Die Polizei entdeckt 101 nicht registrierte Asylsuchende im Zug aus München – so viele wie noch nie. Von Anfang des Jahres bis Ende Juli wurden alleine 1241 Flüchtlinge im Inspektionsgebiet Stuttgart registriert.

Stuttgart - Der ICE 618 von München nach Dortmund ist schon seit einigen Monaten sozusagen polizeibekannt. Der Nachtzug von Bayern nach Nordrhein-Westfalen scheint nämlich bei Flüchtlingen sehr beliebt zu sein. Und so ist es reine Routine, dass Beamte der Bundespolizei den Münchner ICE um 2:18 Uhr am frühen Dienstagmorgen etwas genauer unter die Lupe nehmen. Das Ergebnis ist allerdings alles andere als normal – 101 noch nicht registrierte Flüchtlinge bittet die Polizei zur Erfassung aus dem Zug. „So viele wie in diesem ICE waren es auf einmal noch nie“, sagt Polizeisprecher Jonas Große über die Flüchtlinge vom Dienstag.

 

Die Häufung erklärt sich durch die kurzzeitige Öffnung des Budapester Bahnhofs für alle Flüchtlinge. Dort hätte eigentlich nach europäischem Recht die Erfassung der Flüchtlinge stattfinden sollen. Und dort hätten sie dann auch bleiben sollen. Die Ungarn kapitulierten aber kurzzeitig vor der Masse der Menschen und ließen jeden die Züge Richtung Österreich und Deutschland besteigen. Die Auswirkungen sind bis Stuttgart zu spüren. Zu den 101 Flüchtlingen in der Nacht kommen im Laufe des Dienstags noch einmal 20 dazu. Eine junge Frau aus Syrien, die ihren Namen nicht nennen will, berichtet erstaunt, dass sie von Budapest nach Stuttgart nur einen Tag gebraucht habe – von ihrem Heimatort bis nach Ungarn allerdings fast einen Monat. Aber jetzt sei alles gut. Auf die Frage, wo in Deutschland sie gerne bleiben würde, sagt sie nur ein Wort: „Stuttgart“.

Dort findet allerdings nur die Erfassung der Flüchtlinge statt. Angesichts der beengten räumlichen Möglichkeiten in der Wache an der Königstraße und dem Raum der ehemaligen Post im Hauptbahnhof ist das ein hartes Stück Arbeit für alle. In der alten Post sind einige Biertische, Bänke und Faltbetten aufgebaut, die Polizei organisiert medizinische Betreuung, kümmert sich während der Erfassung um Trinken und ein bisschen was zu Essen. Aus Sorge um die oft seit Monaten auf der Straße lebenden Menschen aus Syrien, Eritrea oder Äthiopien wird zusätzlich die Feuerwehr gebeten, die Luftqualität in den ehemaligen Räumen der Post zu überprüfen.

Polizei behält Pässe ein

Alleine ist das nicht zu schaffen. Kollegen vom Flughafen Stuttgart nehmen fünf Flüchtlinge zur Registrierung mit auf die Fildern, in Stuttgart helfen Beamte aus Ludwigsburg und Heilbronn. Dabei werden die Personalien festgestellt und Fingerabdrücke genommen. Mit diesen will man klären, ob unter den Flüchtlingen zur Fahndung ausgeschriebene Personen sind. Danach bekommen die Ankömmlinge als Zeichen ihrer Registrierung ein weißes Plastikbändchen mit Nummer ums Handgelenk. Die Pässe behält die Polizei aber ein. Sie werden zur Landeserstaufnahmestelle nach Karlsruhe geschickt, an die sich die Flüchtlinge nach ihrer Erfassung in Stuttgart auch wenden müssen. Wie sie dahin kommen, ist zunächst einmal deren Sache. Wer Geld hat, kauft sich ein Zugticket, anderen hilft die Bahnhofsmission weiter.

Die Bundespolizei rechnet damit, dass weitere Flüchtlinge aus Budapest kommen. Von Anfang des Jahres bis Ende Juli wurden alleine 1241 Flüchtlinge im Inspektionsgebiet Stuttgart registriert. Exakte Zahlen für den August liegen noch nicht vor, „aber die Tendenz ist zunehmend“, sagt der Polizeisprecher. Und so wird sich die Bundespolizei auch in den kommenden Tagen auf den Nachtzug konzentrieren.

Stadt befürchtet Zuspitzung

Die Stadtverwaltung zeigt sich von den Ereignissen unbeeindruckt. Pressesprecher Andreas Scharf sagt, man sei darauf vorbereitet, der Bundespolizei und dem Regierungspräsidium zur Seite zu stehen. Das sei derzeit aber noch kein Thema. Die zuständigen Stellen bei der Stadt würden sich ständig abstimmen.

Hermann Karpf, Sprecher von Ordnungsbürgermeister Martin Schairer (CDU), bestätigt die Einschätzung. Die Registrierung von 100 Flüchtlingen und die Organisation des Weitertransports zu einer Landeserstaufnahmestelle sei ein durchaus noch überschaubarer Aufwand. Er geht allerdings davon aus, dass sich die Lage noch zuspitzen werde.