Der Künstler Erik Sturm arbeitet in einem Atelier an der Willy-Brandt-Straße. Am Freitag eröffnet dort eine Ausstellung, in der unter anderem zu sehen ist, dass Sturm sogar den Feinstaub zu Kunst verarbeiten kann.

S-Mitte - Kräne, meterhohe Bauzäune, Stau und Feinstaub – entlang der Willy-Brandt-Straße erstreckt sich eine Langzeitbaustelle für das Bahnprojekt Stuttgart 21. Und mittendrin: Der Projektraum Lotte, eine Kunstgalerie, die 2012 von Erik Sturm und Laura Kohlmann gegründet worden ist.

 

Seitdem ist viel passiert zwischen Staatsgalerie und Neckartor. Zeitweise mussten die Besucher der Ausstellungen in Sturms Galerie über Stege zum Eingang geführt werden. Die Baustelle hat der Künstler seit Beginn direkt vor der Nase, rundherum ist seither der Boden umgegraben worden. Was für manche große Beeinträchtigungen bedeutet, ist für ihn jedoch Quelle der Kreativität. Für den 33-Jährigen ist die Willy-Brandt-Straße nicht bloß Großbaustelle sondern vor allem Möglichkeitsraum für seine Kunst. „Wenn wir den Raum damals nicht bekommen hätten, hätte es gar keinen Projektraum gegeben“, sagt er heute. Der Standort nämlich war perfekt gewählt. Wie perfekt, zeigt er von Freitag an in der Ausstellung „Stadtgrund – aus dem Lebenslauf einer Straße“.

Leidenschaftlicher Sammler von Objekten

Erik Sturm ist Bildhauer, hat an der Merz-Akademie sowie an der Akademie der Bildenden Künste studiert und beschäftigt sich in seinem Werk seit Jahren mit Konflikten und Phänomenen des öffentlichen Raums – mit seinen Veränderungen und den Möglichkeiten von Subkulturen sich diesen öffentlichen Raum anzueignen. Selbst hat er das schon vor 15 Jahren getan, als Sprayer und Skater – aber auch als leidenschaftlicher Sammler von Objekten, „die sonst keinen interessieren, die aber für mich einen künstlerischen Wert haben“, sagt er. Schon um das Jahr 2000 wandelte er durch die Willy-Brandt-Straße, die einstige Prachtstraße, die irgendwann dem Pragmatismus weichen musste. Auf seinen Streifzügen sammelte er etwa Kacheln aus einer heruntergekommenen Jugendstil-Villa oder Plakatfetzen.

In seiner Galerie hat er so Fundstücke für seine Schau zusammengetragen, die Geschichten der vergangenen 15 Jahren erzählen. „Es sind Relikte der Gegenwart, die zeigen, was von der Straße übrig bleibt“, sagt er. Das, was er durch seine Sammelleidenschaft tut, nennt er selbst Neuzeitarchäologie.

Vier Kilogramm Staub zusammengekratzt

Neben den Fliesen sind Dachbalken aus der Staatsgalerie zu sehen, abgekratzte Plakatschichten, übrig gebliebenes von den Baustellen und ein ganz besonders markantes Exponat, das viel über die Straße aussagt: Feinstaub. Das Neckartor ist bekannt als Ort mit der höchsten Feinstaubdichte Europas. Den hat er erst kürzlich gesammelt, oder genauer: mit einer EC-Karte von Fenstersimsen gekratzt. Vier Kilogramm hat er in kleine Tütchen verpackt und einen Teil davon zu einer Farbe verarbeitet, der er den Namen „Neckartorschwarz“ gegeben hat.

Mit politischen Statements hält sich der 33-Jährige zurück. Ob für oder gegen das Bahnprojekt: Sturm interessiert sich für den Wandel der Stadt und was davon übrig bleibt. Die Willy-Brandt-Straße, so der Künstler, stehe für viele andere Straßen auf der Welt, die zerstört, modernisiert und erneuert werden. Die Schau „Stadtgrund“ ist dabei sein ganz eigener, persönlicher Beitrag zur Aufarbeitung der Stuttgarter Stadtgeschichte, die genau jetzt passiert.