„CDU-ler zu sein ist keine ansteckende Krankheit“ – so rechtfertigte SPD-Fraktionschef Schmiedel einen Auftritt mit CDU-Spitzenkandidat Wolf. Doch die Grünen sind über den Schulterschluss in der Flüchtlingspolitik wenig erbaut.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Andreas Müller (mül)

Stuttgart - Es wird wahrscheinlich eine Premiere in der Geschichte des baden-württembergischen Landtags. Regierung und Opposition beantragen gemeinsam eine aktuelle Debatte – das gab es, soweit die Erinnerung zurückreicht, wohl noch nie. Normalerweise nutzen die politischen Kontrahenten dieses Forum, um gegeneinander Punkte zu machen, zumal im anlaufenden Wahlkampf. Doch an diesem Mittwoch, bei der ersten Sitzung nach der Sommerpause, wollen CDU und SPD auf die Attacke verzichten und in einer Debatte über die Flüchtlingskrise vorrangig ihre Gemeinsamkeiten herausstellen.

 

Ungewöhnliche Zeiten erforderten eben ungewöhnliche Lösungen – so oder ähnlich klang es mehrfach, als der CDU-Fraktionschef Guido Wolf und sein SPD-Kollege Claus Schmiedel den Schulterschluss am Montag vor Medienvertreten ankündigten. Ganz kurzfristig hatte die CDU den Genossen als Überraschungsgast für die Pressekonferenz angekündigt, bei der es um die Ergebnisse ihrer jüngsten Klausursitzung in Berlin gehen sollte. Wolf hatte nach eigenem Bekunden die Idee mit der gemeinsamen Debatte, auch im Blick auf das Regierungsbündnis mit der SPD im Bund, und Schmiedel war bereitwillig darauf eingegangen.

„CDU-ler zu sein ist keine Krankheit“

Man hätte das natürlich beiläufiger bekannt machen konnten, doch die beiden Fraktionschefs wollten einen demonstrativen Schulterschluss. Also saßen sie einträchtig nebeneinander und beschworen die Größe der Herausforderung, die eben ganz besondere Antworten verlange. Schon vorige Woche hatte Schmiedel ein parteiübergreifendes Bündnis zur Flüchtlingsfrage angeregt, und nach dem Brandanschlag von Wertheim sah er dafür noch einmal mehr Anlass.

Am Wochenende hatte er dazu auch mit seinen Kollegen Hans-Ulrich Rülke (FDP) und Edith Sitzmann telefoniert. Von dem Auftritt an der Seite Wolfs soll die Grünen-Fraktionschefin indes erst am Montag erfahren haben. „Sie findet’s ungewöhnlich“, berichtete Schmiedel kühl über ihre Reaktion und fügte hinzu: „CDU-ler zu sein ist keine ansteckende Krankheit.“ Man werde wohl noch miteinander reden dürfen, war seine trotzige Botschaft. Da bahne sich keine große Koalition an, natürlich vertraue man sich im grün-roten Bündnis.

Grüne rügen „CSU-Rhetorik“

Doch schon in der SPD hielt sich die Begeisterung über den Doppel-Auftritt in Grenzen. „Ein typischer Schmiedel“, kommentierten Genossen hinter vorgehaltener Hand. Wie es wirke, wenn er ein halbes Jahr vor der Wahl an einer CDU-Pressekonferenz teilnehme, schere ihn wohl wenig – Hauptsache, er mache mal wieder Wirbel. „Claus Schmiedel ist immer für eine schnelle Überschrift zu haben“, rügten die Grünen ganz offiziell per Presseerklärung. „Die Wirkung von Symbolen“, fügte Sitzmann hinzu, „hat er dabei nicht immer im Blick.“ Mehr als das schien sie der Schulterschluss mit Wolf aber inhaltlich zu irritieren. Angesichts des verbal verschärften Kurses der Landes-CDU sei man „von Gemeinsamkeiten weit entfernt“. Mit seiner „CSU-Rhetorik“ – zuletzt beim Konvent in Heilbronn – erschwere Wolf den Konsens, selbst der Kanzlerin verweigere die Südwest-Union ihre Unterstützung. Das passe nicht zu den moderaten Tönen, die der Spitzenkandidat im Parlament oder bei Pressekonferenzen anschlage.

Deutschland als modernes „Schlaraffenland“, die Gesundheitskarte als Tor zur „medizinischen Rundumversorgung“ – derlei Begriffe Wolfs wollte Schmiedel zuvor nicht einzeln kommentieren. Man müsse „auf die Wortwahl achten in dieser angespannten Situation“, mahnte er allgemein. Mit Sorge wird in der Koalition registriert, wie das Flüchtlingsthema in der CDU zunehmend populistisch thematisiert wird. Da sei es ein kluger Coup Schmiedels, den Frontmann in ein Bündnis einzubinden, befand ein SPD-Stratege.

Die Einigkeit hält nicht lange vor

Kaum hatte der SPD-Fraktionschef den Saal verlassen, war es mit der neuen Gemeinsamkeit schon wieder vorbei. Da ließ Wolf eine Erklärung verbreiten, in der die grün-rote Landesregierung scharf angegangen wird: Sie habe in der Flüchtlingskrise „keinen Gestaltungswillen gezeigt, sondern beschränkt sich auf ein Lamentieren und ungerechtfertigte Schuldzuweisungen an Andere“. Was zu tun wäre, beschreiben die CDU-Abgeordneten von Bund und Land in einem gemeinsamen Papier.

Am Mittwoch ist gleichwohl wieder Einigkeit angesagt. Auf Anregung der Grünen Sitzmann soll das Parlament fraktionsübergreifend eine Resolution gegen Gewalt und Fremdenfeindlichkeit beschließen.