgesprochen selten.

Für Astronomen bieten die Gammastrahlen eine einmalige Gelegenheit, das Geschehen in fernen Galaxien zu studieren. Denn welche physikalischen Prozesse die gewaltigen Strahlenausbrüche hervorrufen, ist bis heute ungeklärt. Rätselhaft ist insbesondere, dass sich die Gammablitze in ihrer Dauer stark unterscheiden: manche sind nur Sekundenbruchteile lang, andere dauern Minuten. Forscher vermuten daher, dass die Strahlen mal ausgesandt werden, wenn ein besonders schwerer Stern zu einem Schwarzen Loch kollabiert, und mal, wenn zwei sogenannte Neutronensterne miteinander kollidieren.

Gammastrahlung lässt sich nur indirekt beobachten

Für Astronomen ist es nicht leicht, Gammastrahlen zu beobachten. Ein Großteil wird in den oberen Schichten der Erdatmosphäre absorbiert, zudem sind besondere Teleskope nötig. Daher ist die Gammastrahlen-Astronomie noch ein junger Forschungszweig. „Noch niemand hat sich den Gammastrahlenhimmel bei sehr hohen Energien genau angeschaut“, sagt Werner Hofmann vom Max-Planck-Institut für Kernphysik in Heidelberg.

Lange war man dazu auf extrem teure Satelliten angewiesen, die mit ihren keinen Quadratmeter großen Detektoren nur einen winzigen Teil des kosmischen Bombardements auffangen können. Eine Handvoll Experimente leistet inzwischen von der Erdoberfläche aus Pionierarbeit. Dort lassen sich Gammastrahlen aus dem Weltall über eine Fläche nachweisen, die der Größe eines Fußballstadions entspricht. Werner Hofmann ist Sprecher eines solchen Observatoriums mit dem Namen High Energy Stereoscopic System (Hochenergie-Stereoskopie-System, abgekürzt: Hess), das auf einer Hochebene in Namibia steht. Es nutzt seit neun Jahren vier Teleskope, die sich eines Tricks bedienen, um Gammastrahlen zu detektieren: Sie registrieren nicht die Strahlen selbst, sondern Lawinen von Elementarteilchen, die auf die Erde fallen, wenn Gammastrahlen in der Atmosphäre ein Luftteilchen treffen. Jeder dieser Teilchenschauer bringt einen Ausschnitt des Himmels für den Bruchteil einer Sekunde zum Leuchten.

Victor Hess entdeckte die kosmische Strahlung

Auf diese Art und Weise wollen die Forscher auch ein anderes kosmisches Phänomen entschlüsseln. Vor 100 Jahren, am 6. August 1912, entdeckte der österreichische Physiker Victor Hess (1883 bis 1964) auf einer Ballonfahrt, dass in die obere Atmosphäre eine gleichmäßige Strahlung eindringt. Die Entdeckung brachte ihm später den Nobelpreis für Physik ein. Mittlerweile wissen Forscher, dass es sich bei dieser kosmischen Strahlung vor allem um Atomkerne handelt. In der Physik sind Teilchen und Strahlung zwei Seiten derselben Medaille.

Die Atomkerne flitzen seit Jahrmillionen durch den Raum, einige von ihnen treffen die Erde. Aber woher kommen sie? Die Frage ist auch heute nicht leicht zu beantworten. „Da es sich um geladene Teilchen handelt, werden sie durch Magnetfelder abgelenkt“, sagt Olaf Reimer, Astroteilchenphysiker von der Universität Innsbruck. Und solche Magnetfelder finden sich überall im Universum. Sie wirbeln Atomkerne wild durcheinander. Man darf also als Astronom nicht in die Richtung schauen, aus der sie auf die Erde getroffen sind, denn sie können aus einer ganz anderen Quelle stammen.

Hängen Gammablitze und kosmische Strahlung zusammen?

Daher halten Astronomen vornehmlich nach elektrisch neutralen Teilchen Ausschau. Dazu zählen auch die Teilchen der Gammastrahlung. Sie werden nicht von Magnetfeldern abgelenkt und kommen in gerader Linie von ihrem Ursprung zur Erde geflogen. Mittlerweile haben Forscher über hundert Regionen im All ausgemacht, die Teilchen der kosmischen Strahlung in Richtung Erde schießen können. Oft handelt es sich um die Relikte von Sternenexplosionen in der Milchstraße. Eine solche Supernova stößt eine Schockwelle aus, die sich für Tausende von Jahren in alle Richtungen ausdehnt. Trifft sie an einer Stelle auf eine interstellare Gaswolke, kann sie die darin enthaltenen Atomkerne so stark anschubsen, dass sie in die Tiefen des Weltalls geschleudert werden.

Damit lassen sich aber nicht alle kosmischen Partikel erklären, die Forscher mit ihren Detektoren nachweisen. Denn einige der Teilchen sind dafür viel zu schnell. „Für sie kommen nur Quellen außerhalb unserer Galaxie infrage“, sagt Olaf Reimer.

Eine Möglichkeit wäre, dass die schnellen kosmischen Teilchen zusammen mit den Gammablitzen entstehen. Erste Messungen sprechen zwar dagegen, aber die gewaltigen Strahlungsausbrüche werden noch genauer untersucht. Das Hess-Observatorium in Namibia ist vor wenigen Tagen um ein fünftes Teleskop erweitert worden, das viel größer ist als die bisherigen vier. „Damit können wir nun auch besonders schnell vorübergehende Phänomene beobachten“, sagt Werner Hofmann. Zum Beispiel das verdächtige Blitzen der Gammastrahlung in einer fernen Galaxie.