Die Atomkraftgegner im deutsch-französischen Grenzgebiet können aufatmen: Frankreichs Präsident Hollande will das AKW in Fessenheim bis Ende 2016 abschalten. Allerdings leistet die Betreiberin EDF noch Widerstand.

Korrespondenten: Stefan Brändle (brä)

Paris - François Hollande erklärte am Freitag anlässlich einer Umweltkonferenz in Paris, das – nahe an der deutschen Grenze gelegene – Atomkraftwerk Fessenheim werde „gegen Ende 2016 stillgelegt“. Er bestätigte damit ein Wahlversprechen, kurz nachdem es Anfang September im ältesten der 58 Atomreaktoren Frankreichs zu einem neuen Unfall gekommen war. Beim Austritt von Wasserstoffperoxid erlitten zwei Arbeiter Brandverletzungen. Radioaktivität trat zwar nicht aus; im Juni war es allerdings bereits zu einer „Unregelmäßigkeit“ in der Kraftwerkregulierung gekommen, wie die Betreiberin Electricité de France (EDF) mitteilte.

 

Die Grünen (Les Verts-Europe Ecologie) verlangen seitdem die sofortige Stilllegung der beiden Meiler, die ihren Betrieb schon 1977 aufgenommen haben; ihre Lebensdauer wurde damals auf dreißig Jahre veranschlagt, also bis 2007. Umweltschützer monieren außerdem, dass die Anlage sich in der Erdbebenzone des Rheingrabens befände und damit überschwemmungsgefährdet sei.

Das umstrittene AKW ist zum Symbol geworden

Im Frühling hatte der Betrieb des elsässischen Atomkraftwerks (AKW) zu einem harten Schlagabtausch im französischen Präsidentschaftswahlkampf geführt. Während der damals amtierende Präsident Nicolas Sarkozy die Atomkraft noch ausbauen wollte, versprach der Linkskandidat François Hollande im Zuge der Atomkatastrophe im japanischen Fukushima, er wolle den Anteil der nuklearen Stromproduktion langfristig von 75 auf 50 Prozent senken und als erstes Atomkraftwerk Fessenheim stilllegen.

Seitdem ist das umstrittene AKW zum Symbol geworden. Es steht für den französischen Atomkurs, der auf die Zeiten de Gaulles zurückgeht und zwei strategische Ziele hat: zivil die Unabhängigkeit vom mittelöstlichen Öl und militärisch die atomare „Force de frappe“, die Atomstreitmacht der französischen Streitkräfte, zu garantieren. Die Grünen verlangen aber den generellen Atomausstieg, Fessenheim ist für sie nur der erste Schritt. Innerhalb der seit Juni amtierenden rot-grünen Koalition erzeugt das „nucléaire“ beträchtliche Spannungen. Die Atomindustrie mobilisiert ihre Sympathisanten bis auf den linken Flügel der Sozialistischen Partei: Dort bezeichnete Industrieminister Arnaud Montebourg die Atomkraft kürzlich als „Zukunftsbranche“. Dahinter lobbyiert die Betreiberin EDF, die im AKW Fessenheim 770 Angestellte beschäftigt und die Atomenergie generell als arbeitsplatzsichernd preist.Und die Sicherheit von Fessenheim? Die nukleare Sicherheitsbehörde Frankreichs (ASN) bescheinigte im Januar allen französischen Atomanlagen „ein genügendes Sicherheitsniveau“ und stellte ausdrücklich fest: „Keine von ihnen erfordert einen sofortigen Stopp.“ Allerdings müssten die 58 Atommeiler nachrüsten, um ihre „Robustheit in Extremsituationen“ zu stärken. In Fessenheim muss EDF zum Beispiel für 80 Millionen Euro 40 technische Verbesserungen durchführen. Unter anderem muss sie die Betonunterlage auf vier Meter verstärken – wie im japanischen AKW Fukushima. In den vergangenen sechs Jahren hatte EDF nach eigenen Angaben bereits 565 Millionen Euro in die Zwillingsreaktoren Fessenheims gesteckt; alle wichtigen Komponenten, auch die Dampfgeneratoren, wurden ersetzt. Damit könnte Fessenheim laut ASN noch mindestens zehn Jahre funktionieren. EDF-Chef Henri Proglio hält sogar eine Lebensdauer von 60 Jahren für möglich. Das würde eine Schließung 2037 bedeuten.Hollandes Klarstellung, die Schließung Fessenheims werde Ende 2016 erfolgen, also ein halbes Jahr vor Ende seines Mandats, beendet solche Rechenspiele zumindest theoretisch. Der Präsident betonte, alle Arbeitsplätze blieben gewährleistet und das AKW werde zu einem „Vorbild einer erfolgreichen Stilllegung“. EDF hält allerdings entgegen, die Stilllegungsarbeiten würden in den ersten fünf Jahren nur 150 Leute erfordern, danach noch 100. Deshalb wäre ein ganzes Dorf vom Aussterben bedroht, argumentiert der mächtigste Stromkonzern Europas.

Fessenheim könnte laut ASN noch zehn Jahre laufen

Die Grünen hinterfragen die Halbwertszeit umweltpolitischer Versprechen gerade während einer Wirtschaftskrise, in der sich die Atomindustrie als Konjunkturmotor präsentiert. Der grüne Senator Ronan Dantec hatte bereits verlangt, dass die technische Aufrüstung von Fessenheim eingestellt werde, um kein Präjudiz zu schaffen. Es sei nämlich zu befürchten, dass die EDF daraus später ein Argument für die Weiterführung zimmern werde. Umweltministerin Delphine Batho erwiderte, die Neuinvestitionen für das AKW seien „kein Hindernis“ für die geplante Schließung. EDF-Chef Henri Proglio gilt aber nicht als Mann, der das Geld zum Fenster hinauswirft. Der Kampf um Fessenheim ist noch nicht zu Ende.