Während die einen weiter auf Nuklearenergie setzen, bereiten andere den Rückzug vor. Die StZ wagt einen Blick ins Ausland.

Stadtentwicklung & Infrastruktur: Andreas Geldner (age)

Stuttgart - Kein Land hat nach dem Unglück im japanischen Atomkraftwerk Fukushima so konsequent den Atomausstieg vorangetrieben wie Deutschland. In Japan laufen derzeit zwar nur zwei der 54 Reaktoren, doch noch steht die Antwort aus, welche langfristige Strategie bei der Energiegewinnung verfolgt werden soll. Rund um den Globus wird das Thema mal mehr, mal weniger heftig diskutiert. Und nicht immer liegt die Regierung auf einer Linie mit dem Willen der Bevölkerung. Wir geben einen Überblick.

 

Japan

Ein Jahr nach der Katastrophe von Fukushima ringt Japans Politik mit einem Atomausstieg. Während sich in Umfragen mehr als drei Viertel der Japaner ein Ende der Kernkraftära wünschen, drängen Stromkonzerne und Industrieverbände auf eine rasche Wiederinbetriebnahme der heruntergefahrenen Kraftwerke. Im Sommer will die Regierung ein neues Energiekonzept vorstellen, doch inwiefern sie sich darin zu einem vollständigen Ausstieg bekennen wird, ist unklar. Vor Fukushima bezog Japan rund ein Drittel seines Stroms aus Kernkraft und plante den Anteil bis 2030 auf mehr als die Hälfte erhöhen.

Zwar hatte der ehemalige Premierminister Naoto Kan nach dem Desaster erklärt, Japan müsse eine Zukunft ohne Kernenergie anstreben. Sein seit September amtierender Nachfolger Yoshihiko Noda hat bisher aber noch keine klare Position bezogen. Industrieminister Yukio Edano, zu dessen Portfolio die Energiepolitik gehört, will sich bisher auf nicht mehr festlegen als eine „Reduzierung von Japans Abhängigkeit von Kernkraft in einem mittleren bis längeren Zeitrahmen“.

Atomkraftgegner sehen es allerdings als erwiesen an, dass Japan auch ohne Atomkraft auskommen könne – und das sogar sofort. Denn von den 54 Reaktoren sind derzeit nur noch zwei am Netz. Die anderen wurden entweder als Reaktion auf die Fukushima-Katastrophe oder im Rahmen regelmäßiger Wartungsarbeiten abgeschaltet. Wieder hochgefahren wurde bisher keiner, um zunächst Stresstests durchführen zu können. Zudem müssen für die Wiederinbetriebnahme sowohl das Kabinett in der Hauptstadt Tokio als auch die lokalen Regierungen zustimmen. Vor allem Letztere sind bisher zögerlich.

Auch die beiden noch aktiven Meiler müssen bis Mai für Routineüberprüfungen vom Netz genommen werden. „Das ist eine große Chance, weil die Menschen dann merken werden, dass wir die Atomkraft gar nicht brauchen“, sagt Junichi Sato von Greenpeace Japan. Das Land verfüge über genügend andere Stromerzeugungskapazitäten, unter anderem weil jedes AKW über gas- oder ölbetriebene Backup-Systeme verfüge. Deren Einsatz ist allerdings teuer, weil Japan seine Energierohstoffe fast vollständig importieren muss. „Natürlich sind die Kosten für Gas und Öl hoch, aber die Katastrophe von Fukushima hat gezeigt, dass Atomkraft letztlich noch viel teurer ist“, sagt Sato. „Beim Ausbau von erneuerbaren Energien hat Japan aber gewaltiges Potenzial, das bisher noch gar nicht genutzt wird, weil die Regierung sich ganz auf Kernkraft verlassen hat.“ Bernhard Bartsch

China

China vertraut auf die Sicherheit seiner Atomkraftwerke. Fünf Tage nach der Fukushima-Katastrophe hat Peking seine ehrgeizigen Pläne zunächst auf den Prüfstand gestellt. Nun sollen die gestoppten Projekte fortgeführt werden. Wang Yuqing, ehemaliger Direktor der chinesischen Atomaufsicht, erklärte am Rande der Jahrestagung der Politischen Konsultativkonferenz in Peking, die Regierung werde in Kürze die Genehmigung für den Bau von etwa zehn neuen AKWs erteilen. Die Ergebnisse der einjährigen Untersuchung sollen demnächst vorgestellt werden. Derzeit sind in China 14 Atomreaktoren in Betrieb, liefern aber weniger als zwei Prozent des chinesischen Stroms. 26 Kernkraftwerke befinden sich im Bau oder in Planung, mehr als in jedem anderen Land.

