2020, 2021 oder 2022 - die Ethikkommission wird wohl eine Jahreszahl für den Atomausstieg nennen. Aber ist das ihr Job?  

Stuttgart - Wenn die Physiker einen Teilchenbeschleuniger bauen, um ein bisher nur hypothetisches Teilchen nachzuweisen, dann stellt kaum jemand die Investition von mehreren Milliarden Euro infrage. Spätestens seit der Entdeckung der Atomspaltung ist allen klar, dass es selbst bei den flüchtigsten Teilchen um gewaltige Energiemengen geht. Ganz anders bei den Philosophen: wenn sie ein Forschungsprogramm aufsetzen, um ein irgendwie nicht fassbares Argument in den Griff zu bekommen, dann zuckt die Welt mit den Schultern. Es mag um große, ja existenzielle Fragen gehen - um die Seele, die Gerechtigkeit oder das Wesen des Menschen -, aber man ahnt, dass keine große Entdeckung bevorsteht. In der Philosophie wird der Kuchen mit ewig frischen Zutaten immer wieder neu gebacken.

 

Weniger selbstbewusste Philosophen versuchen daher, sich mit fachfremden Wissenschaftlern zu verbünden, um doch noch etwas Relevantes beizusteuern. Sie diskutieren mit Hirnforschern über das Bewusstsein, mit Medizinern über Patientenrechte oder mit Informatikern über die Bedeutung des Virtuellen für die Gesellschaft. Böse Stimmen nennen das philosophische Begleitforschung oder gar Ornamentalistik. So wird die Philosophie von zwei Seiten in die Zange genommen: Die Fundamentalisten des Fachs fordern ernsthafte Forschung, während der Rest der Welt auf Orientierung wartet.

Auftrag, für Akzeptanz zu sorgen

Auf welcher Seite die Ethikkommission steht, die an diesem Wochenende ihren Bericht zum Atomausstieg formuliert, ist klar: Sie hat den Auftrag, für Akzeptanz zu sorgen. Die Energiewende müsse auf eine breite gesellschaftliche Grundlage gestellt werden, hat ihr die Bundeskanzlerin auf den Weg gegeben. Doch wenn das so klar ist, sei die Frage erlaubt, was die Ethikkommission noch mit Ethik zu tun hat.

Schon der Entwurf des Abschlussberichts, der durch eine Indiskretion öffentlich wurde, zeigte, dass es im Kern um etwas anderes geht als ethische Reflexion: Man sollte spätestens bis 2021 aus der Atomenergie aussteigen, lautete die Empfehlung, doch ein derart spezifisches Ergebnis lässt sich nicht aus ethischen Prinzipien ableiten. Eine solche Jahreszahl kann nur das Ergebnis eines politischen Kompromisses sein. Die Ethikkommission steht daher im Verdacht, in Wirklichkeit ein Forum für den Interessenausgleich zwischen Bürgern und Energiekonzernen zu sein: etwa höhere Strompreise und eine neue Suche nach einem atomaren Endlager als Preis für ein gestiegenes Sicherheitsbedürfnis.

Es klingt nach einer Prinzipiendebatte

Die Kommission könnte mehr leisten, ihre 17 Mitglieder wollen es vielleicht auch. Sie könnte sich fragen, welche Lasten den nachfolgenden Generationen aufgebürdet werden dürfen und wie sich die Energiewende mit anderen Zielen vereinbaren lässt: wirtschaftlichem Wachstum, globaler Gerechtigkeit und Klimaschutz. "Es gibt natürlich schon genug Denkschriften und Stellungnahmen", sagt das Kommissionsmitglied Jörg Hacker, der die Nationale Akademie der Wissenschaften leitet. "Wir sollen eine Gesamtschau bieten und Optionen aufzeigen." Das klingt nach einer echten Prinzipiendebatte, in der sich Ethiker zu Hause fühlen. Doch es ist nicht zu erwarten, dass Optionen in der politischen Debatte verfangen werden.

Der Deutsche Ethikrat hat das kürzlich erfahren müssen: Als er im März ein zwiegespaltenes Votum für und gegen die Präimplantationsdiagnostik abgab, waren nicht wenige enttäuscht. Etwa die Hälfte der Ethikratsmitglieder hatte die vorgeburtlichen Tests an Embryonen befürwortet, da es ethisch bedenklich sei, Paare vor die Wahl zu stellen, auf Nachwuchs zu verzichten oder das Risiko einer schweren Erbkrankheit einzugehen. Die andere Hälfte hielt dagegen, dass kaum zu erwarten sei, dass sich ein Paar für einen Embryo mit einem genetischen Defekt entscheide - und der Kinderwunsch eines Paares zurückstehen müsse angesichts der Gefahr einer routinierten Selektion.

Eine klare Empfehlung ist gewünscht

Das sei keine Hilfe, hieß es anschließend bei einigen Politikern und Kommentatoren. Die Argumente kenne man schon - man hätte sich eine klare Empfehlung gewünscht. Doch der Ethikrat hat geliefert, was die Ethik liefern kann: Er hat den springenden Punkt herausgearbeitet. Es geht in erster Linie um die Frage, wie man den Kinderwunsch eines Paares gewichtet. Die Entscheidung, die nun ansteht, kann die Ethik der Politik nicht abnehmen.

Ebenso wenig bietet die Ethik allgemeingültige Antworten. Die Atomdebatte hat gezeigt, dass sich nicht nur die technischen Möglichkeiten, sondern auch die Werte ändern können. "Durch Fukushima hat das Thema Energie ein neues Gewicht gewonnen", sagt Jörg Hacker. "Da reicht es nicht aus zu sagen: damit haben wir uns schon vor zwei Jahren befasst."

Sollte die Ethikkommission also einen Zeitpunkt für den Atomausstieg empfehlen, kann das pragmatisch und vernünftig sein. Aus ethischer Sicht kommt es auf ein Jahr mehr oder weniger aber nicht an.