Die Lage der Flüchtlinge im Land rückt weiter in den Blickpunkt. Nach den Stuttgarter Protesten von Asylbewerbern wird nun bekannt, dass in Karlsruhe afghanische Emigranten das Aufenthaltsrecht in Deutschland einklagen wollen.

Karlsruhe - Die Flüchtlinge im Main-Tauber-Kreis sind nicht die einzigen, die wegen ihrer Situation aufbegehren. 72 afghanische Asylbewerber planen, ein Aufenthaltsrecht für sich einzuklagen. Mitte Juni waren sie in Karlsruhe angekommen, auf der Flucht vor den ihrer Ansicht nach „unhaltbaren Zuständen“ im EU-Erstaufnahmeland Ungarn. Zwölf Klagen sind vergangene Woche beim Verwaltungsgericht in Karlsruhe bereits eingegangen, wie eine Sprecherin auf Anfrage bestätigte.

 

„Mit den 72 Flüchtlingen afghanischer Herkunft haben wir täglich zu tun“, sagt eine Betreuerin im Karlsruher Menschenrechtszentrum an der Durlacher Allee. Nach Protesten vor Ort hätten diese beschlossen, gemeinsam als Gruppe nach Deutschland zu gehen. Nach ihrer Ankunft in der Landeserstaufnahmestelle in Karlsruhe wurden sie teilweise in Asylbewerberunterkünfte in Stuttgart, im Enzkreis, im Rhein-Neckar-Kreis und nach Konstanz verlegt. „Alle 72 Flüchtlinge werden anwaltlich vertreten“, sagt Angelika von Loeper, die Vorsitzende des Flüchtlingsrats Baden-Württemberg. In Ungarn drohe der Gruppe die „Obdachlosigkeit“, sagt sie.

Abschiebungsverbote in EU-Länder

Die Länder der Europäischen Union haben sich Regeln über den Umgang mit Flüchtlingen gegeben. Demnach können sie in das Land abgeschoben werden, über das sie als erstes nach Europa eingereist sind. Für Griechenland liegt aber mittlerweile eine Vielzahl von Gerichtsurteilen vor, denen zufolge Asylbewerber keiner Abschiebung ausgesetzt werden können – wegen der schlechten Zustände in den Sammellagern. Ähnliches gilt inzwischen auch für Italien: Vor wenigen Tagen erst hatte Papst Franziskus das Augenmerk der Öffentlichkeit auf die Situation der Flüchtlingsinsel Lampedusa gelenkt. Auch die Kritik „an den Zuständen in Ungarn häufe sich“, sagt Loeper.

Die Karlsruher Verlegerin, die selbst im Menschenrechtszentrum an der Durlacher Allee engagiert ist, hat zusammen mit einem Bündnis flüchtlingspolitischer Initiativen inzwischen auf dem Internetportal www.openpetition.de eine Online-Petition zur Unterstützung der 72 Flüchtlinge gestartet. Sie ist Teil der Aktivitäten, mit denen verhindert werden soll, dass die Flüchtlinge abgeschoben werden. Im Ministerium für Integration in Stuttgart hat man Kenntnis von der Flüchtlingsgruppe, ein Sprecher wollte sich aber nicht zu dem Vorgang selbst äußern. Dort hat man derzeit mit Asylbewerbern viel zu tun, vor dem Ministerium protestiert eine Gruppe von 18 Asylbewerbern aus dem Main-Tauber-Kreis wegen ihrer Lebensbedingungen.

Loeper zufolge hat sich die Karlsruher Außenstelle des Bundesamtes für Migration offenbar schon mit den ungarischen Behörden über die Rückführung verständigt. Loeper plädiert in den bevorstehenden gerichtlichen Auseinandersetzungen für ein sogenanntes Selbsteintrittsrecht. Danach würde Deutschland zuständig für das weitere Asylverfahren.

Solidaritätskundgebung in Karlsruhe

Neben den bereits beim Verwaltungsgericht eingegangenen zwölf Klagen, die jeweils Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes beinhalten, wird mit insgesamt etwa 40 Verfahren gerechnet. Am 26. September soll in Karlsruhe eine öffentliche Solidaritätsveranstaltung stattfinden.

Angelika von Loeper sagt, auch im Falle Ungarns gebe es wie bei den EU-Ländern Italien und Griechenland inzwischen erste Gerichtsurteile, die eine Abschiebung aufschieben können. Die 72 Flüchtlinge waren zuletzt in einem Lager bei Bicske, einer Kleinstadt westlich von Budapest. Alleinstehende Flüchtlinge haben dort maximal sechs Monate Aufenthaltsrecht, Familien mit Kindern bis zu zwölf Monate. Die 72 sollten von Bicske in ein offenkundig überfülltes Obdachlosenheim überführt werden. Menschenrechtsaktivisten berichten davon, dass auch in dem Lager in Bicske derzeit rund 500 Menschen untergebracht seien. Ausgelegt sei es aber für gerade mal etwa 150 Personen.

Auch in Karlsruhe, wo Asylbewerber in Baden-Württemberg eine erste Aufnahme finden, haben sich jedoch die Bedingungen unter den zuletzt erneut gestiegenen Flüchtlingszahlen verschärft. Nach Angaben des Regierungspräsidiums sind in der Landeserstaufnahmeeinrichtung (LEA) in der Hauptstelle an der Durlacher Allee derzeit 950 und in acht Außenstellen im Stadtgebiet weitere 800 Personen untergebracht. Sie bleiben dort für sechs Wochen. Danach werden sie auf die Landkreise weiterverteilt, die sich um ihre Unterbringungen kümmern müssen.