Für China ist die Atomenergie Teil des Plans, um ihren schnell wachsenden Energiebedarf zu decken und die Abhängigkeit von Öl- und Gasimporten zu verringern. Eine öffentliche Debatte fand im Land allerdings nicht statt. Chinesische Medien waren im März von den Propagandabehörden angewiesen worden, auf keinen Fall Zweifel an der Sicherheit chinesischer Atomkraftwerke zu säen. Dennoch stehen viele Chinesen der Kernkraft skeptisch gegenüber. In der ostchinesischen Provinz Anhui reichten Bürger im November 2011 etwa eine Petition gegen ein geplantes Kraftwerk ein. Bernhard Bartsch

USA

Die Energiepolitik ist in den USA zurzeit ein heiß diskutiertes Thema – aber nicht, wie man in Europa denken könnte. Es geht um hohe Benzinpreise und die boomende Erdöl- und Erdgasförderung im eigenen Land. Selbst der einst mit so viel grünem Elan angetretene Barack Obama beeilt sich zu versichern, dass er auf keinen Fall den Drang zu den fossilen Rohstoffen bremsen will. Die Kernenergie spielt in der Auseinandersetzung nur ganz am Rande eine Rolle. Zwar sind in Georgia vor wenigen Wochen die ersten neuen Kernreaktoren seit Jahrzehnten bewilligt worden. Doch sie sind eher ein Versuchsballon. Hier werden erstmals neue Genehmigungs- und Bauverfahren getestet, die von dem Republikaner George W. Bush politisch angestoßen und von Obama nahtlos weiterbetrieben worden sind. Auch unter Obama sind weiterhin Milliarden an Staatsbürgschaften und Steuergeldern für Kernenergie reserviert worden. Fukushima hat daran nichts geändert. Ein Ausstieg war nicht einmal auf dem Höhepunkt der Katastrophenberichterstattung aus Japan ein Thema.

Wenn der seit Jahren von der Atomlobby angekündigte Boom bei neuen Kraftwerken bisher ausgeblieben ist, so hat das rein ökonomische Gründe. Da Obamas Plan für eine CO2-Abgabe schon in den ersten Monaten seiner Amtszeit gescheitert ist, hat es die Kernkraft schwer, mit der preisgünstigen Kohle und dem seit Neuestem extrem billig gewordenen einheimischen Erdgas zu konkurrieren.

Auch in den USA ist die Frage der Endlagerung des Atommülls noch ungelöst. Wenn es gegen die Kernenergie Widerstand gibt, dann am ehesten in den Regionen, in denen ein solches Lager gebaut werden könnte. Doch insgesamt ist die Angst vor der Kernkraft in den USA kein politischer Faktor. Selbst die Diskussion über die Atomanlagen, die in den Vereinigten Staaten in der Nähe großer Städte oder in Erdbebengebieten liegen, ist ein Jahr nach Fukushima völlig verebbt. Andreas Geldner

Frankreich

Frankreichs Staatschef sieht noch keinen Grund zur Kurskorrektur. Seit 1956 setzt das Land entschlossen auf Kernenergie mit dem Ergebnis, dass heute 19 Kraftwerke mit insgesamt 58 Reaktoren 75 Prozent des heimischen Strombedarfs decken. Nicolas Sarkozy will an ihr festhalten. „Wir werden dieses Atomkraftwerk nicht zumachen, das liefe Frankreichs Interessen zutiefst zuwider“, hat der Präsident kürzlich in Fessenheim klargestellt. Vor dem ältesten und nach Meinung von Umweltschützern gefährlichsten Atommeiler des Landes stand er da. Doch auch wenn die Atompolitik des Staatschefs die alte ist, das Volk und die sozialistische Opposition haben umgedacht. Ein Jahr nach Fukushima sind die Risiken der Kernkraft für einen von fünf Franzosen „das Problem der Gegenwart“, das ihn „am meisten beunruhigt“.

In der Gesamtbevölkerung rangiert die Atomkraft auf einer von der „Angst vor Arbeitslosigkeit“ angeführten Sorgenliste auf Platz vier. Die Behörde für Nukleare Sicherheit (ASN) räumt ein, dass ein schwerer Atomunfall in Frankreich nicht auszuschließen ist und fordert Nachbesserungen in zahlreichen Kraftwerken. Der Wandel beeindruckt umso mehr, als die Kernkraft in Frankreich jahrzehntelang geradezu identitätsstiftende Bedeutung besaß. Im Land Becquerels und des Ehepaares Curie, der Entdecker der Radioaktivität, hatte es die Atomkraft zum Mythos gebracht. Wie Ariane-Rakete oder TGV-Hochgeschwindigkeitszug stand sie für nationale Größe und Unabhängigkeit. Dank der von General de Gaulle getroffenen und von sämtlichen Nachfolgern gutgeheißenen Entscheidung für die Kernenergie, erfreue sich Frankreich einer auf atomarer Abschreckung beruhenden militärischen Sicherheit und einer von Öl- und Gasimporten weitgehend unabhängigen Energieversorgung. Das war Konsens gewesen. Im Jahr eins nach Fukushima ist er aufgekündigt. Axel Veiel