Der Energiekonzern EnBW fordert Schadenersatz für hohe Einnahmeverluste nach dem Atomausstieg – und begründet, warum er erst jetzt vor Gericht zieht.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Andreas Müller (mül)

Stuttgart - Der Energiekonzern EnBW fordert wegen des Atomausstiegs mehr als 260 Millionen Euro Schadenersatz vom Bund und vom Land Baden-Württemberg. Dies ergibt sich aus der bisher unter Verschluss gehaltenen Amtshaftungsklage vor dem Landgericht Bonn, die der Stuttgarter Zeitung vorliegt. Die bisher nur als „niedrig dreistellig“ beschriebene Forderung beträgt danach genau 261191024 Euro und 49 Cent, zuzüglich Zinsen.

 

Damit wird die ausgefallene Stromproduktion in den Kernkraftwerken Philipsburg 1 und Neckarwestheim 1 in Rechnung gestellt, die nach der Reaktorkatastrophe von Fukushima im März 2011 abgeschaltet worden waren und bis zum Atomausstieg im August nicht wieder ans Netz gingen. Zudem will die EnBW weitere, noch nicht bezifferbare Schäden wegen nicht verbrauchter Brennelemente in Neckarwestheim gerichtlich feststellen lassen.

Der EnBW-Chef Frank Mastiaux hatte die Ende 2014 eingereichte Klage kürzlich erneut als „aktienrechtlich notwendig“ verteidigt. Sie richtet sich auch gegen einen der beiden Großaktionäre, das Land Baden-Württemberg. Das sei „natürlich keine leichte Situation, aber es gibt keine Alternative“, sagte Mastiaux. Schon 2011 habe man Zweifel an der Rechtmäßigkeit des dreimonatigen Atommoratoriums geäußert, „aber aus Rücksicht auf die gesellschaftliche Diskussion auf einen Einspruch verzichtet“. Inzwischen sei durch höchstrichterliche Urteile klargestellt, dass das Aus für die Altmeiler damals rechtswidrig war. Bund und Länder hatten sich auf einen „Gefahrenverdacht“ berufen, den die Atomkonzerne bestreiten; zudem waren die Unternehmen nicht angehört worden.

Warum wurde 2011 auf Rechtsmittel verzichtet?

In der Klageschrift stützt sich die EnBW auch auf die Grünen-Bundestagsabgeordnete Sylvia Kotting-Uhl. Sie hatte damals davor gewarnt, das Atomrecht zu „beugen“. Außerdem verweist der Konzern auf eine Stellungnahme des Landes gegenüber der Umweltorganisation Greenpeace. Nur zwei Tage nach dem Aus für Neckarwestheim sei darin das „hohe Sicherheitsniveau“ des Reaktors verteidigt worden.

Als größtes rechtliches Problem für die EnBW gilt es, dass sie 2011 auf Rechtsmittel verzichtet hatte. Dies wird in der Klageschrift damit begründet, rechtliche Schritte wären damals „unzumutbar“ gewesen. Angesichts der „aufgeregten Situation“ nach Fukushima hätte der Konzern einen „großen Imageschaden“ mit entsprechenden finanziellen Folgen befürchten müssen. Es hätten „erhebliche Kundenverluste im Privatkundenbereich gedroht“, zudem wären Konzessionsverhandlungen mit den Kommunen gefährdet gewesen. Dabei verweist die EnBW auf das negative Echo, das RWE mit seiner Klage geerntet hatte.

An diesem Donnerstag wird sich auch der Landtag mit der Atompolitik „vier Jahre nach Fukushima“ befassen. Die Debatte wurde von den Grünen beantragt.