Gambier retten sich vor einem repressiven Regime vermehrt nach Deutschland, aber ihre Anerkennungsquote für Asyl bleibt niedrig.

Stuttgart - Die gambische Hauptstadt Banjul ist 5000 Kilometer entfernt, der Deutsche Wolfgang M. (45) und der Gambier Abdoulaye W. (17) sitzen im Pressehaus von Stuttgart-Möhringen – aber ihre Angst vor dem fernen Land ist förmlich spürbar. Man darf sie nicht fotografieren und sie bitten, veränderte Namen zu verwenden. „Wenn sie mich nach Gambia zurückschicken, ist das mein Ende – oder ich komme ins Gefängnis“, sagt Abdoulaye. „Unser Führer ist verrückt. Und ihm gehört doch das ganze Land.“ Auch Wolfgang M. ist von Furcht geprägt, seit einigen Jahren bereist er das Land im Rahmen eines privaten Hilfsprojekts, jetzt hat er über Facebook einen kritischen Beitrag der Deutschen Welle über Gambia an Freunde im Land verschickt – prompt sei einer von ihnen in Banjul in Polizeigewahrsam genommen worden.

 

Der gambische Geheimdienst NIA (National Intelligence Agency) ist einer der berüchtigtsten von Schwarzafrika, ihm wird Folter vorgeworfen. Und wenn Abdoulaye erklärt, warum er nicht in das zivilisierte Nachbarland Senegal geflüchtet sei, dann begründet er dies mit der Angst vor der NIA, die ihren Arm bis dorthin ausstrecke. Der 17-Jährige ist – so sagt er – als Homosexueller denunziert worden und deshalb über Mali und Libyen nach Europa geflohen. Das kleine, englischsprachige Gambia mit seinen nur zwei Millionen Einwohnern ragt wie ein Stachel ins französischsprachige Senegal hinein. Lange Zeit war es ein Mekka für Sextouristen – ältere Damen, aber auch Homosexuelle – aber die Euphorie bei den Gästen über das Urlaubsparadies müsste eigentlich abklingen. „Die Anspannung hat von 2014 auf 2015 zugenommen, Armut und Verwahrlosung nehmen rapide zu, die Behörden lassen Strandbars mit Bulldozern zusammenschieben‘“, sagt Wolfgang M. von seinem letzten Besuch in Gambia. Dass der Präsident Yahja Jammeh einen radikalen Hass-Kurs gegen Homosexuelle führe, dass kann M. nicht verstehen – schließlich sei der selbst ein großer Hotelbesitzer und verdiene am Zustrom von Gästen.

Willkürliche Verhaftungen an der Tagesordnung

Wolfgang M. zeigt einen mit dem Handy abfotografierten Haftbefehl der „Gambia Police Force“, der auf Englisch besagt, wenn Abdoulaye das Land wieder betrete, werde er „sofort von Sicherheitskräften getötet“. Inwieweit das Dokument echt ist, das werden deutsche Behörden zu prüfen haben. Tatsache ist, dass der seit 22 Jahren regierende Präsident Gambias, Yahya Jammeh, ein äußerst repressives Regime führt. „Willkürliche Verhaftungen“, so steht es selbst in den Reisehinweisen des Auswärtigen Amtes, seien an der Tagesordnung. „Gambia hat eine lange und brutale Geschichte der Unterdrückung von kritischen Stimmen und Demonstranten. Ein Demonstrant wie Solo Sandeng hat einen hohen Preis für seinen friedlichen Protest bezahlt“, sagt Alioune Tine, die Amnesty-International-Direktorin von West- und Zentral-Afrika. Solo Sandeng, Führer der Oppositionspartei United Democratic Party, war im April nach einer Demonstration verhaftet worden und ist in Polizeigewahrsam gestorben. Insgesamt, so Amnesty, seien nach Protesten im April und Mai noch 51 Menschen in Haft. In einem Interview im vergangenen Monat hatte Jammeh gesagt, es sei doch „normal“, dass Menschen in Haft oder beim Verhör stürben. Amnesty und UN-Generalsekretär Kofi Annan, die eine Untersuchung forderten, sollten „zur Hölle gehen“.

Schon im Februar war ein Gewerkschaftsführer in Haft gestorben, im Oktober 2015 war ein Imam verschwunden, ein Journalist, der auf Whatsapp ein Foto des Präsidenten postete, wurde verhaftet und vor Gericht gestellt.

Präsident hält Hassreden

Der Präsident – ein früher Oberstleutnant, der sich an die Macht putschte – ist für seine Willkür bekannt. Er werde das Land eine Milliarde Jahre regieren, hat er einmal gesagt. Er hat sich damit gebrüstet, Aids und weibliche Unfruchtbarkeit heilen zu können. 2015 erklärte er Gambia plötzlich zur Islamischen Republik, die EU-Gesandte Agnès Guillaud verwies er des Landes – ein ungewöhnlicher Affront in der Welt der Diplomatie. Vor kurzem ließ Jammeh eine Hassrede gegen die Volksgruppe der Mandinka los – die seien „Feinde, Fremde“. Er werde einen nach dem anderen töten und dort hinschicken, „wo selbst eine Fliege sie nicht mehr sehen kann“. Der UN-Berater und Ex-Bevollmächtigte des Internationalen Ruanda-Tribunals, Adama Dieng, appellierte daraufhin an Jammeh, er solle solche Hassreden unterlassen, sie könnten zu grausamer Gewalt im Lande führen. EU-Parlamentarier fordern unterdessen wegen der sich verschlechternden Menschenrechtslage Reisesanktionen gegen die Führung Gambias, die EU hat bereits Hilfsgelder in Höhe von 13 Millionen Euro eingefroren.

Abdoulaye wartet indes in der Region Stuttgart auf seinen Asylbescheid. Statistisch gesehen sind seine Chancen gering. 2014 kamen knapp 2000 Gambier nach Deutschland, 2015 schon gut 3100. Die Schutzquote – also Asyl oder Duldung – lag zwischen zwei und 2,6 Prozent. In den ersten vier Monaten von 2016 kamen bereits 955 Flüchtlinge aus Gambia – die Schutzquote kletterte leicht auf 5,6 Prozent. Aber sie ist noch weit entfernt von der für Menschen aus Eritrea – ein weiteres repressives System in Schwarzafrika – von denen jeder zweite in Deutschland bleiben darf. Alle Gambia-Experten sprechen von einem „Klima der Angst“ im Lande, das vor den für Dezember geplanten Wahlen noch schärfer werde. Wolfgang M. kann nicht verstehen, wie man unter obwaltenden Umständen noch Urlaub in Gambia machen kann: Am Abfluggate für Banjul in Brüssel fände man immer noch „zehn Prozent ältere, weiße Damen“ unter den Fluggästen, die sich offensichtlich einen Strandurlaub gönnen wollten.