„Mit der Belegung ergibt sich in Unteraichen ein Testosteronbrennpunkt.“ So äußerte sich ein Anwohner des Grundstücks in Unteraichen, auf dem eine Unterkunft für 66 Asylbewerber geplant. Insgesamt stieß das Projekt bei einem Info-Abend auf wenig Gegenliebe.

Leinfelden-Echterdingen - Zahlreiche Anwohner und Bürger sind am Montag zu einer Informationsveranstaltung in die Filderhalle gekommen. Wie bereits berichtet, soll auf einer städtischen Fläche an der Ecke Stuttgarter Straße/Uhlandstraße in Unteraichen ein Gebäude für die Anschlussunterbringung von Flüchtlingen entstehen. Die Erste Bürgermeisterin Eva Noller, der Bürgermeister Carl-Gustav Kalbfell und Vertreter der Fachämter informierten die Anwohner über den Stand der Planung. Auf dem Podium nahmen auch Vertreter der Fraktionen im Gemeinderat Platz.

 

Eine Nachricht überbrachte Bürgermeister Carl-Gustav Kalbfell gleich zu Beginn der Veranstaltung: Die Zahl der Asylsuchenden ist im Vergleich zum Vorjahr drastisch gesunken. Während im Rekordmonat Oktober 2015 noch insgesamt 17 307 Flüchtlinge in Baden-Württemberg einen Erstantrag gestellt haben, waren es im August 2016 nur noch 1782 Menschen. Die rückläufigen Zugangszahlen wirken sich jedoch noch nicht auf die Anschlussunterbringung der anerkannten Flüchtlinge aus, die bereits im Land sind und ihr Asylverfahren abgeschlossen haben oder nach spätestens zwei Jahren die Gemeinschafsunterkünfte verlassen.

Unterkunft für 66 Personen geplant

Für Leinfelden-Echterdingen bedeutet das laut Kalbfell konkret: Im laufenden Jahr müssen nach einem gesetzlich vorgegebenen Schlüssel noch 153 Menschen in Anschlussunterkünften untergebracht werden. 92 Personen haben bereits in städtischen oder privaten Wohnungen eine Bleibe gefunden. Für 2017 rechnet die Große Kreisstadt mit weiteren 250 bis 330 Personen, die untergebracht werden müssen. Aus diesem Grund soll neben den Unterkünften in Musberg an der Ulrichstraße und am Örlesweg auch ein Gebäude an der Stuttgarter Straße/Uhlandstraße in Unteraichen gebaut werden.

Auf dem Grundstück ist ein dreigeschossiger, neun Meter hoher und 39 Meter langer Massivbau mit Zwei- und Drei-Zimmer-Wohnungen für insgesamt 66 Personen vorgesehen. Der Zugang zu den zwölf Wohneinheiten erfolgt über zwei separate Treppenhäuser. Im Außenbereich soll ein überdachter Radabstellplatz angelegt werden. Mittel- bis langfristig soll das Gebäude als Wohnraum für Menschen mit geringem Einkommen dienen. „Unser Ziel ist es, weiteren Wohnraum zu schaffen“, sagte Benjamin Irschik vom Planungsamt. Positiv sei zudem, dass das Gebäude durch seine Lage an der Stuttgarter Straße als Lärmpuffer für dahinterliegende Häuser dienen werde. „Der Neubau wird den Straßenlärm abmildern“, so Irschik.

Daraufhin äußerte eine Anwohnerin deutliche Kritik: „Uns das jetzt als Lärmschutzmaßnahme verkaufen zu wollen, ist unverschämt.“ Ein weiterer Anwohner wollte wissen, ob der künftige Lärm der Bewohner auch berücksichtigt worden sei. „Schon jetzt hören wir neben dem Straßenlärm auch die vielen Besucher des Biergartens. Wenn die Asylanten im Hof Feste feiern und Bier trinken, können wir nicht mehr schlafen“, so der Mann. Benjamin Irschik entgegnete: „Sozialadäquater Lärm ist hinzunehmen.“ Der Abstand der Anschlussunterkunft zu den Nachbarhäusern in zweiter Reihe beträgt laut der Architektin Andrea Mink etwas mehr als 20 Meter.

