In der Schweiz beteiligen sich vier Länder an einer Flugübung, um für den atomaren Zwischenfall gewappnet zu sein. Ein Einsatz mit speziellen Anforderungen.

Dübendorf - Ja, volles Verständnis habe er für die Menschenkette gegen die belgischen Atomkraftwerke: Christopher Strobel, Teamleiter beim Bundesamt für Strahlenschutz (BfS), steht auf dem Militärflugplatz in Dübendorf (Kanton Zürich) und nimmt kein Blatt vor den Mund: „Der Schutz der Bevölkerung vor radioaktiver Strahlung ist unsere Aufgabe.“ Wenn die Öffentlichkeit einen Finger in die Wunde lege, dann sei das okay, wegen ihres Drucks in den letzten 30 Jahren hätten die Atomkonzerne ja die Sicherheit ständig erhöht.

 

Das Geknatter von sechs startenden Hubschraubern schneidet Strobel dann die Worte ab. In Dübendorf hat am Montag eine fünftägige Atomschutzübung mit Helikoptern aus der Schweiz, Deutschland, Tschechien und Frankreich begonnen – und auch das BfS ist dabei. Die Nationale Alarmzentrale (NAZ) der Schweiz hat zu einem internationalen Messflug eingeladen, um einen gemeinsamen Einsatz zu üben und die natürliche Strahlung des Bodens zu dokumentieren, über Granit oder Marmor ist sie besonders hoch. Im Ernstfall muss rasch aus der Luft eine Kartierung der strahlenden Gebiete erfolgen, um die Bevölkerung zu warnen. In Fukushima etwa war das Verseuchungsgebiet 50 Kilometer breit und 60 Kilometer lang.

Die Helikopter fliegen in nur 90 Meter Höhe mit Tempo 100

Von Dübendorf aus fliegen die Piloten in nur 90 Meter Höhe und bei Tempo 100 ein Gebiet von 2560 Quadratkilometern ab, das entspricht einem Sechstel der Schweiz. Geflogen wird in parallelen Linien, um jeden Winkel zu erfassen. „So ein riesiges Gebiet schaffen wir nicht allein. Und wir brauchen die internationale Zusammenarbeit im Ernstfall“, sagt Gerald Scharding, der Leiter der Aeroradiometrie der NAZ. Binnen sechs Stunden nach einem „Ereignis mit erhöhter Radioaktivität“ sollen die Helikopter in der Luft sein, eine grenzüberschreitende Zusammenarbeit ist sinnvoll. Viele Atommeiler liegen in Grenznähe – das französische Fessenheim etwa, Leibstadt in der Schweiz oder Temelin in Tschechien (60 Kilometer nach Bayern), das übrigens noch eine Laufzeit bis 2043 hat. Das letzte deutsche AKW geht 2022 vom Netz.

Die Messtechnik in den Helikoptern ist gleich: im Laderaum steht ein Detektor, der Kobalt, Cäsium oder natürliche radioaktive Strahlung erfassen und die sogenannte Ortsdosisleistung berechnet, im Passagierraum steht ein Kasten zur Auswertung der Daten. Die Flugbesatzungen werden je nach Nation von der Bundespolizei, Militär oder dem Katastrophenschutz gestellt. Beim diesjährigen Einsatz wartet auf sie eine besondere Suchaufgabe: Zwei radioaktive Nester sind versteckt worden, es handelt sich um zwei Cäsiumquellen mit einer Strahlung von mehreren Giga-Bequerel.

Zwei atomare Verstecke sollen die Piloten aufspüren

Die sind vom Schweizer Militär gut bewacht und stellen laut NAZ weder für Bevölkerung noch Umwelt eine Gefahr dar. „Hier im Bereich der Berge zu fliegen ist für uns eine Herausforderung“, sagt der deutsche Pilot Dirk Basel von der Bundespolizei aus Oberschließheim. Er ist mit relativ leichtem Fluggerät da, einem Eurocopter EC 135. Der Hingucker auf dem Rollfeld aber ist ein nach Öl riechender Mi-17-Militärhubschrauber russischer Bauart, mit dem die Tschechen anreiste. Vorm Start schraubte ein Mechaniker noch am Rotorkopf. „Das ist ein kraftvolles Fluggerät“, sagt Lubomir Gryc vom Nationalen Institut für Strahlensicherheit in Tschechien. Und „kraftvoll“ sei auch der Verbrauch: 950 Liter pro Flugstunde, fast das fünffache dessen was ein Eurocopter schluckt. Da fügt es sich gut, dass die Schweiz als Gastgeber die Treibstoffkosten der Übung trägt.