Flüchtlinge aus Gambia und den Balkanstaaten haben durch ein Feuer im Asylbewerberwohnheim in Rottenburg erneut allen Besitz verloren. Die Brandursache steht noch nicht fest. Die Hilfsbereitschaft in Rottenburg ist enorm.

Viele Fragen drehen sich am Montag in Rottenburg um die Ursache des Brandes in einem örtlichen Asylbewerberheim. 25 Ermittlungsbeamte der Polizei versuchen seit dem frühen Morgen, der Brandursache auf die Spur zu kommen. „Es wird in alle Richtungen ermittelt“, erklärt der Tübinger Oberstaatsanwalt Martin Klose. „Von einem technischen Defekt, einer Unachtsamkeit bis zur vorsätzlichen Brandstiftung ist alles möglich.“ Spürhunde suchen in dem weitgehend zerstörten Container nach Brandbeschleunigern. Wann ein Ergebnis vorliegt, vermag Klose nicht zu sagen. „Das kann geraume Zeit in Anspruch nehmen.“

 

Gegen zwei Uhr waren die Rettungskräfte gerufen worden. Einsatzleiter Roland Kürner von der Rottenburger Feuerwehr erläutert später, dass seine Leute das Gebäude nicht betreten konnten, weil aus vielen Fenstern Flammen schlugen. „Wegen des Vollbrands mussten wir einen Außenangriff starten, also durch die Fenster löschen“, berichtet Kürner auf einer improvisierten Pressekonferenz um vier Uhr. Knapp drei Stunden dauert es, bis der Brand vollständig gelöscht ist. Viele Container sind zerstört, selbst die Zwischenböden in dem zweigeschossigen Bau sind eingebrochen. Weil deswegen einige der Zimmer nur von außen genau in Augenschein zu nehmen sind, ist erst gegen fünf Uhr klar, dass sich niemand mehr in dem Wohnheim befindet. Gegen Mittag bestätigt der Feuerwehrkommandant, dass der Brand im Erdgeschoss im Inneren des Gebäudes ausgebrochen sein muss und dann „durchgezündet“ hat.

Rottenburgs Oberbürgermeister Stephan Neher entscheidet, dass die obdachlos gewordenen Asylbewerber kurzfristig in der Rottenburger Festhalle untergebracht werden sollen. Die meisten von ihnen werden noch am selben Tag in die Kreissporthalle in Tübingen umquartiert. Diese Halle ist für 400 Flüchtlinge vorbereitet worden. „Dort sind sie ordentlich untergebracht“, betont Landrat Joachim Walter, der neue Quartierangebote, unter anderem von der Diözese Rottenburg-Stuttgart, umgehend prüfen lassen will. Ob und wann anstelle der zerstörten Container neue aufgestellt werden, ist noch offen. „Die Lieferzeit für Wohncontainer beträgt sieben bis neun Monate“, so der Landrat. Die obdachlos gewordenen Flüchtlinge sollen nur übergangsweise in Tübingen bleiben. Für Ende September ist ihre Rückkehr nach Rottenburg geplant. Bis dahin soll ein fünfgeschossiges Haus in der Nachbarschaft der zerstörten Container auf dem früheren DHL-Gelände für Flüchtlinge bereit stehen.

Etwa 20 junge Afrikaner weigern sich am Montagmorgen zunächst, mit einem Bus in die Festhalle gefahren zu werden. Sie wollen abwarten, ob sie nicht doch noch persönliche Gegenstände aus den Wohncontainern retten können, sie befürchten aber offenbar auch Plünderungen. Die Männer sind teilweise nur leicht bekleidet. Einige umhüllen sich mit Decken, andere umwickeln sich mit Folien. Um sie vor der Kälte der Nacht besser zu schützen, stellt die Feuerwehr einen mobilen Container in Sichtweite des Heims auf. Erst als man ihnen erklärt, dass die Polizei ein Auge auf ihren Sachen haben wird, lassen sie sich zur Fahrt in die Festhalle überreden.

„In 13 Quartieren haben wir bereits 360 Flüchtlinge untergebracht“, berichtet OB Neher. Das seien mehr Menschen, als die Stadt eigentlich aufnehmen müsse, „aber man hilft ja gerne“. In der aus dem Jahr 1901 stammenden Festhalle kümmern sich Mitarbeiter des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) um die Flüchtlinge und stellen Kleider wie auch Verpflegung bereit. Vor der Lieferung von Feldbetten werden auf dem Boden Decken ausgebreitet, auf denen die Kinder, die erstaunlich ruhig geblieben sind, schlafen können.

Vielen der Flüchtlinge ist das Entsetzen ins Gesicht geschrieben. Die Frauen einer siebenköpfigen Familie aus Mazedonien weinen bitterlich, ihre Männer an den Tischen starren in die Luft. Einem jungen Mann aus Gambia ist die Angst anzusehen. „Warum, warum?“, lautet seine Frage. Immer und immer wieder erzählt er, wie er dem Feuer entkommen ist. Er kann es alles nicht fassen. „Fire, Fire“ habe jemand gerufen. In Shorts sei er auf den Flur, die Menschen seien panisch an ihm vorbei gerannt. Er sei dann durchs Fenster geflohen. Nur in Shorts. Vorhin habe er in den Container gesehen. In seinem Zimmer steht nun einen halben Meter hoch Asche. Alles ist zerstört. Alles, was er sich in vielen Monaten aufgebaut, erarbeitet, gekauft hat. Er fühle sich erneut auf der Flucht. „Wann hört das nur auf?“, fragt er.

Ein anderer Mann aus Gambia berichtet mit Tränen in den Augen, dass seine Papiere verbrannt sind, sogar das Zertifikat seines Deutschkurses an der Volkshochschule. Deutsche Dokumente kann man wiederbeschaffen, versuchen ihn Helfer zu beruhigen. Auch viele Handys mit den Nummern von Familien und Freunden sind zerstört – und damit der Kontakt der Flüchtlinge zur Außenwelt.

Der Gedanke, es könnte ein Anschlag gewesen sein, lässt niemanden los. „Ich bin zutiefst getroffen“, sagt Elke Seelmann, die die Flüchtlinge ehrenamtlich betreut. „Diese Menschen sind auf der Flucht gewesen. Sie haben ihre Tradition, ihre Kultur, ihre Familien verlassen und wahnsinnige Strapazen hinter sich.“

Auch Dorothea Mehner-Weber von der örtlichen evangelischen Kirchengemeinde ist empört. „Viele sind schon gut integriert in unserer Stadt, manche haben Arbeitsplätze in Aussicht oder bereits eine Stelle angetreten. Und nun passiert so etwas.“ Sandra, 23 Jahre alt, gehört zu denen, die seit Monaten Flüchtlinge betreuen. „Wir lassen uns nicht abschrecken, egal, was da heute Nacht passiert ist“, betont sie. „Wir helfen weiter. Diese Menschen haben ein Recht auf Leben. Sie bereichern unser Leben.“

Die Hilfsbereitschaft in Rottenburg ist enorm. Ein Bäcker aus Wurmlingen, er beschäftigt einen jungen Mann aus Gambia, bringt Brezeln vorbei. Die Notärztin Lisa Federle sammelt schon am frühen Morgen 1300 Euro an Spenden, die in Spielzeug wie Bobbycars investiert werden. „Die Kinder haben doch nichts mehr, mit dem sie sich beschäftigen können“, hat sie erkannt.