Anwohner fordern Sichtschutz

Zahlreiche Bürger forderten die Stadtverwaltung auf, für einen ausreichenden Sichtschutz zu ihren Grundstücken zu sorgen. Sorge bereitet den Anwohnern zudem die Tatsache, dass überwiegend junge, alleinstehende Männer unterzubringen sind. „Wir versuchen vorwiegend Familien unterzubringen, aber wir haben keinen Einfluss darauf, wen uns der Landkreis zuweist“, so Bürgermeister Kalbfell. „Mit der Belegung ergibt sich in Unteraichen ein Testosteronbrennpunkt“, sagte ein junger Vater, der in direkter Nachbarschaft der geplanten Unterkunft wohnt. Der Standort sei angesichts der Nähe zu Schulen und Kindergärten nicht ideal für junge Männer, sondern prädestiniert für Familien.

„66 Einzelmänner sind hier schwer integrierbar“, erklärte Achim Weinmann. Der Vorsitzende des Vereins Unteraicher Bürger warf der Verwaltung Intransparenz vor und kritisierte, dass man auf die Bedenken der Anwohner nicht eingegangen sei. Während die Anschlussunterkünfte in anderen Stadtteilen in Randlagen stehen würden, wolle man in Unteraichen mitten im Ort bauen. Der ehemalige CDU-Stadtrat äußerte Zweifel daran, dass die Nachbarkommunen sich ebenso intensiv um die Unterbringung der Flüchtlinge einsetzen wie in Leinfelden-Echterdingen. „Tun wir in vorauseilendem Gehorsam nicht mehr als alle anderen?“, fragte Weinmann. „Der Blick nach Filderstadt bringt uns nicht weiter“, argumentierte Bürgermeister Kalbfell. „Im Gegenteil, dort sind Turn- und Festhallen belegt worden. Das haben wir von Anfang an vermeiden wollen und dieses Ziel haben wir erreicht“, so der Sozialbürgermeister.

Anwohner hätten gerne kleinere Einheiten

Für Verwirrung sorgte der Einwurf von Ilona Koch: „Leinfelden-Echterdingen ist ein sehr beliebter Standort für Flüchtlinge. Wir haben Gemeinden im Landkreis, die hätten die Unterbringungsmöglichkeiten, da möchten die Gäste aber nicht untergebracht werden“, so die CDU-Fraktionsvorsitzende. „Kein Flüchtling, kein Asylbewerber kann sich raussuchen, wo er wohnen darf“, entgegnete Monika Heilmann, die sich seit Jahren in der Flüchtlingsarbeit engagiert. „So begehrt ist der Standort L.-E. auch bei Flüchtlingen nicht, Stuttgart ist da mit seiner Bonuscard wesentlich attraktiver“, so Heilmann.

Die Kritik der Anwohner richtete sich grundsätzlich nicht gegen eine Bebauung des Grundstücks für die Anschlussunterbringung von Flüchtlingen. Die Mehrheit befürwortet jedoch eine kleinere Einheit, in denen nicht nur Flüchtlinge, sondern auch Einwohner mit geringem Einkommen eine Bleibe finden. „Wir dürfen bei all der Situation der Flüchtlinge unsere eigenen Bürger nicht vergessen“, betonte eine ältere Frau. Erste Bürgermeisterin Eva Noller bekräftigte, dass man sich in der Stadtverwaltung „mit Vollgas und Nachdruck“ auch darum kümmere, den sozialen Wohnungsbau voranzubringen. Die Einwände und Verbesserungsvorschläge nehme sie ernst, betonte Noller. Die angesprochenen Themen werde man im Gemeinderat diskutieren. Allerdings, so Noller, „wir stehen unter enormem Druck, wir brauchen die Plätze jetzt.“