Der französische Präsident Hollande hat die Schließung des ältesten AKW Frankreichs versprochen. Ob dieser Plan umgesetzt wird, ist ungewisser denn je.

Korrespondenten: Stefan Brändle (brä)

Paris - Es ist ein beschaulicher Flecken in der oberrheinischen Tiefebene, ein Radlerparadies mit Feldern und schmucken Dörfern. Bekannt ist Fessenheim aber vor allem wegen des Atomkraftwerks. Dabei fällt das AKW nicht besonders auf, denn es hat keine Kühltürme. Das Wasser des Rheinseitenkanals kühlt die Reaktoren zur Genüge. Dies bringt allerdings auch ein Problem mit sich. „Die Meiler liegen neun Meter unterhalb des Kanals“, erklärt der bekannteste Fessenheim-Gegner, der Atomphysiker Jean-Marie Brom. „Wenn die Deiche brechen, könnte es zu einer ähnlichen Überschwemmung wie in Fukushima kommen.“ Damit ist ein weiteres Problem angesprochen: Fessenheim liegt in der einer Erdbebenzone, die sich durch den Rheingraben zieht. Nicht gerade der beste Standort für ein AKW. Im Jahr 1977, als der Doppelreaktor von Fessenheim eröffnet wurde, sah man geflissentlich darüber hinweg. Im Dorf tut man das noch heute. „Das AKW wurde nachgerüstet, es würde sogar ein Erdbeben von 6,5 auf der Richterskala aushalten, wie es 1356 die Stadt Basel in Trümmer legte“, sagt der Bürgermeister von Fessenheim, Claude Brender. Heute sei Fessenheim eines der sichersten Kernkraftwerke im Land – und eines rentabelsten.

 

Nachbarstaaten verlangen die Abschaltung

Dennoch fordern die Regierungen Deutschlands und der Schweiz seit Jahren die Stilllegung der Reaktoren. Die deutsche Umweltministerin Barbara Hendricks erinnerte kürzlich daran, dass der Südwestwind die radioaktiven Wolken nach einem Unglück direkt nach Stuttgart tragen würden. Im Dreiländereck wird seit Jahren gegen Fessenheim mobilisiert. 2014 drangen Greenpeace-Aktivisten in das AKW-Gelände ein, um vor den Risiken zu warnen. In einer von 28 000 Personen unterzeichneten Petition – eine von vielen – wird vorgerechnet, dass bei einem „Fukushima-Szenario“ eine Million Menschen unter anderem in Mulhouse, Colmar, Freiburg oder Basel evakuiert werden müssten. 2012 hatte der sozialistische Präsidentschaftskandidat François Hollande dem Drängen der grünen Koalitionspartner nachgegeben und versprochen: „Ich werde das AKW Fessenheim abschalten.“ Nach seiner Wahl nannte er als Schließungstermin „Ende 2016“.

Die Bürger wollen das AKW behalten

Im Dorf und im AKW Fessenheim hat Hollande deshalb nicht mehr viele Freunde. Vor dem hübsch begrünten Rathaus hängt ein Transparent über die Straße: „AKW geschlossen, Einwohner und öffentliche Dienste geopfert.“ Gegenüber sagt die Bäckerin, im Fall einer Werksschließung würden nicht nur hunderte von EDF-Angestellten das Dorf verlassen, sondern auch die Boulangerie oder die Kleinläden dicht machen. Electricité de France (EDF), der mächtige staatliche Energiekonzern, würde dann nicht mehr 70 Prozent des Gemeindebudgets tragen.

Frankreich mit neuem Energiekonzept

Die Stilllegung von Fessenheim war für Hollande Teil eines umfassenden Energiekonzeptes, das den Atomanteil an der nationalen Stromproduktion von heute 75 Prozent in wenigen Jahren auf 50 Prozent senken will. Ein gigantisches Unterfangen. Ein „Energiewendegesetz“ machte 2015 den Beginn. Umweltministerin Ségolène Royal erklärte allerdings Fessenheim könne erst abgestellt werden, wenn in Flamanville (Normandie) der neuartige Druckwasserreaktor EPR (die dritte AKW-Generation) fertig gebaut sei. Das wird frühestens 2018 der Fall sein – wenn Hollandes Amtszeit abgelaufen ist. Dass der unpopuläre Präsident wiedergewählt wird, ist unwahrscheinlich. Und die konservativen Präsidentschaftsfavoriten erklären, sie würden das AKW Fessenheim nicht stilllegen. Favorit Alain Juppé hat dies sogar in einem Brief an Parteifreund Brender im Rathaus von Fessenheim schriftlich festgehalten.

Atomkonzerne in der Krise

Hollandes Versuch, sowohl die nationale Nuklearindustrie wie auch die Umweltschützer zufriedenzustellen, wird für alle Seiten zum Desaster. Die grüne Partei EELV ist vor zwei Jahren wütend aus der Regierung ausgetreten, und die verunsicherten Atomkonzerne EDF und Areva sind in eine schwere Krise geschlittert. Vor der nahenden Präsidentschaftswahl im Mai 2017 will Hollande wenigstens noch einen formellen Schließungsentscheid durchdrücken. Im August drängte er die EDF – an der die französische Regierung mit 85 Prozent der Anteile das Sagen hat – zu einem Abfindungsvertrag von vorerst 400 Millionen Euro für die Fessenheim-Abschaltung. Mitte September soll die AKW-Belegschaft über das Stilllegungsdekret informiert werden. Gewerkschaften und EDF-Chef Jean-Bernard Lévy setzen aber alles daran, die Termine hinauszuzögern.

Im Elsass ist niemand glücklich über die ungeklärte Situation. Fessenheims Bürgermeister Brender ereifert sich über die „absurde Lage“, die das AKW und seine Gemeinde zum Spielball ferner Pariser Interessen mache. Auf der Gegenseite klagt Aline Baumann vom Verein „Stop Fessenheim“ über das „politische Rumgedruckse“, das die jahrelang erkämpfte und endlich nahe geglaubte Stilllegung plötzlich wieder in weite Ferne rücke.