Werner Baumgarten hat sich nach 24 Jahren in den Ruhestand verabschiedet. Er erinnert sich an Bombendrohungen, Grenzspaziergänge und Flüchtlinge in Kojen. Er fordert kleinere Unterkünfte und einen realistischeren Umgang mit den Flüchtlingszahlen.

Familie/Bildung/Soziales: Viola Volland (vv)
Stuttgart - - Stuttgarts Asylpfarrer Werner Baumgarten sagt von sich, dass er den allermeisten Flüchtlingen zu einem Bleiberecht verhelfen konnte. In einem Abschiedsgespräch kritisiert der 65 Jahre alte Theologe die Systembauten, fordert kleinere Unterkünfte und einen vorsichtigeren Umgang mit Zahlen. Er spricht über Bombendrohungen, Flüchtlinge im alten Vogelsangdepot und provokante politische Aktionen.
Herr Baumgarten, Stuttgart muss so viele Flüchtlinge unterbringen wie nie. Wie schwer fällt es Ihnen, gerade jetzt in den Ruhestand zu gehen?
Ich werde 65 Jahre alt, es ist an der Zeit zu gehen. Abgesehen davon sollte man bei den Fakten bleiben. In Stuttgart sind im Moment 3500 Flüchtlinge untergebracht. Anfang der 1990er Jahre waren es mehr als 10 000 Bürgerkriegsflüchtlinge aus dem ehemaligen Jugoslawien. Die Stadt täte besser daran, mit den realen Flüchtlingszahlen zu arbeiten und nicht die Prognose von 8000 Flüchtlingen bis Ende 2016 in den Vordergrund zu stellen. Tatsächlich hat sich die Stadt selbst in Not gebracht. Es war falsch, bewährte Unterkünfte abzubauen, als weniger Flüchtlinge kamen.
Wie ist Ihre Prognose: Werden bald wieder Turnhallen oder eine Rheinstahlhalle gebraucht, wie in den 1990er Jahren?
Ich hoffe nicht, dass die Stadt wieder auf das Niveau herabfällt. In der Rheinstahlhalle waren doppelstöckig Container aufgebaut, mit riesigen Toren, durch die die Polizei fuhr. Im Winter war es zugig und kalt, im Sommer unerträglich heiß. Noch schlimmer war das alte Vogelsangdepot, in dem die Flüchtlinge in Kojen wohnen mussten. Es wurde damals von ganz oben politisch Druck aufgebaut, um Unterkünfte mit 500 Menschen durchzudrücken.
Was spricht gegen die Systembauten? Andere Städte beneiden Stuttgart darum.
Sie sehen schön aus, sind aber extrem hellhörig und zu groß. In Hausen, Weilimdorf und Feuerbach gibt es Proteste der Anwohner. Im Grundsatz akzeptieren wir diese nicht, aber sie haben recht mit ihrer Kritik an der Größe. 180 Menschen sind zu viele. Wir plädieren für eine dezentrale Unterbringung in kleinen Einheiten.
Die Stadt ist stolz auf ihre vorbildliche dezentrale Unterbringung der Flüchtlinge.
Auch da muss ich Wasser in den Wein gießen. Die Stadt sagt, dass sie die Flüchtlinge im gesamten Stadtgebiet verteilt hat. Wenn man genau hinschaut, merkt man, dass sich die 73 Unterkünfte in 17 Stadtteilen ballen. In den anderen 135 Stadtteilen gibt es keine Flüchtlingsheime. So dezentral organisiert ist die Unterbringung also nicht.